Die Universitäten halten sich mit der "restlosen Einverleibung ihres Nachwuchses" am Leben, sagt Thomas Schmidinger.

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Schmidinger: "So sehr das Patchworkeinkommen ein ökonomisches und soziales Problem darstellt, so sehr schätze ich meine Unabhängigkeit und die Möglichkeit, in verschiedenen Bereichen tätig sein zu können."

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Viele der zentralen Probleme der österreichischen Universitäten kamen in diesem Blog bereits zur Sprache. Für jene LektorInnen, die wie ich ein Patchworkeinkommen aus Semesterverträgen an Universitäten oder Fachhochschulen, aus Forschungsprojekten und diversen kleineren Honoren aus der Erwachsenenbildung oder von Zeitungsartikeln beziehen, ist vor allem der völlige Mangel an sozialer Absicherung und ein extrem aufwändig zu lukriierendes und zu verwaltendes niedriges Einkommen zum Hauptproblem geworden.

Prekär, aber unabhängig

So sehr dieses Patchworkeinkommen jedoch ein ökonomisches und soziales Problem darstellt, so sehr schätze ich meine Unabhängigkeit und die Möglichkeit, in verschiedenen Bereichen tätig sein zu können. Wenn ich meine eigene Situation mit jener gleichaltriger KollegInnen vergleiche, die zwar den seltenen Jackpot einer befristeten Vollzeitanstellung an einer Universität gewonnen haben, dafür aber mit Verwaltungs- und Projektbürokratie, sowie inhaltlich oft wenig anspruchsvoller Basislehre zugeschüttet werden und so kaum mehr Zeit finden, ihre eigenen Forschungen durchzuführen, so bin ich oft schon wieder viel zufriedener mit meiner sozial prekären, dafür aber inhaltliche Freiheiten ermöglichenden Situation.

Viele der Jüngeren im System - ganz besonders in den Sozial- und Geisteswissenschaften - müssen dann erst recht ihre Publikationen in ihrer Freizeit verfassen, wollen sie trotz ihres Jobs an den Unis noch wissenschaftlich arbeiten.

Aussicht auf eine dauerhafte Stelle besteht für diese KollegInnen meist trotzdem nicht. So finden sich auf den Universitäten jede Menge Mitt-Dreißiger, die schlicht und einfach im Burnout landen oder knapp daran vorbeischrammen. Außer dem regelmäßigeren und höheren Gehalt bleibt damit wenig um das ich diese beneiden könnte.

Kannibalistische Universitäten

Dieses System kannibalistischer Universitäten, die sich mit der restlosen Einverleibung ihres Nachwuchses am Leben erhalten, hat aber nicht nur persönliche Folgen für die Betroffenen, sondern auch für die Wissenschaft, die an den Universitäten betrieben wird, bzw. die Kommunikation dieser Universitäten mit der Gesellschaft. Wer ständig nur mit Forschungs- und Lehrverwaltung be- bzw. überlastet wird, zugleich aber an scheinobjektiv gewerteten wissenschaftlichen Publikationen gemessen wird, kann es sich nicht leisten, aus dem akademischen Hamsterrad, das von Innen ja bekanntlich wie eine Karriereleiter aussieht, auszusteigen und auch einmal den Blick jenseits von Impact Factor und Shanghai-Ranking zu riskieren.

Mit anderen Worten, nach der Öffnung der Universitäten in den 1970er Jahren fördert das gegenwärtige Wissenschaftssystem wieder den Rückzug in den akademischen Elfenbeinturm und delegitimiert damit zugleich auch öffentliche Ausgaben für die Universitäten. Weshalb soll eine Gesellschaft schließlich ein weitgehend selbstreferenzielles System bezahlen, von dem sie - trotz einem Bekenntnis zu Transparenz - nichts sieht?

Wechselseitige Beziehungen …

Dabei geht es nicht um die von bestimmten Kapitalfraktionen eingeforderte unmittelbare ökonomische Verwertbarkeit von Wissenschaft, sondern um die gesellschaftliche Verantwortung sowie Durchlässigkeit von Universitäten. Diesbezüglich könnten sich österreichische Universitäten durchaus ein wenig "amerikanisieren".

Entgegen ihres hierzulande insbesondere in der Linken oft schlechten Rufes, legen nämlich viele Universitäten in den USA viel Wert auf Outreach, also die Vermittlung akademischen Wissens und akademischer Debatten an die Gesellschaft jenseits des Uni-Campus. Dieser Outreach ist allerdings keineswegs eine Einbahnstraße.

An der University of Minnesota, einer guten und prestigeträchtigen staatlichen Universität, die allerdings nicht zur elitären so genannten Ivy Leage zählt, wäre es unvorstellbar, Migrationsforschung ohne den permanenten Austausch mit migrantischen Communities, 'American Indian Studies' ohne durchaus kontroversielle Debatten mit Native Americans aus den verschiedenen Native Nations zu führen oder 'Gender and Sexuality studies' zu betreiben ohne sich ständig mit den AktivistInnen von LGBT-Gruppen und feministischen Bewegungen auszutauschen.

Nachdem sich in Minnesota in letzten 15 Jahren die größten Flüchtlingscommunities aus Somalia niedergelassen hatten, setzten somalische Studierende die Möglichkeit durch, dort Somali zu studieren. Und die Kinder der nach dem Vietnamkrieg geflohenen Hmong, deren Eltern wegen ihrer Zusammenarbeit mit den USA fliehen mussten, können heute an der Universität ihre Sprache und Kultur studieren.

Was für ein Unterschied zu Österreich, wo man über 30 Jahre nach der Einwanderung zehntausender Kurdinnen und Kurden immer noch an keiner einzigen Universität kurdische Studien betreiben kann oder wo es trotz jahrhundertelanger Beziehungen zu Albanien und einer durch die Ermordung des österreichischen Begründers der Albanologie, Norbert Jokl, unterbrochenen Forschungstradition und zehntausenden albanischer MigrantInnen aus dem Kosovo, keine Möglichkeit gibt Albanologie zu studieren. Hätten wir Universitäten, die ähnlich rasch und offen auf gesellschaftliche Veränderungen und Bedürfnisse reagieren würden, wie in den USA, dann hätten wir angesichts der Fluchtmigration der letzten fünfzehn Jahre mittlerweile sogar schon die Möglichkeit geschaffen Tschetschenische Sprache, Geschichte und Kultur zu studieren.

… zwischen Gesellschaft und Universität

Hierzulande hinken die Universitäten den gesellschaftlichen Veränderungen allerdings nicht nur um Jahrzehnte hinterher, sie erschweren durch überbordende Bürokratie, kurzfristige Anstellungen und mangelnde Perspektiven jüngerer MitarbeiterInnen auch genau diesen Outreach, der einerseits die Sinnhaftigkeit universitäter Forschung und Lehre sichtbar macht, andererseits aber auch solche gesellschaftliche Veränderungen und Bedürfnisse überhaupt erst in die Universitäten trägt.

Während in den USA Outreach als Teil der wissenschaftlichen Leistung von AkademikerInnen und Instituten einbezogen wird, wird man an österreichischen Universitäten vielfach sogar von KollegInnen belächelt, wenn man "sich dafür hergibt" so "unwissenschaftliches Zeug" wie Gastkommentare in Medien zu schreiben, an öffentlichen Debatten teilzunehmen, in der außeruniversitären Erwachsenenbildung tätig zu sein oder gar - der Höhepunkt des akademischen Verfalls - an Diskussionssendungen im Fernsehen teilzunehmen. Für die eigene akademische Karriere ist dies alles nicht nur nicht nützlich, sondern eher schädlich, weil man im österreichischen universitären System damit schnell als "unwissenschaftlich" gilt.

Selbstverständlich muss eine solche Kommunikation mit der Öffentlichkeit auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament aufbauen. Es darf nicht darum gehen, die Universitäten mit Werbeschmähs attraktiver zu machen. Eine Universität mit gesellschaftlicher Verantwortung, die zu einem offenen Zentrum fundierter Debatten wird, ihre eigenen Forschungen transparent macht und in permanentem Austausch mit der Öffentlichkeit steht, wäre jedoch ein zukunftsfähiges Projekt.

Karrierehindernis: Erfahrung

WissenschaftlerInnen, die auch außerhalb der Universitäten tätig sind, die Erfahrungen aus Wissenschaft und Forschung in verschiedene gesellschaftliche Bereiche tragen und umgekehrt auch die Forschung mit Erfahrungen aus diesen Gebieten bereichern, haben an den derzeitigen Universitäten jedoch keine Chance. Nicht einmal die Qualität der Lehre spielt für die universitäre Karriere irgendeine Rolle.

Für Frauen, die sich entscheiden, Kinder zu bekommen, wird selbst dies oft schon zum entscheidenden Karriereknick. Stromlinienförmige gerade Karrieren, die sich mit Scheuklappen und viel Ellbogeneinsatz nach Oben gekämpft haben, sind die Basis für neue Professuren. Von solchen sozial oft völlig unfähigen Karrierewissenschaftlern ist eine ernst zu nehmende Kommunikation mit der Gesellschaft ebenso wenig zu erwarten, wie ein vernünftiger Austausch unter KollegInnen.

Arbeitshindernis: Kooperation

Um dem universellen Anspruch einer nicht zufällig als Universität benannten Institution gerecht zu werden, müsste allerdings auch echte Interdisziplinarität innerhalb der Universitäten gelebt werden. Als Schlagwort bekennt sich zwar mittlerweile so ziemlich jede noch so kleine Forschungseinrichtung zu interdisziplinären Zugängen.

Erst wer einmal versucht hat zwei Studienprogrammleitungen der Universität Wien dazu zu bringen eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung zuzulassen, bekommt eine Ahnung davon, wie wenig Realität hinter solchen Lippenbekenntnissen zu finden ist. Gerade in Zeiten der Austerität werden die eigenen disziplinären Schrebergärten doppelt bewacht, gilt es doch in direkter Konkurrenz zu anderen Instituten, Zentren und Studienrichtungen möglichst viel für die eigene Subeinheit zu retten.

Für Interdisziplinarität innerhalb der Universitäten bleibt damit genauso wenig Zeit und Geld wie für die Kommunikation und Debatte zwischen Universität und Gesellschaft. Genau diesen Prozess gilt es umzukehren um die Rolle der Universität als Ort einer offenen intellektuellen Debatte zurückzuerobern. Dazu müssen allerdings auch wir Nachwuchswissenschaftler wieder etwas mutiger werden. Wir haben nichts zu verlieren als unsere Kettenverträge und eine Welt zu gewinnen! (Thomas Schmidinger, derStandard.at, 16.4.2013)