Metal, wenn es regnet, Reggae für den Sonnenschein. Aus dem Kontext und der Position könnte das Handy auf den Musikwunsch schließen.

Illustrationen: Fatih Aydogdu

Smartphones können dank ihrer ausgefeilten Sensortechnik und der ständigen Verbindung zum Internet einiges über die Situation ihrer Benutzer feststellen: Sie können eruieren, ob es gerade heiß oder kalt ist, ob der Eigner gerade langsam geht, läuft oder ob er bewegungslos liegt und vielleicht ausruht. Sie können über das Netz das aktuelle Wetter am Standort abfragen und über GPS kontrollieren, ob sich ihr Benutzer gerade an einer Meeresküste, in den Bergen oder in der Stadt aufhält.

Die umfassenden Informationen, die die kleinen Taschencomputer zusammentragen können, kann man auch dazu benutzen, um eine perfekt auf die Vorlieben des Hörers und auf die Umgebung abgestimmte Wiedergabeliste zu liefern, ist Markus Schedl vom Institut für Computational Perception an der Johannes-Kepler-Universität (JKU) in Linz überzeugt.

Bisher gab es zwei Ansätze, wie Musikportale und Streaming-Dienste im Internet ihren Hörern neue Titel und neue Interpreten vorschlagen konnten. Einerseits werden Informationen wie Rhythmus oder Klangfarbe direkt aus der Musik extrahiert, um den Hörern Stücke mit ähnlichen Werten vorzuschlagen, erklärt Schedl.

Andererseits gibt es Empfehlungen aufgrund von Hörgewohnheiten anderer Konsumenten - nach dem Motto: "Andere, die Musikstück A gehört haben, haben auch Musikstück B gehört." Populäre Musikplattformen wie Spotify oder iTunes wollen mit diesen Prinzipien ihren Kunden maßgeschneiderte Musik anbieten.

Permanentes Lernen

"Wir versuchen einen Schritt weiter zu gehen, um nicht nur ähnliche Musikstücke, die ähnlich klingen, zu finden, sondern auch miteinzubeziehen, was der Hörer gerade macht", sagt Schedl. "Wir gehen davon aus, dass man etwa bei schlechtem Wetter eine andere Musik hören will, als wenn man am Strand liegt."

Faktoren wie Umgebungslautstärke, GPS-Koordinaten, Lichtstärke, Daten der Bewegungssensoren und Webservices, die Auskunft über die Wetterbedingungen geben, sollen ein "präzises Bild von der aktuellen Situation" schaffen. Der Musikplayer - der Prototyp heißt "Mobile Music Genius" - soll dann Beziehungen zwischen der Situation und den musikalischen Vorlieben des Nutzers herstellen, die er sich per maschinellem Lernen sukzessive aneignet. Die am Institut für Computational Perception entwickelten Konzepte wurden von Georg Breitschopf, einem Masterstudenten am Institut, in die tatsächliche Anwendung des Musikplayers implementiert.

Natürlich muss der Player zuerst einmal mit Basiswissen über den individuellen Geschmack des Benutzers gefüttert werden. Die Software merkt sich die Umgebungsbedingungen, die beim Abspielen der vom Nutzer anfangs bewusst gewählten Musikstücke herrschen, und gibt ähnliche Musik wieder, wenn die Bedingungen wiederkehren.

"So lernt die Software individuell für jeden User, welche Musik in welchem Kontext gerne gehört wird", sagt Schedl. Der Musikplayer entscheidet dann vielleicht, dass zum Aufstehen Hard Rock aus den 80ern für seinen Benutzer das Beste ist, dass zum Joggen gerne schnelle elektronische Musik gehört wird, dass in der U-Bahn eher Reggae angesagt ist und dass zum Faulenzen in der Sonne ein paar Lounge-Klassiker einzustreuen sind.

Und auch um Musikstücke zu finden, die dem Nutzer noch nicht bekannt sind, werden neue Wege beschritten: Zusätzlich zur konventionellen Analyse Content-basierter Ähnlichkeit sollen Daten aus dem Kurznachrichtendienst Twitter herangezogen werden, um Musikstücke miteinander zu assoziieren. Die Wahrnehmung von Musik manifestiere sich nicht allein durch das Audiosignal. Jeder Mensch empfindet die Musik individuell, erklärt Schedl.

Tweets, die Musik zum Inhalt haben und etwa mit sogenannten Hashtags wie #nowplaying versehen sind, spiegeln Hörgewohnheiten aus der Sicht des Rezipienten wider. "Viele Benutzer posten, was sie gerade hören", sagt der Computerwissenschafter. "Wenn viele Nutzer einmal Madonna hören und dann Britney Spears, wird eine Assoziation zwischen den Künstlern hergestellt." Anstelle von Ähnlichkeiten der Musik selbst werden über dieses sogenannte Social-Media-Mining soziale Ähnlichkeiten abgeleitet.

Social-Media-Mining

Schedl und sein Team beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit Social-Media-Mining. In einem weiteren gerade laufenden Projekt analysieren die Forscher die auf Twitter und anderen Webquellen erwähnte Musik nach Ländern und Häufigkeit. Sie erstellten ein Ranking, basierend auf den GPS-Koordinaten der abgesetzten Tweets.

"Interessant daran war, dass die Hörgewohnheiten viele Klischees bestätigten", sagt Schedl. "In Jamaika wird zum Beispiel Reggae um etwa 1600 Prozent häufiger gehört als in anderen Ländern. Und in Griechenland hört man auffällig viel Easy Listening." Auffällig sei auch gewesen, dass viele Twitter-Nutzer angeben, neue Alben schon bis zu vier Wochen vor dem offiziellen Release zu hören. In einem nächsten Projekt wollen die Linzer Forscher Social-Media-Mining dazu verwenden, die Popularität neuer Musikstücke vorherzusagen.

Im aktuellen Projekt ist im Moment geplant, dass die App jene Musik verwendet, die der Nutzer lokal auf seinem Gerät gespeichert hat. "Es wäre aber schön, wenn unser Konzept auch einmal im großen Stil funktionieren würde", sagt Schedl. "Der Trend geht eindeutig in Richtung Streaming." Im Moment führen die Entwickler Gespräche mit Anbietern wie Spotify, um die App künftig vielleicht in das Umfeld eines Streaming-Dienstes einbinden zu können. "Wir sind aber auch interessiert daran, mit Mobilfunkanbietern zusammenzuarbeiten", sagt Schedl.

Die Geschmacksanalyse per Twitter stößt allerdings bei sehr unbekannten Interpreten an ihre Grenzen. "Unsere Methoden auf Millionen von Musikstücken und Benutzern skalierbar zu machen wird noch eine Weile dauern", erklärt Schedl. "Wenn der Nutzer einen sehr spezifischen Geschmack hat und es wenige Twitter-Nutzer mit ähnlichen Vorlieben gibt, sind wiederum Content-basierte Methoden der Analyse besser geeignet."

Das Projekt läuft noch bis Ende des Jahres. Der Player selbst ist bereits funktionsfähig. Als nächster Schritt soll im Rahmen einer Studie mithilfe von 100 Studenten der JKU Daten gesammelt werden, um zu verstehen, in welchen Kontexten Nutzer zu welcher Musik greifen. Eventuell können vielleicht sogar allgemeingültige Regeln abgeleitet werden, erklärt Schedl. "Je mehr Daten wir haben, desto genauer werden die Vorhersagen für die jeweils passende Musik." Vielleicht greift bei trübem Wetter tatsächlich eine signifikante Menge an Nutzern zu melancholischer Musik.

Wenn die Tests abgeschlossen sind, könnte der Player danach - zuerst als Android-App - das Licht der Welt erblicken. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 03.04.2013)