Ein Amerikaner will wieder in die Alte Welt. Diesmal mit einer kompakten  Mittelklasselimousine, die den Spagat zwischen spannendem Ami-Design und europäischer Fahrkultur hinkriegt.

Als Inbegriff raumgreifender Straßenpräsenz, daunenweichen Fahrgefühls und von verschwenderischem Luxus hat sich der Name Cadillac in die Rockabilly-Ära eingetragen. Als die Autos noch Heckflossen trugen und am Chrom, das wie glänzende Preziosen allerorts am Auto hing, die Leistungskraft und das Vermögen der Besitzer abzulesen waren. Wie etwa an diesem 1959er Cadillac Eldorado Convertible.

Foto: cadillac

Da wir Europäer über weniger Land und Stellflächen verfügen und meinen, immer schon ein wenig klüger zu sein als die Amis, haben wir uns in dieser Zeit VWs Käfer zugewandt und dem Puch / Fiat 500 und darauf eine Kultur der Verknappung, Konzentration und Effizienz gegründet. Cadillac Eldorado Brougham? Eher nicht. Kein Mensch fuhr und fährt in der Alten Welt einen Straßenkreuzer. Nur Direktoren in Heimatfilmen fuhren Lincoln oder Cadillac, wahrscheinlich zum leichteren Verständnis, wer hier der reiche Fettsack und wer die unbeschwerten, fröhlichen, hübschen Jungen waren.

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Nun, das hat sich alles grundlegend geändert. Nicht dass jetzt ein Cadillac zum guten Ton gehörte, sondern dass Detroit "vernünftige" Modelle für die Knauserer für da drüben baut.

Foto: der standard/fischer

Der neue ATS ordnet sich mit rund 4,6 Metern Länge in das gängige Muster der europäischen Mittelklasse ein und enttäuscht alle, die sich unter einem Cadillac ein Schiff vorstellen.

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Die extrem schnittige Karosserie behauptet einen sportlich eleganten Zugang zur Riege der kompakten Limousinen, macht ihn aber Fahrern und Mitreisenden auch ein wenig schwer, sofern man nicht die Elastizität eines gut erhaltenen Mittfünfzigers mitbringt.

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Einmal glücklich im Auto angekommen, empfängt ein fein säuberliches Interieur. Die Bedienung der Touch-Leisten ist schon nach wenigen Wochen der Übung in Fleisch und Blut übergegangen, dann erstaunt der lässige Wischer über den Lautstärken-Chromsteg alle aufmerksamen Cadillac-Greenhorns.

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Über die unzähligen Assistenz- und Komfortfeatures ließen sich Seiten füllen, herausgreifen muss man die elektrisch fein justierbaren Sitze, das prompt reagierende adaptive Dämpfer system, die göttliche Bose-Anlage und die perfekt waltende Automatikschaltung, die auf verschiedene Straßenbedingungen eingepegelt werden kann.

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Herzstück des ATS ist der – man höre und staune – 4-Zylinder (entliehen aus dem GM/Opel-Regal), der satte 276 PS via Twin-Turbo prompt und mitreißend in die Gänge schiebt und daher so gar nichts mit den trägen Hubraumgiganten früherer Zeiten gemein hat.

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Einziger Wermutstropfen ist der Verbrauch, der trotz hervorragender Fahrleistungen sich mit 12,6 Litern ein wenig Yankee -mäßig gibt. Auf die Straße gebracht wird der Geschwindigkeitsgewinn durch ein bombensicheres Fahrwerk, an dem eine sehr präzise Lenkung dirigiert.

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Den ATS darf man getrost in die Kurven hängen und hat (nicht zuletzt durch sein schlankes Gewicht) helle Freude daran. Genauso wie am gelassenen Cruisen, das die Amis ohnehin immer am besten konnten. Langen Autobahnetappen entsteigt man frisch und agil.

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Der Zweck einer speziellen Besonderheit hat sich allerdings auch nach langem Nachdenken nicht erschlossen. Nämlich, dass man das Ding per Autoschlüssel auch von außen starten kann. Eine grandiose Show, das wohl, die Zeitzeugen an den Rand der Hysterie treibt und den Besitzer mit Stolz erfüllt, aber ...?  (Andreas Hochstöger, DER STANDARD, 12.4.2013)

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