Voss und Weigel über die Kunst der Improvisation.
Wien - Einst blendender Reichtum, prachtvolle Villen, Autos, ewig sonniges Idyll, Koffer voller Geld. Heute finsterste Armut, eingefrorene Bankkonten, eine Pazifikinsel unter Schutt und Müll und Schrott - auf Nauru zeigt sich die böse Fratze des ungezügelten Kapitalismus.
Was klingt wie übertriebene Prognosen zur aktuellen Banken- und Wirtschaftskrise, ist der wahre Stoff, aus dem Grischka Voss und Ernst Kurt Weigel ihre Oper destillierten - passend zum Motto Haben oder Sein, das Nora und Michael Scheidl dieses Jahr für ihr Musiktheaterfestival der Netzzeit wählten. Lonesome Andi Haller komponierte die Opernmusik, der Rest ist Bernhard-Ensemble-Teamarbeit.
Doch Improvisation sei im Sprechtheater deutlich leichter als in der Oper, sagt Grischka Voss: "Wir sind ja alle keine Sänger, wir können nicht einfach drauflos trällern. Man hat zunächst das Gefühl, dass man nicht gleichzeitig denken und singen und den Text inhaltlich entwickeln kann. Da verzichtet man schnell auf komplizierte Nebensätze und wählt kurze, klare Sätze, die man sich merken kann." Sie lacht vergnügt: "Es ist natürlich total unverschämt, dass wir überhaupt eine Oper machen. Dafür werden wir sicher sehr viel Dresche kriegen."
Lebenserfahrungen
Dass nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch gespielt und gesungen wird, erschwert das anarchistische Projekt, das so anders und neu und riskant - und gerade deshalb so typisch ist für das Paar Weigel/Voss, er geboren 1970 als Sohn eines Wiener Kaufmannehepaars, sie 1971 in Braunschweig als Tochter der Dramaturgin Ursula und des Bühnenstars Gert Voss.
Die Eltern wollten nicht, dass sie ans Theater geht, also jobbte sie einige Jahre in der ORF-Kulturredaktion, ehe sie "vor den Warnungen der Eltern und dem berühmten Namen nach New York floh", kurz bei Lee Strasberg schnupperte, Privatkurse diverser Schauspielgurus besuchte und schließlich bei einer sie faszinierenden Lehrerin landete: "Aber ich könnte wirklich nicht sagen, dass ich bei ihr etwas gelernt hätte, was ich je für meine Arbeit hätte verwenden können. Es waren Lebenserfahrungen, die ich in diesen eineinhalb Jahren machte und von denen ich heute noch zehre."
Theatergründung
Mit dem Vater stand sie nach ihrer Rückkehr zweimal auf der Bühne: In Salzburg, er als Jedermann, sie in der Tischgesellschaft, später in George Taboris Ballade vom Wiener Schnitzel. Das war's dann auch mit Ausflügen in die Hochkultur. "Ich war nie ein selbstsicherer Mensch, der in einer normalen Theaterwelt hätte bestehen können. Diese Erfahrung habe ich bei Castings sehr schnell und sehr schmerzlich machen müssen. Wenn ich nicht das Gefühl habe, dass die anderen mir mit Freude und Liebe zuschauen, sondern auf die Uhr, falle ich zusammen wie ein Teig, wenn man die Ofentür zu früh aufmacht. Also habe ich mich an die äußersten Ränder begeben und im Off-Theater meinen Hafen gefunden - bei Menschen, die nicht ständig betonen müssen, dass sie Schauspieler sind, sondern die Weltumsegler waren, nebenbei Puppen gebaut haben."
Bei einer Produktion lernte sie 1997 Ernst K. Weigel kennen, der seine Theatersozialisation im Serapionstheater bei Erwin Piplits und Ulrike Kaufmann gemacht hatte. Die zwei gründeten das (damals noch frei vazierende) Bernhard Ensemble, 2006 heirateten sie, wurden Eltern, Weigel baute die ehemalige Stadtinitiative in der Kirchengasse zum Off-Theater aus: fixe Heimstätte für Bernhard Ensemble und Märchenbühne Apfelbaum sowie freier Spielort für Gastensembles.
Mit 130.000 Euro subventioniert die Stadt Wien den Standort. Noch einmal so viel muss durch Vermietung und Eintrittskarten verdient werden. "Was wirklich vergrätzt: Von der Theaterjury werden wir nicht wahrgenommen. Trotz Einladung war keiner der Juroren je in einer Vorstellung. Angeblich aus Zeitmangel. Die haben uns nur nach den eingereichten Unterlagen abgelehnt. Das ist lächerlich! Das kann ich nicht ernst nehmen." Aber eigentlich spricht er nicht gern über öffentliche Gelder, weil: "Sage ich was Falsches, krieg ich womöglich gar nichts mehr. So ist die Politik nicht nur in Nauru gestrickt."
Ihren Traum, das, was sie machen, würde finanziell je gut laufen, habe sie längst aufgegeben, sagt Grischka Voss. Künstlerische Kompromisse kommen dennoch nicht infrage: "Dazu habe ich mir diesen Weg zu hart erkämpft." (Andrea Schurian, DER STANDARD, 5.4.2013)