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Peter Seisenbacher, der zweifache Olympionike, hat etwas zugelegt. Was daran liegt, dass er zunächst als Trainer an der Matte steht und seine Schützlinge kontrolliert, ehe er den gleichen Appetit entwickelt wie die hart Trainierenden. Er gelobt Besserung: "Ich weiß, dass ich eine der drei Mahlzeiten auslassen muss."

Foto: APA/Fohringer

Kienbaum/Wien - Am Ende eines langen Telefonats kommt man auf die alten und neuen Fotos zu sprechen. Naturgemäß gibt es Peter Seisenbachers in den Archiven, auch wenn die in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts noch nicht so emsig befüllt worden sind wie jene des digitalen Zeitalters. Schließlich hat es der Mann auf zwei olympische Goldmedaillen gebracht, und er war der erste, dem das bei zwei aufeinanderfolgenden Spielen gelang, 1984 in Los Angeles und 1988 in Seoul.

Abgesehen davon, dass ihm dies der japanische Schwergewichtler Hitoshi Saito in Korea zwei Tage später nachmachte, sagt der damalige Mittelgewichtler (bis 86 kg) Peter Seisenbacher fast 25 Jahre später: "So schau ich aber nicht mehr aus." Was ein quasi naturgetreues Bild aus der Jetztzeit betrifft, passe aber jenes aus London ganz gut. Anlässlich der Sommerspiele 2012, die für Österreichs Abordnungen bekanntlich medaillenlos verliefen, stand er als Trainer des georgischen Teams an der Matte und durfte über die Goldene seines maximal 66 Kilogramm schweren Schützlings Lascha Schawdatuaschwili jubeln.

Kontrolle

"Ich habe etwas zugenommen", sagt der 53-jährige Seisenbacher und erklärt, weshalb dem so ist. "Ich bin ein Kontrollfreak, stehe den ganzen Tag an der Matte und schaue meinen Burschen zu. Die trainieren sehr viel", erzählt er, der weiland in seiner aktiven Zeit geradezu wie besessen trainierte. "Sie gehen dreimal am Tag essen, und ich gehe mit. Ich sollte nur noch zweimal am Tag essen."

Gegenwärtig kontrolliert Seisenbacher in Kienbaum bei Berlin, in der früheren Kaderschmiede des DDR-Sports. Dorthin haben die deutschen Judoka zwecks gemeinsamen Trainings Aserbaidschans Team eingeladen, welches der zweifache Olympionike nach den London-Spielen übernommen hatte, um es für Olympia 2016 in Rio de Janeiro aufzubauen. Die Aufgabe ist ähnlich wie jene in Georgien. Denn seit der internationale Judoverband Regeländerungen einführte, gewisse Techniken verbot, tun sich die Kämpfer aus dem Kaukasus, die einen Ringer-ähnlichen Stil pflegen, etwas schwer. "Und ich soll sie aus der Sackgasse herausführen" , erklärt Seisenbacher.

Zu seinem Sport sagt er "Tschudo", ihn Judo zu nennen, sei aber nicht falsch. Die Aussprache "Tschudo" verwenden jene, die der japanischen Schule anhängen, während Judo aus der koreanischen Schule stammt.

Seisenbacher, der Japaner

Judomäßig ist Seisenbacher, der Österreicher aus Wien, eindeutig Japaner. Denn als sich abzeichnete, dass sportlich was werden könnte aus dem gelernten Goldschmied, als er als Profisportler zum Bundesheer kam, setzten er und seine Trainer alles daran, dass er seinen Sport so oft wie nur möglich in Japan studiere. "Das Förderwesen bei uns hat gut funktioniert", erinnert er sich. Es sei genug Geld aufgestellt worden. "Das war früher leichter als heute. Es lag auch an den Medien, vor allem am öffentlichen Rundfunk, der noch nicht so auf Quote aus war. Im Fernsehen wurden auch Judo, Tischtennis oder Handball gezeigt, nicht nur Fußball, Ski oder Formel 1."

Seit 1980 übte Seisenbacher regelmäßig in Japan, die Untergrenze eines Aufenthalts war ein Monat, mitunter waren es aber auch zwölf Wochen am Stück. "Da hab ich viel gelernt über Periodisierung, wann man welche Einheiten im Kalenderjahr unterbringt, wie man sich richtig zum Höhepunkt hin aufbaut. Dieses Wissen ist ja damals erst entstanden. Davon profitiere ich jetzt als Trainer."

Mit der japanischen Mentalität hatte er kein Problem. "Als Sportler bist du dort in der Hierarchie relativ weit unten. Aber ich war in die Gruppe eingebunden, aufgrund meiner Leistungen wurde ich anerkannt, wir führten ein Studentenleben. Wenn man ein halbwegs vernünftiger Kerl ist, dann hat man seinen Lenz." Im Westen, erzählt Seisenbacher, gab es dazu durchaus unterschiedliche Anschauungen. "Viele haben gesagt, wir brauchen die Japaner nicht, wir können das selber. Ich habe mir gedacht, ich lerne was von ihnen, kopiere ein paar Dinge und mache es dann besser."

Und weil die Gruppe eine Gruppe bleibt, könne er sich auch jetzt noch auf sie verlassen. "Wenn du mit jemandem trainierst, wenn du dich gemeinsam quälst, mit jemandem nach genauen Regeln auf der Matte kämpfst, dann spürst du seinen Charakter. Das ist etwas anderes, als wenn du mit jemandem auf einen Kaffee gehst."

Eigene Menschen

Judoka seien ein eigener Menschenschlag und auf der halben Welt verteilt und vernetzt. "Uns war von vornherein klar, dass wir nicht reich werden können. Aber wir können uns aufeinander immer noch verlassen. Wenn ich nach 20 Jahren den Präsident vom japanischen Judoverband anrufe, dann kenn ich seinen Charakter, und er kennt meinen. Wir waren Trainingspartner damals."

Seisenbacher, der sportlich hoch dekorierte, der auch WM- und EM-Gold gewann, dreimal zu Österreichs Sportler des Jahres gewählt wurde, machte nach seiner Karriere den Generalsekretär der österreichischen Sporthilfe. Und scheiterte. "Wenn man als Sportler, der gewohnt ist. Ziele zu hundert Prozent zu verfolgen, in die Politik geht, dann kann das nicht reibungslos verlaufen. Ich glaube, dass vor dem Erfolg die Arbeit steht. Manche glauben, vor dem Erfolg steht die Diskussion. Aber irgendwie war es lustig damals. Die Erfahrung möchte ich nicht missen."

Nach der Watschenaffäre

Auch während seiner Tätigkeit als Trainer in der Heimat gab's immer wieder Wickel, als Chefcoach des österreichischen Teams wurde er nach einer Watschenaffäre entlassen. Ehe ihn der Ruf aus Georgien erreichte, trainierte er den Nachwuchs der Hakoah. Seisenbacher zur insgesamt doch konfliktreichen Zeit: "Vom Typ her bin ich etwas zu grob für die österreichische Mentalität."

Jetzt lebt er, wenn er nicht gerade mit seinen Judoka unterwegs ist, mit seiner Lebensgefährtin und deren beiden Kindern in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Seine Burschen, sagt er, also Aserbaidschans Medaillengewinner ins spe, sprechen ein wenig Englisch, und die judospezifischen Ausdrücke seien international. Dennoch ist ihm sicherheitshalber ein Dolmetscher behilflich.

Ob er, Seisenbacher, mitunter an die Goldenen, an die glorreiche Zeit denkt, schließlich diene diese Serie ja auch dazu, die alten G'schichtln wieder aufzuwärmen? "Na ja, ich kann zufrieden sein. Ich bin schon froh, dass sie im Ladel sind. Sie sind ja die Basis für das, was ich jetzt mache. Und jetzt werde ich wieder daran erinnert. Aber ich schau lieber nach vor als zurück. Ich habe keine Zeit für Beschaulichkeit. Ich bin immer noch ehrgeizig." (Benno Zelsacher, DER STANDARD, 7.4.2013)