2009 haben Künstler und engagierte Bürger ein Gründerzeitensemble in der Hamburger Innenstadt vor dem Abriss bewahrt

Eine freie Szene beansprucht seither die Parterreetagen im sogenannten Gängeviertel. Weil aber sonst der große Leerstand herrscht und die Bausubstanz unter den Graffitis verfällt, will die Stadt das Quartier um 20 Millionen Euro aufhübschen.

In der Hamburger Neustadt, nur wenige Gehminuten von den Edelboutiquen und Nobelhotels am Jungfernstieg entfernt, formen ein dutzend Häuser das Gängeviertel. Es sieht nicht aus, wie sich Politiker und Städteplaner das Innenstadtideal einer europäischen Metropole vorstellen.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Wenn die Stadtregierung 2009 nicht auf die Bürger gehört hätte, würden wie in den umliegenden Vierteln wahrscheinlich auch hier austauschbare Glasbetonquader stehen. "Das Hamburg-Wunder" nannte "Die Zeit" den Schwenk der Stadtpolitik. Das bereits an einen niederländischen Investor verkaufte Areal blieb von der Abrissbirne verschont.

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2,6 Millionen Euro zahlte die Hansestadt dem Immobilienkonzern Hanzevast zurück. Dafür sah dieser davon ab, die vernachlässigten Mietskasernen zu schleifen und modische Büroquartiere hinzustellen. Vorausgegangen waren dem Gesinnungswandel der Politik Proteste von rund 200 Hamburger Künstlern und einer Vielzahl an Unterstützern.

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Einige der Akteure besetzten am 22. August 2009 die Gründerzeithäuser und die drei offenen Innenhöfe zwischen Valentinskamp, Caffamacherreihe und Speckstraße. Sie beschuldigten den Ersten Bürgermeister Hamburgs, Ole von Beust, sich dem Diktat der Finanzbehörde zu beugen. Von "Beliebigkeitsarchitektur" war die Rede. Plötzlich änderte von Beust seine Meinung: "Ein Areal unbeplant zu lassen, finde ich eine faszinierende Idee."

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Die Häuser wurden unter Denkmalschutz gestellt. Dann blieb jahrelang unklar, was aus ihnen werden sollte. In Eigeninitiative versuchten die Aktivisten, die Wohnungen ohne professionelle Ressourcen zu renovieren. Der lang anhaltende Leerstand sorgte allerdings für eine derart marode Bausubstanz, dass den geneigten Hobbybastlern die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens schnell klar wurde. So stehen bis auf ein paar Einheiten in den Erdgeschoßen, die von der Initiative Gängeviertel e.V.mit Galerien, alternativen Kneipen und trashigen Geschäften bespielt werden, die meisten Wohnungen bis heute leer.

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Im September 2012 beschloss die Stadt Hamburg, das komplette Gängeviertel generalsanieren zu lassen. Im kommenden Juni werden die Arbeiten an über 70 Wohnungen und rund 20 Gewerbeeinheiten beginnen. Freiräume sollen bleiben, versichert die Stadtentwicklungsgesellschaft, und vor allem die Wahl der gewerblichen Mieter soll "eng mit dem Verein Gängeviertel" abgesprochen werden. 

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Auch wenn sie am Sanierungs- und Nutzungskonzept mitarbeiten, wird den Aktivisten die jetzige Autonomie zwangsläufig abhandenkommen. Konzessionsfreie Ausschank und unkontrolliertes Parken im Hof wird es nach der 20-Millionen-Euro-Restaurierung nicht mehr geben, versichert die Stadtentwicklung. Für das Kulturzentrum "Fabrik" etwa sind dann 6,50 Euro Miete pro Quadratmeter vorgesehen. Das sind 6,50 Euro mehr als jetzt.

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Insgesamt sieben Jahre sind für die Arbeiten vorgesehen, dann soll "der Schandfleck endlich schick" sein, wie die "Bild"-Zeitung kürzlich titelte. Grund genug für die Initiative, vor einem drohenden Identitätsverlust und Gentrifizierung zu warnen. Rückenwind erhielten die Besetzer vergangenen Oktober von der UNESCO, die das Gängeviertel in seiner derzeitigen Form zum "Ort kultureller Vielfalt" erklärte.

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Davon fühlen sich auch Touristen angezogen. Wie in die Speicherstadt und auf die Landungsbrücken kommen Hamburg-Besucher heute in die Gänge, um Urlaubsfotos zu machen. Selbst in Mainstreamreiseführern stehen Infos über die Nachbarschaft - etwa dass sie nach den engen Verbindungen zwischen den vielen dichtgedrängten Gebäuden benannt wurde und die ersten Mieter viele der im späten 19. Jahrhundert nach Hamburg zugewanderten Arbeiter waren.

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Zwölf dieser Häuser sind übriggeblieben in der "Schlacht um das Gängeviertel". So nannte "Die Zeit" die Auseinandersetzung 2009. Mit dem Nachsatz: "Eine Stadt lernt: Wehren lohnt sich!" (Michael Matzenberger, derStandard.at, 4.4.2013)


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