Großer Saal. Der Innenraum ist die große Stärke des neuen und sehr, sehr großen Musiktheaters: gedämpfte Akazie, roter Samt und goldfarbener Metallfilm auf den Rängen.

Foto: Sigrid Rauchdobler

"Dort! Ein Licht!", sagt der eine. "Ein Haus!", entgegnet der andere. Dies sind die ersten Worte von Philip Glass' Oper Spuren der Verirrten, die kommenden Freitag zur Eröffnung des Linzer Musiktheaters im Großen Saal uraufgeführt wird. Es geht um ziellos herumirrende Gestalten auf der Bühne, um Zuschauer, Protagonisten und Passanten. Glaubt man den Worten David Pountneys, der für die Inszenierung des Verirrungsdebüts verantwortlich ist, "so wissen wir nicht, wo wir herkommen, und schon gar nicht wissen wir, wo wir hinwollen."

Schon ist über das neue Musiktheater am Rande des Volksgartens, nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, alles gesagt. Man kann sich kaum erklären, wie dieses enorme, megalomanische Bauwerk mit seinen 150 Metern Länge zustande kam. Und schon gar nicht hat man eine Erklärung dafür, wie die neue Spielstätte mit ihren mehr als 1700 Sitzplätzen und ihren zahlreichen Nebenbühnen in den noch viel zahlreicheren Pausenfoyers in Zukunft kontinuierlich bespielt werden soll.

"Stimmt schon, das ist ein großes Gebäude", sagt Reinhard Mattes, Landeskulturdirektor Oberösterreich, dem Standard, "aber wir haben mit diesem Haus auch Großes vor. Erstmals gibt es in Linz ein Opernhaus für große Inszenierungen, von Operetten über Musicals und Ballett bis hin zu großen Opernproduktionen. Wir rechnen mit einem Einzugsgebiet mit 300 Kilometern Radius." Das wird man auch brauchen. Denn mit knapp 11.000 Quadratmetern Grundfläche ist das Linzer Musiktheater gerade mal um ein paar Ecken kleiner als die 1875 eröffnete Opéra Garnier in Paris. Das ist ein Statement.

30 Jahre Geschichte, ein Drama

Mehr als 30 Jahre lang reichen die Pläne für ein Linzer Opernhaus zurück. Das Vorgängerprojekt "Oper im Berg" vom Wiener Architekten Otto Häuselmayer befand sich bereits in Bau, als die FPÖ im November 2000 eine Volksbefragung machte und das gesamte Bauvorhaben auf einen Schlag zu Fall brachte. "Mir hat der Baustopp damals extrem leidgetan", meint Mattes, "doch heute im Vergleich sehe ich, dass das neue Musiktheater architektonisch und funktionell eindeutig die bessere Lösung ist."

Tausende von Dirigenten waren an der Planung dieses Gebäudes beteiligt. Der Grundentwurf geht auf den britischen Architekten Terry Pawson zurück, der aus dem 2006 ausgeschriebenen Architekturwettbewerb mit einem zeitlos eleganten Projekt als Sieger hervorgegangen war.

Sein Fehler: Den Bauherren, Stadt Linz und Musiktheater Linz (MTL) GmbH, schlug er eine Fassade aus verrosteten Stahlplatten vor. Der oberösterreichischen Landeshauptstadt, die sich von ihrem staubigen Voest-Charme schon seit Jahren mit aller Kraft zu trennen versucht, war diese Lösung ein Dorn im Auge. Alles, nur kein "Klotz mit Rosthülle" (O-Ton Josef Pühringer)! Die Kompromisse gestalteten sich schwierig. Abgang Pawson.

Auftritt Architektur-Consult (Wien, Graz, Klagenfurt) und Archinauten (Linz). Die beiden österreichischen Büros übernehmen von nun an die Planung. Unzählige Fassadenentwürfe werden erarbeitet, erst nach etlichen Varianten ist eine Lösung gefunden, die auch Landeshauptmann Pühringer zufriedenstellt: Beton, Travertin und dunkles, fast schwarzes vorpatiniertes Messing. Allein, die rund ein Meter dicke Außenwandkonstruktion wirkt sich auf die Zartheit des Gebäudes nicht gerade begünstigend aus.

"Die Fassade ist der Idee eines umlaufenden Vorhangs nachempfunden", erklärt Architekt Christian Halm, Projektleiter bei Architektur-Consult, kleines, schelmisches Grinsen inklusive. "Die hellen Betonpfeiler kann man im weitesten Sinne als Faltenwurf eines Vorhangs betrachten. Aber das ist Interpretationssache." Tonnenschwer hängen zwischen den 698 Lisenen aus Weißzement gespaltene, gebrochene Platten aus italienischem Travertin. Das Bildmetapher eines wollig weichen Bühnensamtes ist fast überzeugend. Ende des ersten Aktes. Pause.

Da kommt Deus ex Machina!

Bis zu diesem Zeitpunkt ist das neue Linzer Opernhaus eine dramatische Enttäuschung, ein stadtplanerisches und gestalterisches Malheur in Übergröße. Kostenpunkt: 150 Millionen Euro (nicht indexiert, Stand 2006). Doch mit dem Eintreten ins Innere offenbart sich auf einmal, wie aus dem Nichts, eine wohltemperierte Material- und Detailsymphonie, die das Auge für alles bisher Gesehene gebührlich entschädigt. Hier ist den Architekten ein Deus ex Machina geglückt.

Da fügen sich Eichenböden und gedämpfte Akazie zu einer feinen Terz aus Hell und Dunkel, da wird hochglanzpolierter Untersberger Marmor mit kleinen, feinen Accessoires aus matt poliertem Messing kombiniert. Und immer wieder Rauchglas und feines, mondänes Seventies-Flair. Fehlt nur noch Cord und moccabrauner Hahnentritt.

"Wir wollten keine schreierische Architekturikone bauen", meint Andreas Dworschak, Projektleiter bei den Linzer Archinauten. "Stattdessen wollten wir ein Theater schaffen, das viele Jahrzehnte Gültigkeit bewahren kann. Der Stil ist klassisch, pragmatisch, zurückhaltend. Ich denke, man könnte die Innenraumgestaltung als britisches Understatement bezeichnen."

Highlight im Foyer ist, neben weiteren Kunstwerken von Klaus Pinter und Oliver Dorfer, die Riesenorgel Tangosaurus des Grazer Künstlers Constantin Luser. Die in die Holzwand integrierte Klanginstallation aus hübsch geführten Messingleitungen wird mit Druckluft gespeist und bittet auf diese Weise das Publikum mit wunderbarem Klang, sich in den Saal zu begeben und die Plätze einzunehmen.

Der Weg dorthin ist eine Freude. Der Große Saal, der je nach Bestuhlung zwischen 970 und 1250 Sitzplätze fasst, gleicht einer dunklen Nussschale mit knallroten Plüschfauteuils und güldenen Rängen rundherum. Die Farbe ist eigentlich eine Flüssigmetallbeschichtung aus 90 Prozent Metall und zehn Prozent Bindemittel. Die Beschichtung, für die erst ein Fertigungsunternehmen mit entsprechenden Qualifikationen gesucht werden musste, war ein Experiment - gelungen.

Und über allem hängt die Neuinterpretation eines klassischen Lusters, eine Art Licht-Donut mit Kunststoffmembran und 48.000 LEDs. Der Saal ist großes Theater.

Alles unter einem Dach

"Doch die wahre Besonderheit dieses Saals ist die Erschließung", sagt Dworschak, "die Auf- und Abgänge zu den einzelnen Rängen befinden sich nämlich alle innerhalb der Saalmauern. Dadurch entsteht ein räumliches Ganzes, in dem die Musik bis in die letzten Stiegenecken vordringt." Dem Klang tut dies keinen Abbruch. Die Akustikplanung stammt von Bernd Quiring, der auch schon den Konzertsaal der Wiener Sängerknaben und das kürzlich eröffnete Festspielhaus Erl geplant hatte.

Letzte Szene. Was bleibt, ist der Eindruck eines überdimensionalen Opus magnum, an das man sich nicht und nicht gewöhnen kann. Doch zur Rechtfertigung sei gesagt, dass die Größe nicht zuletzt auch ein geschickter infrastruktureller Schachzug für Linz ist. Erstmals in der Geschichte der Stadt werden Theater, Produktion, Werkstätten und Depot zentral gebündelt und unter einem Dach vereint. Es gibt Produktionssäle für Tischler, Schlosser, Maler, Näher und Kaschierer. Damit wird die Logistik in Zukunft einfacher und billiger.

Für die Besucher ändert das nichts. Spurlos werden sie weiterhin in der Verirrung herumwandern und ob der schieren Orientierungslosigkeit den Kopf schütteln. Philip Glass. Letzter Auftritt der Passanten. "Wo sind wir?" Vorhang fällt. (Wojciech Czaja, Album, DER STANDARD, 6./7.4.2013)