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Von der echten Nahrungsmittelallergie sind vor allem Kleinkinder bis zum Eintritt ins Schulalter betroffen. Die Wahrscheinlichkeit eine Allergie auf Milch, Ei, Weizen oder Soja bis zum Eintritt ins Schulalter zu verlieren liegt allerdings bei über 70 Prozent, so die Wiener Experten.

Foto: dpa/Peter Endig

Wien – Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten dürften nach Meinung von Experten mit unserem Lebensstil korrelieren: "Die heutige erwachsene Bevölkerung achtet vermehrt auf die Ernährung und stellt deshalb fest, dass gewisse Lebensmittel schlechter vertragen werden. Dazu kommt, dass wir Zugang zu – durchwegs gesunden – Nahrungsmitteln wie exotische Früchte oder Sojaprodukte bekommen haben, die unserem Körper allerdings fremd sind. Auf der anderen Seite reagieren wir auf Lebensmittelzusatzstoffe wie Emulgatoren, Farb- und Konservierungsstoffe", erklärt Reinhart Jarisch, Leiter des Komitees für klinische Allergologie der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI).

Bei Kindern konnte europaweit eine Verdopplung an Nahrungsmittelallergien festgestellt werden und die Zahl an Kindern, die mit lebensbedrohlichen allergischen Reaktionen in Notaufnahmen eingeliefert wurden, hat sich sogar versiebenfacht. "Seit einigen Jahren gibt es eine deutlich verbesserte Diagnostik – und wenn man besser suchen kann, findet man auch mehr“, ergänzt Jarisch.

Allergie oder doch "nur" eine Intoleranz?

"Grundsätzlich muss zwischen Allergien und Intoleranzen unterschieden werden. Bei der Allergie wird das Immunsystem aktiv und richtet sich gegen ein bestimmtes Eiweißmolekül in einem Nahrungsmittel. Eine Intoleranz ist nicht durch das Immunsystem, sondern durch einen genetisch bedingten Enzymmangel verursacht", betont ÖGAI-Vorstandsmitglied Stefan Wöhrl.

Diese Unterscheidung ist deshalb wesentlich, da eine Allergie mitunter lebensbedrohliche Ausmaße annehmen kann, eine Intoleranz hingegen nie derartig schwerwiegende Folgen hat. Die Anzeichen sind allerdings ähnlich und können deshalb leicht fehl interpretiert werden. "Zahlen aus Amerika zeigen, dass etwa 13 Prozent der Bevölkerung glauben, eine Nahrungsmittelallergie zu haben. Durch Tests lassen sich aber nur 3 Prozent bestätigen“, so Wöhrl. Als Faustregel empfiehlt der Experte: Lebensmittelallergien sind bei Kindern häufig, Unverträglichkeitsreaktionen kommen vor allem bei Erwachsenen vor.

Allergie ist nicht gleich Allergie

Auch bei Allergien existieren Unterschiede: "Es gibt echte Allergien auf ein bestimmtes Nahrungsmittel und die viel häufigeren und bei weitem harmloseren Lebensmittelallergien als Folge einer Pollenallergie. Von der echten Nahrungsmittelallergie sind vor allem Kleinkinder bis zum Eintritt ins Schulalter betroffen. Dabei beträgt die Wahrscheinlichkeit eine Allergie auf Milch, Ei, Weizen oder Soja bis zum Eintritt ins Schulalter zu verlieren über 70 Prozent. Die zweite Gruppe echter Nahrungsmittelallergien, die sehr schwere Reaktionen hervorrufen kann, sind zum einen Nüsse und zum anderen Fisch und Meeresfrüchte. Hier ist die Wahrscheinlichkeit gering aus diesen Allergien herauszuwachsen", so Wöhrl.

Warnzeichen kennen

Die schwerste Form einer allergischen Reaktion ist eine so genannte Anaphylaxie, die innerhalb weniger Minuten zum gefährlichen Kreislaufschock führen kann. Sie beginnt an der Haut mit Juckreiz und brennenden roten Flecken, gefolgt von Schwellungen in Gesicht und Hals, Übelkeit und Brechdurchfall bis hin zur Atemnot und dem lebensbedrohlichen Versagen des Herz-Kreislaufsystems. "Nahrungsmittelallergien sind dann gefährlich, wenn sie nicht vorhersehbar sind", warnt Wöhrl. Um sich entsprechend wappnen zu können, sollten Betroffene ihre Allergie, deren Auslöser und erste Warnzeichen deshalb genau kennen. Bereits bei ersten allergischen Symptomen oder nach milden Zwischenfällen sei es nach Ansicht des Experten wesentlich, umgehend einen allergologisch versierten Arzt aufzusuchen.

"Für Nahrungsmittelallergien gibt es sehr gute Testverfahren. Diese bestehen einerseits aus dem Gespräch mit dem Patienten und andererseits aus Hauttests, die durch Blutbefunde, die so genannte IgE-Antikörper nachweisen, unterstützt werden können", erklärt Wöhrl. Häufig werden auch Labortests angeboten, die IgG- oder IgG4-Antikörper im Blut bestimmen. Aufgrund der irreführenden Interpretation der Testergebnisse lehnt Wöhrl diese Form der Diagnose jedoch ab: "Die Bildung von IgG-Antikörper ist eine normale und gesunde Reaktion und bedeutet, dass ein Patient dieses Nahrungsmittel schon einmal gegessen hat. Darum gibt es viele Stellungnahmen nationaler und internationaler Organisationen, dass diese Tests nicht durchgeführt werden sollen."

Diagnose

"Mit Diagnoseverfahren, die nicht die Allergie-Auslöser als Ganzes sondern nur die relevanten Moleküle des Allergens nachweisen, haben wir neue Möglichkeiten, Hochrisikopatienten von Patienten mit harmlosen Sensibilisierungen besser unterscheiden zu können", sagt Wöhrl. Solche Hochrisikomarker sind zum Beispiel Lipid Transfer Proteine (LTP). LTPs sind zudem sehr widerständig gegenüber Hitze und Säure und lassen sich durch normale Maßnahmen bei der Zubereitung von Speisen nicht zerstören.

"In einer aktuellen, noch laufenden Studie haben wir mindestens fünf Gruppen von relevanten Auslösern festgestellt: Steinobst, Nüsse, Beeren/Trauben, Gurken/Spargel/Zucchini sowie Karotte/Salat/Gewürze", so Wöhrl.

Adrenalin für den allergischen Notfall

Da es noch keine Möglichkeiten in der Behandlung gibt, können sich Betroffenen nur durch die Allergenvermeidung schützen. Dem Allergie-Experten zufolge sollen Nahrungsmittelallergiker mit einer Notfallausrüstung ausgestattet werden, die zumindest aus einem Kortisonpräparat und einem Antihistaminikum besteht. Diese Medikamente wirken entzündungshemmend und abschwellend, sind aber nicht ausreichend, eine schwere allergische Reaktion ordentlich zu bekämpfen. Es ist deshalb zusätzlich das Hormon Adrenalin notwendig, das als Autoinjektor (ähnlich dem eines Diabetikers) zur Verfügung steht. Es stabilisiert in Minutenschnelle den Kreislauf. Zusätzlich bessert es die Atmung und dämpft die allergische Reaktion.

"Anders als bei einer Allergie kommt es bei Intoleranzen erst bis zu zwei Stunden nach dem Kontakt zu einer Reaktion, die zusätzlich auch dosisabhängig ist. Die häufigste Form ist die Fruchtzucker-Unverträglichkeit, die im Grunde das Resultat einer gesunden, obstreichen Ernährung ist", erklärt Reinhart Jarisch. Die dabei auftretenden Beschwerden sind vielfältig: Blähungen, Durchfälle, eventuell auch Verstopfungen, typischerweise Heißhunger auf Süßes und fallweise depressive Verstimmungen. Jarisch dazu: "Ich bin der Meinung, dass viele Personen, die Antidepressiva verschrieben bekommen, einfach unter einen Fruchtzucker-Unverträglichkeit leiden.“

An zweiter Stelle steht die Unverträglichkeit gegen Histamin, das im Grunde in jedem Nahrungsmittel enthalten ist. 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen ab 40, wodurch der Verdacht naheliegt, dass Veränderungen im Hormonhaushalt eine Rolle spielen. An dritter Stelle kommt die Milchzucker-Unverträglichkeit. Die Behandlung der Intoleranzen beschränkt sich im Wesentlichen auf die Diät, bei der unverträgliche Speisen bzw. Inhaltsstoffe vermieden werden. (red, derStandard.at, 3.4.2013)