Wien - Die unabhängige Historikerkommission, welche die Nachkriegsgeschichte der damaligen Medizinischen Fakultät der Universität Wien nach Methoden bei Forschung und Patienten-Behandlung beleuchten soll, liegt ein Jahr nach ihrer Gründung im Frühjahr 2012 voll im Plan. Das unterstrich der Leiter der Kommission, Gernot Heiss. Ein Endbericht der Arbeit der Historikerkommission sei für 2014 zu erwarten, so der Historiker am Mittwoch.

Die "Malaria-Therapie"

Nach Bewilligung der nötigen Förderungen für die Finanzierung der Kommissionsarbeit sei jetzt die Entwicklung der Patienten-Datenbank abgeschlossen. "Wir prüfen rund 110.000 Akten", so Heiss. Das Hauptaugenmerk der statistischen Auswertung der Informationen aus den Dateien liegt bis Jahresende 2013 auf den sechs "Kern"-Jahren 1955 bis 1960 und auf der sogenannten "Malaria-Therapie" und der medizinischen Behandlung der psychisch Kranken mit gleichen Diagnosen an der damaligen "Klinik Hoff" des damaligen Klinikchefs Hans Hoff (1897 bis 1969)

Die Affäre um die Malaria-Therapie - Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen waren mit Erregern der Tropenkrankheit infiziert worden, um durch die ausgelösten Fieberschübe eine Besserung herbeizuführen - spielte sich zu einem Gutteil vor der Etablierung der wirksamen, modernen medikamentösen Therapie von psychiatrischen Erkrankungen ab. 

Ethische Fragen

Es ist die Aufgabe der von der MedUni Wien eingesetzten Historiker-Kommission, aufzuklären, ob es damals Forschungstätigkeiten gab, die den ethischen Grundsätzen oder dem Forschungsstand nicht entsprochen haben. Die Auswertung erfolgt nicht-personenbezogen und anonym.

In einem ersten Schritt wird das anhand von unterschiedlichen Therapien, die bei gleichen Diagnosen an der damaligen Klinik für Psychiatrie und Neurologie angewandt wurden, untersucht. Heiss: "Wir wollen untersuchen, welchen Anteil die Malaria-Therapie hatte, mit welchen Argumenten sie angewandt wurde und wie sich ihre Anwendung im Lauf der Zeit entwickelt hat."

Mit der Aufarbeitung der Geschehnisse zwischen 1945 und 1978, dem Gründungsjahr der Ethik-Kommission der MedUni Wien, die seither alle klinischen Forschungsprojekte auf ethische Aspekte prüft, stelle sich die Medizinische Universität Wien ihrer Geschichte und Verantwortung, hieß es. "Wir wollen alles über eventuelle 'dunkle Flecken' wissen", hatte Rektor Wolfgang Schütz schon bei der Einsetzung der Kommission vor einem Jahr betont.

Hans Hoff und "seine" Klinik"

Hans Hoff wurde 1897 in Wien geboren, studierte in Wien Medizin und war von 1928 bis 1932 an der Klinik unter deren damaligen Leiter und Nobelpreisträger Julius Wagner-Jauregg (Behandlung der Progressiven Paralyse bei Syphilis per Malaria-Fieber) als Assistent tätig. 1936 wurde er Vorstand der Neurologischen Abteilung der Poliklinik Wien in unmittelbarer Nähe des Alten AKH. Einer seiner Nachfolger - nach dem Nationalsozialismus - war dort ab 1946 auf Intervention von Bruno Pittermann der Entwickler der Existenzanalyse, Viktor Frankl.

Hans Hoff musste nach dem "Anschluss" im Jahr 1938 wegen seiner Herkunft emigrieren. Er ging nach Bagdad, übersiedelte dann an die Columbia University in New York. 1949 kehrte Hoff nach Wien zurück. Der KPÖ-Kulturstadtrat Viktor Matejka hatte eine Initiative gesetzt, Intellektuelle, die vertrieben worden waren, wieder nach Wien zurück zu holen. 1950 wurde er Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie. Die beiden "Fächer" waren damals noch eines. Die moderne, auf biochemischen Abläufen basierende biologische Psychiatrie gab es damals noch nicht.

Mit den "Malaria-Experimenten" in Konzentrationslagern und ähnlicher NS-"Forschung" dürfte die Wiener Affäre allerdings nichts zu tun haben. Die Politiker in Wien waren darum bemüht, nach den Verbrechen des Nationalsozialismus an der Universitätsklinik unbelastete Experten in Leitungspositionen zu bekommen. In einer Biografie von Hoff heißt es unter anderem: "H. gilt als Gründer der Wiener Psychiatrischen Schule, dessen erstes Anliegen es war, die Vermenschlichung der Kliniken zur Gewährleistung der Würde des psychisch Erkrankten durchzusetzen." (APA/red, derStandard.at, 3. 4. 2013)