Um Ideen zu entwickeln, müsse man mit "ausgreckten Antennen" durch seine Umwelt treiben

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Wie kommt es, dass manche Menschen sich noch so sehr den Kopf zerbrechen können und trotzdem keine neuen Ideen finden, während andere die Ideen problemlos aus dem Ärmel schütteln?

Forscher beleuchten diese Frage immer wieder von allen Seiten: Ist Kreativität eine angeborene Begabung oder ist sie ein kognitiver Prozess, den jeder in Gang bringen kann? Oft finden sie dabei überraschende neue Techniken.

Einige neue Studien zeigen, dass das Aha-Erlebnis am besten zu erreichen ist, wenn man kurze Zeit Abstand zur Tretmühle nimmt. In einer Studie aus dem Jahr 2012 in der Fachzeitschrift Psychological Science heißt es, Menschen kommen leichter auf Ideen, wenn sie Pausen einlegen, um einfache Routineaufgaben zu erledigen und dabei die Gedanken ziehen lassen.

Das erklärt, warum vielen Menschen während "Übergangsphasen" die besten Einfälle kommen, sei es beim Aufwachen oder beim Einschlafen, in der Dusche oder beim Joggen, sagt Jennifer Wiley, Psychologieprofessorin an der University of Illinois in Chicago.

Jahrelang versuchte Amy Baxter, eine Ärztin und Schmerzforscherin, den Schmerz von Kindern bei Impfungen mit Kälte zu lindern. Doch ihr Aha-Erlebnis kam eines Nachts, als sie nach einem besonders langen Arbeitstag in der Notaufnahme nach Hause fuhr.

Das Lenkrad ihres Autos vibrierte, weil ihre Reifen schlecht ausgewuchtet waren. Als sie zu Hause ankam, merkte sie, dass ihre Hände taub waren. Mithilfe ihres Ehemanns Louis kam sie zu dem Schluss: Kombiniert man Vibration mit Kälte, könnte das den Schmerz einer Spritze lindern. "Nach einer Nachtschicht ist der Kopf offener für neue Gedanken", sagt Baxter. "Dann stellt man Verbindungen her, auf die man sonst nicht käme."

Sie hielt ein vibrierendes Massagegerät und eine Tüte mit gefrorenen Erbsen an den Arm ihres siebenjährigen Sohnes Max und rollte dann ein Metallrädchen über seine Haut, mit dem Neurologen Empfindlichkeit testen. Max spürte nichts. Aus dieser Entdeckung ging der "Buzzy" hervor, eine vibrierende Biene mit einem kleinen Eisbeutel, die heute in 500 Krankenhäusern genutzt wird, um Kindern Spritzen und Infusionen erträglicher zu machen, sagt Baxter, Chefin von MMJ Labs in Atlanta.

Baxters Ideenreichtum mitten in der Nacht war kein Zufall. In einer Studie aus dem Jahr 2011 lösten Studenten besonders gut Probleme, wenn sie sie zu Zeiten angingen, die sonst als leistungsschwache Phasen gelten. Frühaufsteher waren abends besonders kreativ, Nachteulen hingegen morgens, heißt es in der Studie, die in der Zeitschrift Thinking & Reasoning veröffentlicht wurde.

Das geht gegen die typische Annahme, dass sich Probleme leichter lösen lassen, wenn man sich konzentriert und sich nicht ablenken lässt. "Wenn man sich zu sehr konzentriert, verpasst man neue Ideen", sagt Wiley.

Gedanken ziehen lassen

Natürlich spielt auch die Persönlichkeit eine Rolle beim kreativen Prozess. Menschen, die sich bei Persönlichkeitstests als besonders offen für neue Erfahrungen herausstellen, sind oft auch neugieriger und leichter abzulenken, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2010 aus dem Creativity Research Journal. Von 158 Studenten konnten die, die weniger gehemmt und empfänglicher für Reize waren, mehr Ideen generieren als andere, heißt es in der britischen Studie.

Auch die Farbe grün könnte die Kreativität ankurbeln, heißt es in einer Studie aus dem vergangenen Jahr. Dabei bekamen Studenten Kreativitätstests. Wer einen Testbogen mit einem grünen Hintergrund bekam, hatte kreativere Ideen als diejenigen, die weiße, blaue, rote oder graue Testbögen vor sich hatten. Manche sehen die Farbe grün als Symbol für Fruchtbarkeit, Wachstum und Erneuerung, wodurch sich ihre Stimmung verbessert und ihr Ehrgeiz steigt, heißt es in der Studie von Forschern an der Universität München.

Wer seine Gedanken zwischendurch ziehen lässt, gibt seinem Gehirn die Chance, neue Lösungswege für altbekannte Probleme zu finden, heißt es in einer Studie in der Zeitschrift Psychological Science aus dem Jahr 2012. Bei einem Kreativitätstest sollten 145 Studenten sich so viele neue Anwendungsgebiete für Alltagsgegenstände wie Zahnstocher und Backsteine einfallen lassen wie möglich. Dann wurden sie in vier Gruppen eingeteilt. Drei Gruppen durften zwölf Minuten lang eine Pause machen, während der sie andere Aufgaben erledigen sollten. Eine vierte Gruppe arbeitete sofort weiter.

Die Studenten, die während einer Pause einfache, langweilige Aufgaben erledigten, hatten danach kreativere Ideen als die, die in ihrer Pause eine schwere Denkaufgabe lösten, sich ausruhten oder keine Pause einlegten, heißt es in der Studie.

Ein leichter Alkoholkonsum kann offenbar ebenfalls dafür sorgen, dass die Ideen besser fließen. Laut der Psychologieprofessorin Wiley sind viele Menschen dann eher in der Lage, Veränderungen oder Einflüsse aus der Umwelt wahrzunehmen als in einem komplett nüchternen Zustand. Bei einer Studie aus dem Jahr 2012 an der University of Illinois in Chicago schnitten Studenten, die einen Blutalkoholgehalt von 0,75 Promille hatten, besser bei Verständnistests ab als nüchterne.

Andere Studien zeigen, dass es schon reichen könnte, lustige Videos anzusehen, um die gute Laune hervorzurufen, die zu einer höheren Kreativität beiträgt.

Für manche Menschen kann es auch hilfreich sein, das Gehirn auf den kreativen Prozess vorzubereiten. Tor Myhren, der in der Werbebranche arbeitet und schon viele erfolgreiche Kampagnen wie die für den Online-Broker E-Trade entwickelt hat, sagt, er nutze "massive kreative Reize, gefolgt von einer Phase der kompletten Isolation", um auf Ideen zu kommen.

Inspiration beim Mittagessen

Vor kurzem bereitete er sich vor, indem er das Magazin Wired von vorne bis hinten las, danach den Film „Django Unchained" im Kino ansah. "Wenn ich mein Gehirn richtig vorbereite und es richtig füttere, kann ich das schaffen", sagt er.

Die E-Trade-Kampagne schrieb er zum Teil, während er nachts in seinem Büro saß, an einem Glas Whiskey nippte und dabei Musik von Radiohead hörte, sagt er. "Für mich ist eine Idee nicht nur ein Gedankenblitz. Ich muss daran arbeiten", sagt er.

Es kann auch hilfreich sein, sein Spezialgebiet zu verlassen, um auf neue Ideen zu kommen, heißt es in mehreren Studien. Der Marktforscher Sterling Lanier zum Beispiel suchte vor einigen Jahren lange Zeit vergeblich nach neuen Geschäftsideen. "Dann entspannte ich mich etwas, ging mit Freunden Mittagessen, erzählte Geschichten, während wie Bier tranken", sagt er. Eine Freundin, die als Krebsepidemiologin arbeitet, erzählte, wie schwer es sei, ihre Studienteilnehmer dazu zu bringen, lange medizinische Fragebögen mit 400 Fragen auszufüllen.

Dann kam sein Aha-Erlebnis: "Du musst es unterhaltsamer machen. Auf einem iPad kann das Spaß machen und nutzerfreundlicher sein", sagte er zu ihr. Mithilfe von Marktforschungstechniken entwickelte er einen bunten, spielerischen medizinischen Fragebogen, der zur Basis für sein neues Unternehmen Tonic Health wurde. Immer mehr Universitätskliniken nutzen das Produkt.

Um auf eine gute Idee zu kommen, sagt Lanier, müsse man "mit ausgestreckten Antennen durch seine Umwelt treiben, so wie ein Schmetterling, und warten, bis etwas die Antenne anfunkt". (Sue Shellenbarger, Wsj.de/derStandard.at, 8.4.2013)