Bild nicht mehr verfügbar.

Unterstützer der pakistanischen Muslim-Liga (PML-N) bei einer Wahlkundgebung.

Foto: AP/Naveed

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Abzug der ISAF-Truppen könnte erschwert werden, sollte die neue pakistanische Regierung die Routen durch das Land sperren.

Grafik: APA

Ein grünes Fahnenmeer, Menschenmassen, Euphorie. Dann plötzlich eine Explosion, Schüsse und Panik. Mitten im Wahlkampf 2007 kam Benazir Bhutto, Pakistans ehemalige Premierministerin, bei einem Anschlag auf ihre Wahlveranstaltung ums Leben. Heute, fünf Jahre später und knapp vor dem nächsten Wahlgang am 11. Mai, ist die Situation für Kandiaten liberaler Parteien noch gefährlicher geworden. Seit der Bhutto-Staatsanwalt Chaudhry Zulfiqar auf offener Straße erschossen wurde und die pakistanischen Taliban (TTP) in Videobotschaften davor warnten, sich auf Veranstaltungen der Pakistanischen Volkspartei (PPP), der Muttahida-Qaumi-Bewegung (MQM) oder der Awami-Nationalpartei (ANP) aufzuhalten, riskiert es keiner der Spitzenkandidaten mehr, auf öffentlichen Bühnen dem Wahlvolk zuzuwinken. Dieser Tage sieht man die Kandidaten, wenn überhaupt, nur auf Wahlplakaten oder, wie im Fall von Bilawal Bhutto Zardari, dem Witwer Benazir Bhuttos, in aufgezeichneten Videoansprachen.

Schusssichere Westen für Politiker

Doch auch wenn bisher keine prominenten Parteivorsitzenden zu Schaden kamen, ist die vorläufige Bilanz des Wahlkampfs eine blutige. Fast täglich werden Bombenanschläge der Taliban auf Parteibüros und Wahlveranstaltungen gemeldet. Bis vor kurzem weigerten sich viele Lokalpolitiker noch, kugelsichere Westen zu tragen, solange es nicht dieselben Schutzmaßnahmen für ihre Anhänger gebe. Nach mehr als 60 Todesopfern seit Anfang April macht sich aber doch die Einsicht breit, dass es anders nicht geht. Die Awami-Nationalpartei sieht deshalb derzeit von öffentlichen Wahlveranstaltungen ab, und versucht durch gezieltes Gehen von Tür zu Tür ihre Wähler zu mobilisieren und hält aus Angst vor Anschlägen sogar die Namen einiger Kandidaten zurück.

Aufräumen nach einem Bombenanschlag in Peshawar. Foto: Reuters/Aziz

Die drei liberalen Parteien PPP, MQM und ANP sind den Taliban ein Dorn im Auge, nicht zuletzt deshalb, weil sie Teil der letzten pakistanischen Regierung waren. Religiöse und rechte Parteien bleiben von den Anschlägen weitgehend verschont und können sich frei bewegen. Unbestätigten Berichten zufolge fungieren die Taliban sogar als Wahlhelfer für die rechten Parteien. "Dieses gezielte Vorgehen gegen liberale Parteien haben wir bis dato noch nie vor Wahlen in Pakistan gesehen", sagt Ishtiaq Ahmad, Politologe an der Universität Oxford. Er interpretiert die Anschläge als eindeutiges Druckmittel, um den Ausgang der Wahl zu beeinflussen. Die Angst vor Terror könnte tatsächlich viele der ehemaligen Wähler dazu bewegen, nicht zur Wahl zu gehen oder einer anderen Partei die Stimme zu geben.

Schlechtes Zeugnis für Regierung

Die desaströse Bilanz der letzten Regierung, in der die Pakistanische Volkspartei den Premier stellte, wird ebenfalls zum erwarteten schlechten Abschneiden beitragen. In den vergangenen Jahren haben Terroranschläge und damit die Anzahl der zivilen Todesopfer drastisch zugenommen. Steigende Inflation und eine schlechte Wirtschaftslage inklusive regelmäßiger Stromausfälle sorgen dafür, dass die ohnehin großteils verarmte Bevölkerung auch abseits davon um ihr Überleben kämpfen muss. Korruption sind Tür und Tor geöffnet, Pakistan befindet sich im entsprechenden Index von Transparency International auf einem der hinteren Plätze.


Imran Khan ist die große Unbekannte in der Gleichung des Wahlausgangs. Foto: APA/EPA/Khan

Es wird deshalb erwartet, dass die Pakistanische Volkspartei große Wählerverluste hinnehmen muss. Laut dem Gallup-Institut in Pakistan könnten sich dieses Mal nur 17 Prozent der Wähler für die PPP entscheiden, bei ihrem Wahlsieg 2008 waren es noch 30 Prozent. Hingegen ist die Muslimliga (PML-N) unter Nawaz Sharif derzeit im Höhenflug. Gallup sieht die Partei mit 41 Prozent als eindeutigen Wahlsieger. Ein gutes Abschneiden wird auch der Pakistanischen Bewegung für Gerechtigkeit (PTI) prognostiziert, deren Aushängeschild deren Gründer und ehemalige Cricketspieler Imran Khan ist. Derzeit noch mäßig in den Umfragen, wird erwartet, dass sich das Blatt für die Partei am Wahltag in eine sehr positive Richtung drehen kann. Gallup nennt das den "Imran-Khan-Faktor", der den Ausgang der Wahl noch unvorhersehbarer macht, als er ohnehin schon ist.

Das Wahlergebnis wird entscheidend dafür sein, ob Pakistan seinen Weg in Richtung Demokratie fortsetzt oder nicht. Immerhin hat es die letzte Regierung erstmals in der Geschichte Pakistans geschafft, eine volle Legislaturperiode von fünf Jahren zu überstehen. Doch der Weg zu einer Trennung von Politik und Religion ist noch ein weiter. Die Paradoxie, so Ishtiaq Ahmad: "Der pakistanische Staat entstand im Namen des Islams. Doch jetzt ist der Islam das größte Problem für die Existenz des Landes geworden." Er geht davon aus, dass es ein halbes Jahrhundert dauern könnte, bis in Pakistan eine starke Demokratie besteht.

 

Von Rückzug keine Spur mehr. Die Taliban sind in der Großstadt Karachi angekommen. Foto: APA/EPA/DSK

Das Kräftemessen der Taliban spielt sich im Kleinen auf den Wahlveranstaltungen ab, tatsächlich werden mit denselben Methoden mittlerweile aber auch zentrale Ballungsräume kontrolliert. Karachi, die größte Stadt Pakistans mit mehr als 20 Millionen Einwohnern im Großraum, war einst noch ein Lichtblick für Reformer. Doch seit kurzem überwachen hier die Taliban ganze Stadtviertel, die vorwiegend von Paschtunen bewohnt sind. Sie regeln Geschäftsstreitereien und fordern mittels Plakaten die Bewohner auf, kriminelle Aktivitäten zu melden. Ebenso zum Alltag gehören allerdings für all jene, die sich dem Regiment nicht unterwerfen wollen, Anschläge, Entführungen und Erpressungen. Inzwischen urteilen in den kontrollierten Stadtvierteln auch von den Taliban eingesetzte Gerichte nach den Gesetzen der Scharia. "Eine Stadt der Anarchie, wie Karachi es ist, eröffnet unglaubliche Möglichkeiten. Jeder, der über militärische Kapazitäten verfügt, kann das sehr schnell für sich nutzen", erklärt Ishtiaq Ahmad den rasanten Aufstieg der Extremisten.

Taliban ersetzen Polizei

Unter den jungen Paschtunen rekrutieren die Taliban Kämpfer, Soldaten und Spione, die ihre handschriftlichen Erpressungsversuche übermitteln. Und im Gegenzug gehen immer größere Anteile der paschtunischen Bevölkerung mit ihren Problemen zu den Taliban anstatt zur Polizei. Wie schnell der Machtwechsel vonstatten ging, zeigt das Beispiel der Awami-Nationalpartei, die zuvor die Paschtunen-Viertel dominierte. In den vergangenen Monaten wurden in diesen Gegenden 35 Mitarbeiter der Partei getötet und in der Folge ganze 30 Parteibüros in Karachi geschlossen. Insgesamt sind seit 2008 mindestens 750 ihrer Parteimitglieder und Anhänger durch Gewalt der Taliban getötet worden.

Das andere Karachi: Fashion Week in Pakistan. Foto: Reuters/Syed

Der Einfluss der Taliban wächst zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. Die NATO-Mission ISAF in Afghanistan soll ab 2014 auf ein Minimum reduziert werden. Der Versuch, die Lage vor Ort eigenhändig zu stabilisieren, könnte jedoch zum Scheitern verurteilt sein. Von der neuen pakistanischen Regierung wird auch maßgeblich abhängen, ob der Rückzug ohne große Probleme vonstatten geht oder nicht. Ishtiaq Ahmad kann sich vorstellen, dass eine neue konservative Regierung zum Beispiel die Transportrouten durch das Land sperren lässt, über die der Abzug geplant wird. Und auch die Taliban werden die ISAF-Truppen nicht sang- und klanglos durch ihre Gebiete ziehen lassen. "Wenn die internationale Gemeinschaft Afghanistan verlässt, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach einen neuen Bürgerkrieg in Afghanistan geben. Die Geschichte wird sich wiederholen. Pakistan sollte sich auf eine neue dunkle Ära ab 2014 einstellen." (Teresa Eder, derStandard.at, 8.5.2013)