Boxer hinten, Kofferraum vorn, dazwischen ein Lächeln. 50 Jahre hat der Porsche 911 inzwischen auf dem runden Buckel. Eine klare Designsprache mit nur wenigen Ausrutschern macht ihn zum deutschen Sportwagen schlechthin

"Es tut mir im Herzen weh, dass der 996er so geschmäht wird", sagt der Porsche-Testfahrer. Er und der Porsche 911, gebaut Ende der 1990er-Jahre, stehen etwas abseits vor dem Porsche-Museum in Zuffenhausen. "Sie schimpfen ihn wegen der Scheinwerfer Spiegeleier-Porsche und hassen ihn, weil er der erste 911er mit dem wassergekühlten Boxermotor war. Dabei sieht man an diesem Auto die Kraft von Porsche am deutlichsten." Der 996er wurde zu einer Zeit entwickelt, als es Porsche hinten und vorn an Geld fehlte. Konstrukteure zeichneten mit dem Sparstift, den auch die Techniker als Schreibwerkzeug verwenden mussten.

"Das Auto fährt sich fantastisch, besser als jeder andere 911er davor. Und er ist noch dazu alltagstauglich." 300 PS holte der 996 aus dem 3,4-Liter-Boxer, ab 2002 verbaute Porsche einen mit 3,6 Liter Hubraum und 320 PS. Die Preise für gebrauchte 996er sind heute noch am Boden und markieren den idealen Einstieg in die erlesene 911er-Welt. Unser Testfahrer hat viel Zeit zum Philosophieren, denn die Menschentrauben, die stehen fernab von ihm, drüben, bei einem 911 Targa aus 1967.

Foto: porsche

Das Urmodell des 911 feierte am 12. September 1963 seine Weltpremiere bei der IAA in Frankfurt. Er war der dringend notwendige Nachfolger des 356, der mit dem 2,0-Liter-Vierzylinder an seine Grenzen stieß. Aus dem Prototyp T7 hatte Ferdinand Alexander "Butzi" Porsche damals den 901er gestaltet, das Vorserienmodell, das in Frankfurt ausgestellt wurde. 1964 begann die Serienproduktion des nunmehrigen 911er. Er hatte einen luftgekühlten 6-Zylinder-Boxer mit 130 PS und erreichte 210 km/h Höchstgeschwindigkeit.

1966 legte Porsche den Targa nach – ein Auto, das "weder Cabriolet noch Coupé, weder ein Hardtop noch eine Limousine, sondern etwas völlig Neues ist", wie Porsche damals vermeldete. Das Design mit den markant herausragenden Scheinwerfern und die Möglichkeit, sportlich zu reisen, schlugen ein.

Schwellende Radkästen

1972 folgte der erste Carrera RS. Aus 2,7 Liter Hubraum schöpfte der Boxer jetzt schon 210 PS. 500 Stück baute Porsche davon. Vor allem, um eine Rennwagen-Zulassung zu bekommen. Bereits ein Jahr später lief das G-Modell vom Band. Das Design wurde ständig markanter. Die hinteren Radkästen schwollen an, die Stoßstange mit den Faltbälgen wurde zum Blickfang. 150 PS leistete der zahmste 911. Der Carrera markierte vorerst die Spitze mit 210 PS.

1974 debütierte am Pariser Salon der 911 Turbo. Erst mit 260 PS, dann, ab 1978, mit der 3,3-Liter-Maschine und 300 PS. Auch wenn der bei Autoquartett-Spielern wegen seiner Leistung sehr beliebt war: Das echte Juwel des G-Modells war der Club Sport. Vor allem, weil der Turbo wegen seiner unbändigen Kraft sowieso als unfahrbar galt (und bis heute gilt).

Freudvolles Leiden

"Weniger ist mehr", das war der Arbeitstitel. Porsche reduzierte die Ausstattung, riss die Rücksitze, die Seiten- und Rückwandverkleidungen samt Dämmmaterial aus dem Wagen. So wurde der 231 PS starke Club Sport gleich um rund 100 Kilogramm leichter als der Carrera. Dieses Auto fährt sich auch für heutige Verhältnisse noch fantastisch. Für normale Menschen ist dieser Porsche aber heute schlicht unfinanzierbar, und so baut Porsche selbst Leichen des Club Sport wieder auf.

Mit dem Porsche 964 begann die technische Revolution. Von Allrad über Airbag bis ABS wurde alles im 911er verbaut. Die Leistung wuchs beständig, der luftgekühlte Boxer wurde wassermoderiert, und 2013 legt der 911 GT3 R der Baureihe 997 die Latte auf 500 PS. Bei so viel Renngenen in einem seriennahen Rennwagen kommt dann auch wieder unser Porsche-Testfahrer, den wir da bei der 50-Jahr-Feier kennengelernt hatten, ins Schwärmen und vergisst sein ungeteiltes Leid ob der Spiegeleier, an denen er lehnt.

Und Porsche? Gönnt sich zum 50er den neuen GT3 und GT3 Cup. 475 und 460 PS. Renngene? Aber Hallo! (Guido Gluschitsch, Rondomobil, DER STANDARD, 6.4.2013)

Ansichtssache:

Generationentreffen: Erster Porsche 911 (damals noch 901) neben der siebenten Ausgabe einer Erfolgsidee, dem intern 991 gerufenen 911.

Foto: porsche

Die Entwicklung des 356er-Nachfolgers begann bereits 1957. Die Entwicklungszeit verlief alles andere als friktionsfrei. So galt es, einen Streit zwischen den beiden Formgebern Erwin Komenda und Ferdinand Alexander Porsche, genannt "Butzi", zu schlichten. Familienpatron Ferry sprach ein Machtwort - und machte seinen Sohn 1961 zum Leiter der Stylingabteilung.

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"Butzi" kam im November 1961 ein Jahrhundert-Design aus: der Porsche 911.

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Der Schöpfer auf seinem Werk. Die Coolness wirkt etwas aufgesetzt, Ferdinand Alexander ließ lieber Taten sprechen.

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1964 wurde der 901 nach einem Einspruch Peugeots in 911 umbenannt. Eine pragmatische Lösung - schließlich musste beim Schriftzug nur eine Ziffer geändert werden. Und Einser hatte man genug auf Lager.

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Die Reaktionen auf das Debüt des Zuffenhauseners waren eher verhalten. "Zu eckig", zu wenig Porsche, lautete das Verdikt der Auskenner.

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Vorerst löste der 901/911 bloß den 356 2000 GS Carrera 2 ab. Die anderen 356er blieben im Programm. Man war sich der Sache offenbar noch nicht so sicher.

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Mindestens so ikonografisch wie die Silhoutte: der luftgekühlte Sechs-Zylinder-Boxermotor. Anfangs mobilisierte das im Heck verbaute Zwei-Liter-Aggregat 130 PS, eine Erhöhung des Hubraums auf 2,7 Liter war eingeplant. Der Motor wurde in seiner Grundform bis 1998, bis zum Auslaufen der Modellreihe 993 gebaut. Zum Schluss passten sogar 3,8 Liter Hubraum in den Bürzel.

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Einem dringenden Bedürfnis des US-Markts nach einer Cabrio-Version folgend, lancierte Porsche 1965 eine Notlösung: den Targa. "Butzi" Porsche ist mit dem Zwitterwesen nicht sonderlich zufrieden: "Ich finde, dass jedes Cabrio mit einem Stufenheck besser aussieht."

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Quasi als Ersatz für das fehlende Voll-Cabrio kreierte die Presseabteilung für jede Targa-Dachposition einen eigenen Namen. Hardtop (geschlossen), Voyage (mit Reise-Klappdach), Bel Air (teilweise geöffnet) und Spyder (komplett geöffnet).

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Porsche benötigte einige Zeit, um das Fahrwerk an die eigenen Ansprüche anzupassen. Der Geradeauslauf war mäßig, die Seitenwindanfälligkeit verbürgt. Eine gewisse Zickigkeit in Kurven war anfangs ebenfalls ein Thema bei den Testern in Weissach.

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Rennsport war für den 911er von Anfang an erste Bürgerpflicht. "Win on Sunday, sell on Monday", lautete die Devise. Die Trophäensammlung, die der Neunelfer zu verantworten hatte, ist dann wohl auch die mit Abstand größte der Motorsporthistorie. Kein Geläuf war dem Zuffenhausener fremd. Hier wird bei der 1970er-Monte quergezogen.

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Die Befriedung von Wüste war ebenfalls ein beliebtes Thema (hier der entfernte Verwandte 959).

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Zudem Rundstrecken in allen Eskalationsstufen.

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Österreich, genetisch die Heimat des legendären Sportlers, wurde ebenfalls angesteuert. Wer die physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Neunelfer-Hecks einmal in seinem Hintern abgespeichert hatte, erfreute sich an einem echten Siegertypen.

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Werbung war übrigens für die Stuttgarter - entgegen der Ansage, ausschließlich Sporterfolge für sich selbst sprechen zu lassen - nicht ganz unwichtig. Die Botschaften waren eindeutig.

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Bildliche Umsetzung eines Ferry Porsche zugeschriebenen Zitats: "Der 911 ist das einzige Auto, mit dem man von einer afrikanischen Safari nach Le Mans, dann ins Theater und anschließend auf die Straßen von New York fahren kann."

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Eine technische Delikatesse aus dem Jahr 1974.

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Hier wird die "berufliche Dynamik" des Besitzers beschworen.

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Skulptur aus dem Jahr 1993.

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Aber zurück zu einem ebenfalls historischen Datum, dem 5. Oktober 1972: Porsche präsentierte die Hardcore-Version RS. 210 PS, 245 km/h Spitze, von 0 auf 100 km/h in 5,8 Sekunden. Ergab den schnellsten Serienwagen der BRD. Der abgespeckte Racer diente als Homologations-Basis, für den Zivilstraßenbedarf gab's ein Touring-Paket. Wird in der Szene "Entenbürzel" genannt.

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Richtig heftig kam der auf 300 PS aufgeputschte Leichtbau-911er namens RSR daher, ein Gruppe-4-Gerät mit 2,8 Litern Hubraum, das als Straßenversion an exakt 49 Kunden ausgegeben wurde. Herbert von Karajan, nicht nur am Pult ein Leistungsfetischist, war einer von ihnen.

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Nach zehn Jahren bekam der Ur-911er im Herbst 1973 einen Nachfolger. Die "G-Serie" war nicht zuletzt eine Bringschuld an die verschärften Sicherheitsauflagen am US-Markt. Das Design von Anatole Lapine kam anfangs gar nicht gut an - ein echtes Indiz dafür, einen Klassiker im Programm zu haben.

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1974 erforderte die Turbo-Version ein paar Eingriffe ins Heck-Design. Ein prächtiger Flügel verwies auf 260 PS, drei Jahre später legte Stuttgart noch einmal nach. Turbo 3.3 mit 300 PS.

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Neben ausreichend Leistung wies die Dekade auch richtige Farben auf, deren Bezeichnungen noch nicht aus der Giftküche professioneller Wortdrechsler kamen: Continentalorange, Irischgrün, Pusstagrün, Sambesigrün, Bahamablau, Indischrot, Perurot oder das sehr schmückende Cockneybraun.

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Es ging aber auch dezenter. Geschäftsmäßiger sozusagen.

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1981 erbarmte sich Porsche der US-amerikanischen Kundschaft und präsentierte das 911 Cabrio. (Es halten sich bis heute Gerüchte, Stuttgart habe dem strengen Befehl eines Kolumnisten des maßgeblichen österreichischen Automagazins entsprochen.) Unterm reduzierten Blech der Studie kam Zukunftsträchtiges zum Einsatz: Allrad plus Turbomotor. (Bis zum Carrera4 sollte es jedoch noch ein wenig dauern.) Das Cabrio war gleichzeitig das Signal, dass der schon mehrmals totgesagte 911er im Porsche-Angebot noch immer eine Zukunft hatte.

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1987 kam Porsche eine hochtechnisierte Wildsau aus: der 959. Das It-Car der späten Achtziger sah zwar aus wie ein Yuppie-911er, war aber kraft Technik und Leistungsdaten eine solitäre Erscheinung. 450 PS, elektronisch gesteuerter Allrad, Sechs-Zylinder-BiTurbo mit Registeraufladung, Bilstein-Fahrwerk - gerade einmal 300 Mal wurde der Energetiker mit dem sagenhaften Einstiegspreis (420.000 D-Mark) an handverlesene Kunden ausgeliefert. Herbert von Karajan war natürlich einer von ihnen.

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Vergleichsweise beschauliche 250 PS akzelerierten ab 1989 die Neuauflage der 911er-Idee, die Serie 964. ABS und Servolenkung ab Werk lösten bei den Puristen einen kleinen Aufruhr aus. Doch der währte nur kurz. (Vielleicht, weil der automatisch aus- und wieder wegklappende Heckflügel für Schnappatmung sorgte). Ein Jungmanager namens Wendelin Wiedeking hat die erratische Produktpolitik des Hauses satt und verlässt Porsche. Er sollte wiederkehren.

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Die 1993 erschienene Porsche-Baureihe 993 lief als letzte mit luftgekühltem Boxer-Sechszylinder und sollte - gemeinsam mit dem Boxster - die Wende beim lange Jahre wirtschaftlich dahinsiechenden Hersteller markieren. Wiedeking war wieder zurück und sollte Porsche zum profitabelsten Autohersteller der Welt machen. (Dann überhob sich der Meister jedoch an der eigenen Hybris.) Im Bild: Ferry Porsche anlässlich der Feier zu einer Million produzierter Porsches. Die Exekutive wird mit einem 2+2-Sitzer bedacht.

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Porsche und Spiegeleier: Der 1997 auflaufende 996 hatte von Anbeginn keine besonders gute Nachrede. Zu weit vom sakrosankten Ur-Gedanken entfernt, zu breit, zu schwer, zu nahe am Boxster und überhaupt: der erste Wassergekühlte. Porsche konterte mit einer Zerspragelung des 911er-Angebots. Zum Schluss gab es nicht weniger als 15 Modellvarianten.

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Ab 2004 war Porsche mit sich und seiner Historie wieder im Reinen: Der 997er rückte den Neunelfer dank Rundscheinwerfern, taillierten Bodys und allerlei Kernoptimierungen wieder ganz hinauf in den Einkaufslisten der Happy Few. Das Siebengang-PDK brachte endlich eine standesgemäße Automatik-Alternative.

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2011 schrieb die Baureihe 991 die Story optisch zart modernisiert weiter. Eine Start-Stopp-Automatik vermochte niemand mehr zu verstören. Zum 50-Jahr-Jubiläums des 911ers kommt Vehementes: GT3 und GT3 Cup. Der Jubilar ist also noch immer in vollem Saft. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 9.4.2013)

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