Illustration: Fatih Aydogdu

Zwangsneurosen sind eine Qual: Was macht mein Partner, wenn er nicht bei mir ist? Ist die Wohnung wirklich in jedem Winkel sauber? Die Gedanken sind krankhaft auf Menschen oder Dinge fokussiert.

Ähnliche Verhaltensmuster zeigen sich bei Verliebten, sagt die Neurowissenschafterin Donatella Marazziti von der Universität Pisa. Auch sie sind nur auf eine Person konzentriert und werden im ersten Zweifel und in der Sorge, abgelehnt zu werden, von seltsamen, für Freunde absurden Gedanken geprägt. Beispiel: "Warum hat sie mir seit gestern Abend nur zehn SMS geschickt?"

Marazziti hat hormonelle Untersuchungen durchgeführt: Dabei konnte sie mit ihrem Team sowohl bei Zwangsneurotikern als auch bei Verliebten einen signifikanten Serotoninmangel feststellen. Dieses vielfach beschriebene Hormon hält die Psyche im Gleichgewicht, es beeinflusst aber auch den Schlaf-wach-Rhythmus, den Appetit, das Herz-Kreislauf-System.

Der Serotoninmangel allein ist freilich nicht ausschlaggebend für den Zustand der Verliebtheit. Die Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer von der Med-Uni Wien betont, dass Menschen selbstverständlich nicht nur hormongesteuert sind, sondern auch das Ergebnis ihrer Sozialisation und ihrer Geschichte darstellen. "Nach dem Winter, einer Zeit des Rückzugs, in der die Menschen mehr Ruhebedürfnis haben, geraten sie in eine Aufbruchstimmung."

Der erste Augenblick des Verliebens verläuft jedenfalls assoziativ. "Wenn die Person gewissen Schemata entspricht, die im Kopf gespeichert sind, steigt der Testosteronspiegel im Speichel", erzählt die Gehirn- und Sprachforscherin Manuela Macedonia von der Kepler-Universität Linz - sowohl beim Mann als auch bei der Frau. Ein Zustand, der etwa vier Stunden anhält und Menschen zu Aktionen verleitet, die "außerhalb der Norm sind".

Balzende Männer beobachten

Man schaut öfter hin, spricht jemanden an, erzählt, sofern nicht sofort abgewiesen, vor allem von sich selbst. "Es geht darum, sich zu präsentieren", sagt Macedonia, die mit Vorträgen versucht, Forschungen über Gehirnaktivitäten populärer zu machen. Beim Thema Liebe steht sie, wenig überraschend, vor vollen Hörsälen.

Macedonia berichtet von Studien, in denen bei Männern, die "balzten", ein Testosteronanstieg um dreißig Prozent gemessen wurde - und das allein durch fünfminütige Gespräche mit einer attraktiven Forschungsassistentin. Frauen reagierten, wenn sie Filme von einem ebenso anziehenden Mann sahen, der gerade eine andere Frau hofierte.

Der Testosteronspiegel wurde bei verschiedengeschlechtlichen Partnern nicht nur beim ersten Gefühl von Neugierde, sondern auch im Zustand der Verliebtheit gemessen: Da kommt es wie von Zauberhand zu einer merkwürdigen Annäherung, sagt Donatella Marazziti zum STANDARD. Die Wissenschafterin und ihr Team identifizierten mehrere Schlüsselhormone im Blut von zwölf Männern und zwölf Frauen, die sich in den vergangenen sechs Monaten verliebt hatten. Sie untersuchten auch 24 Probanden, die entweder Singles waren oder seit mehreren Jahren in einer fixen Beziehung lebten. Das Ergebnis: Bei Männern war das Testosteron gesunken, bei Frauen stieg der Spiegel. Doch keine Sorge: "Auf dem gleichen Level sind sie freilich nie", sagt Marazziti.

Schließlich kommt noch eine dritte, recht prominente Substanz beim Verlieben ins Spiel: Das Glückshormon Dopamin. "Grundsätzlich haben wir es von der Evolution erhalten, um uns mit guten Dingen zu ernähren und um einen geeigneten Paarungspartner zu finden", sagt die Uni-Linz-Forscherin Macedonia. Wird Dopamin ausgeschüttet, fließt es in frontale Bereiche des Gehirns. Hier befindet sich das Belohnungssystem, das für unser Entscheidungsverhalten zuständig ist. Wenn Dopamin in diesem System über einem gewissen Schwellenwert vorhanden ist, empfinden Menschen Freude - und das motiviert sie zum Handeln.

Freude kann bereits entstehen, wenn man das Gesicht eines Menschen sieht, für den man sich interessiert. "Verliebte", sagt Macedonia, "sind durch Dopamin in einer Art Glücksnebel", ein Zustand der mehr oder weniger stark bis zu 18 Monaten andauern kann. Dann aber ist der dopamingesteuerte Gefühlsrausch zu Ende. Es gibt spekulative Theorien über die Gründe: Einige sprechen von der Notwendigkeit sich nach dieser Zeit um die Brut zu kümmern. Andere führen recht pragmatische Ursachen ins Treffen: Ein ganzes Leben mit diesem enormen Hormonpegel im Körper wäre schlicht zu anstrengend.

Das Bindungshormon

Die Forschung beschäftigt sich kaum damit. Im Fokus ihres Interesses liegt eher das im Zwischenhirn gebildete Peptid Oxytocin. Diese Schlüsselsubstanz unterstützt bei Säugetieren den Geburtsvorgang und fördert die Bindung zwischen Mutter und Neugeborenem, wenn das Kind gestillt wird. Aufgrund dieser Beziehung dachte man lange Zeit, das Hormon sei nur in Frauen zu finden. Ähnlich überraschend wie der Anstieg des Testosteronspiegels bei Probandinnen war dann das Ergebnis eines Versuches mit Vätern und ihren Babys: Auch sie zeigen nach Interaktion mit ihren Kindern durch Körperkontakt höhere Oxytocin-Level. Das Hormon spielt freilich auch partnerschaftlich eine entscheidende Rolle: Es wird bei Körperkontakt und nach befriedigendem Sex produziert. Es macht Menschen müde und - prinzipiell - bindungswillig. Wenn da nicht manchmal rationale oder irrationale Gründe dagegen sprechen würden.

Wie in so vielen Fällen zeigen Säugetiere vor, wie es funktioniert: Thomas Insel, seit 2002 Direktor des US-amerikanischen National Institute of Mental Health, publizierte Anfang der 1990er-Jahre im Magazin "Psychoneuroendrocrinology" eine Studie über Wüstenspringmäuse. Sie haben besonders viele Rezeptoren für Oxytozin. Nach einem Tag wiederholter, wilder Paarungen bleiben sie sich bis zu ihrem Tod treu. Von Präriemäusen wird genau das Gegenteil berichtet: Sie können nicht so viel Oxytozin aufnehmen und sind untreu.

Bleibt nur eine Frage offen: Warum verlieben wir Menschen uns nicht selten im Frühling? Gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen der endlich beginnenden Jahreszeit und der vermehrten Bereitschaft, einen neuen Partner kennenzulernen? Marazziti: "Warum sollte das nicht so sein? Wenn die Tage länger werden, dann sind einige Gehirnregionen und die Hormone deutlich aktiver als im Winter."

Einen stärkeren Paarungswillen wollen die Wissenschafter dadurch noch nicht ableiten. Kautzky-Willer: "Denn dann müssten alle Kinder im Winter zur Welt kommen." (Peter Illetschko, DER STANDARD, 10.4.2013)