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Dominante, monströse Arbeit: der Meister vor einem gestisch übermalten Schüttbild aus 2012.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Schüttbild von Nitsch aus 1960: "Brot und Wein".

Foto: Nitsch Museum

Mistelbach - Auch 2013 ist das Jahr des Hermann Nitsch. Denn der Gesamtkunstwerker, der am 29. August 75 Jahre alt wird, wurde zum ersten Mal in seinem Leben eingeladen, an der Kunstbiennale von Venedig teilzunehmen. Nein, nicht von Österreich, sondern von Kuba. In Havanna war Nitsch letzten Herbst mit Ehrendoktorwürden bedacht worden. Und seine dortige Aktion wurde bejubelt.

Wenige Tage später, von 21. bis 23. Juni, findet im Rahmen der Leipziger Festspiele ein 3-Tage-Spiel statt. Mit dem komplexen, durchgehenden 3-Tage-Spiel des Orgien Mysterien Theaters, das Nitsch 1984 unter wilden Protesten von Tierschützern auf seinem Schloss zur Uraufführung brachte, ist es zwar nicht vergleichbar: Es besteht aus drei abgeschlossenen Einheiten; am ersten Tag geht es um die Musik von Nitsch, am zweiten findet eine vielstündige Aktion statt, am dritten soll es ein großes Fest für alle Sinne geben. Dieses 3-Tage-Spiel mit insgesamt rund 150 Beteiligten wird aber das bisher größte Nitsch-Spektakel außerhalb von Prinzendorf sein.

Auch wenn seine Kräfte "langsam versiegen" würden, wie Nitsch meint, hat er nicht vor, in Pension zu gehen: "Das verachte ich zutiefst!" Er sinniert bereits über eine neue, völlig überarbeitete Version des 6-Tage-Spiels. Sie soll Ende Juli 2014 in Prinzendorf zur Aufführung gelangen.

Mit diesem Ereignis, das erst einzutreten hat, endet eine 36 Meter lange " Timeline" im Nitsch Museum von Mistelbach. Sie erzählt das Leben des Rauschebarts mit knappen Erklärungen und vielen Videos nach: von 1957, als er die Idee des Orgien Mysterien Theaters gebar, das alle fünf Sinne der Spielteilnehmer direkt beansprucht, bis in die nahe Zukunft. Dass die Mailänder Oper 2015 die Münchner Nitsch-Inszenierung von Olivier Messiaens Oper Saint François d'Assise übernimmt, fehlt allerdings noch.

Aber nicht nur das "Seitenschiff", wie man die kleine Halle des ehemaligen Industriebaus zu nennen pflegt, ist neu gestaltet: Das Nitsch Museum, nun ohne Vornamen im Titel, präsentiert sich komplett runderneuert. Denn letztes Jahr hat Michael Karrer, der Chef der Nitsch Foundation in Wien, die Gesamtleitung übernommen. Die vom Land gewährte Subvention bleibt gleich (250.000 Euro), für den Neustart gibt es eine kleine, noch nicht quantifizierte Sonderdotation.

Karrer geht es nicht um Synergieeffekte, sondern, wie er sagt, um die strategisch ausgerichtete "Gesamtpositionierung des Künstlers": Die Zusammenarbeit mit dem privaten Nitsch Museum in Neapel soll verstärkt, die Attraktivität des Standortes Mistelbach erhöht werden. Er hofft, die Besucherzahl von 25.000 auf deren 40.000 pushen zu können.

Erster Schritt ist eine Retro-spektive anlässlich Nitschs 75. Geburtstages, die heute, Samstag, um 18.30 Uhr mit Schutzpatron Erwin Pröll und einer einstündigen Live-Performance, bestehend aus zwei parallel stattfindenden Schüttaktionen an den Stirnwänden des " Hauptschiffes", eröffnet wird. Sie trägt den schönen Titel Sinne und Sein. Schließlich geht es immer um die Existenz und um die Sinne bis hin zur Ektase.

Eigentlich sah man in den letzten Jahren immer wieder Nitsch-Retrospektiven im Museumszentrum von Mistelbach. Beziehungsweise: Umfangreichere Sammlungen wurden als "Retrospektiven" vermarktet. Doch das Werk von Nitsch ist derart vielfältig und überbordend, dass jedes Jahr ein neuer, immer etwas anderer Rückblick auf das mittlerweile fast sechs Dezennien umfassende Schaffen geworfen werden kann.

Die feierliche "Krypta" mit dem kunterbunten Geruchs- und Geschmackslabor blieb unangetastet. Auf Zeichnungen aus den 50er-Jahren und Partituren wurde verzichtet. Aber im "Hauptschiff" präsentiert Karrer die in ihrem Umfang bisher völlig unbekannte Sammlung von Julius Hummel. Dem Wiener Kunsthändlers gelang es, ein paar wirklich singuläre Werke zusammenzutragen, darunter mehrere Schüttbilder aus dem Jahr 1960. Ein geradezu prototypisches Bild trägt den Titel Brot und Wein. Aus der Sammlung Hummel stammen auch etliche Skulpturen (wie Aktionsmalerei auf Frauentorso aus 1987 und Oedipus) sowie Reliktmontagen.

Ergänzt werden die Leihgaben durch Relikte, Zeichnungen, großformatige Schüttbilder und dokumentarische Fotografien von Aktionen. Die jüngste Arbeit, ein gestisch überarbeitetes, sehr dominantes, geradezu monströses Schüttbild stammt aus 2012. Die Schau ist dicht, feierlich - und ob der Sammlung Hummel auch für Nitsch-Kenner spannend. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 6./7.4.2013)