Vor einigen Wochen sind die Flüchtlinge aus der Votivkirche ins Servitenkloster umgezogen - ihr Protest geht auch dort weiter.

Foto: Philip Bauer

Heute Morgen betrat ich verschlafen die Pfarrkanzlei der Wiener Servitenkirche. Pater Gregor empfing mich, er ist hier der letzte Servite. Als der Orden vor einigen Jahren nach Gutenstein übersiedelte, da die Erhaltung des Klosters am Alsergrund zu teuer war, ist Pater Gregor als einziger verblieben. In der Seelsorge habe er viel zu tun, hieß es damals. Er ist 85 Jahre alt und immer beschäftigt. Wenn ich im Winter durch den Schnee zur U-Bahn stapfe, steht er manchmal vor der Kirche und schaufelt den Eingangsbereich frei.

Pater Gregor hat mich getauft, gefirmt, getraut. Als meine Großmutter im Sterben lag, hat er sich an ihr Bett gesetzt. Zu einem gläubigen Christen hat er mich trotzdem nicht machen können. Das macht nichts, ihm auch nicht, wir unterhalten uns trotzdem gerne. Meist muss ich ihm meinen Namen kurz in Erinnerung rufen, dann aber erzählt er mir Geschichten aus seiner Kindheit als Bergbauernkind. Er spricht von Wiesen, Bächen und Ziegen. Er scheint in einfachsten familiären Verhältnissen aufgewachsen zu sein. Wenn ich mich nach seinem Wohlbefinden erkundige, kennt er nur eine Antwort: "Ich bin zufrieden."

Ein lautstarkes Telefonat ohne Abschied

Plötzlich, ja, so machen das Telefone, läutet sein Festnetz. Er entschuldigt sich, hebt ab. Ich höre eine wild schreiende Frau, sie ist fürchterlich aufgeregt, in Rage. Irgendwann legt sie auf, offensichtlich ohne sich vorher zu verabschieden. Pater Gregor schüttelt ungläubig den Kopf. Meine Neugierde ist geweckt, ich frage nach. Es ging um die Asylwerber. Im März zogen derer 63 von der Votivkirche in das zur Servitenkirche gehörige Kloster um. Und das trieb die Frau auf die Palme, ihrem Unmut ließ sie eben freien Lauf.

"Gibt es denn Probleme mit den Asylwerbern?", frage ich. Grundsätzlich nicht, erzählt mir Pater Gregor. Für manchen Streit unter den Flüchtlingen zeigt er Verständnis: "Einige haben Familien verloren, sehr viel durchgemacht und sind angespannt." Die Intention der Anruferin ist ihm hingegen schleierhaft: "Muss diese Frau denn die Menschen versorgen?" Ich verneine. "Na eben!", ruft er voll Inbrunst. Bei unserer Verabschiedung sagt mir der kleine Mann mit sanfter Stimme: "Vergessen Sie nie, wir sind alle Menschen, uns könnte es genauso gehen." Ich mache mich auf den Weg zur Rossauer Lände, auf in die Arbeit. Jetzt bin ich munter. (Philip Bauer, derStandard.at, 5.4.2013)