Womöglich Ahnungen vom Schwinden der eigenen Kräfte: das Bild "The Beyond" ("Das Jenseits") von der Künstlerin Georgia O'Keeffe, die 1982 erblindete. 

Foto: Georgia O'Keeffe Museum

Es handelt sich dabei um Bilder, die im hohen Alter und teils in Todesnähe gemalt wurden.


Letzte Bilder zu zeigen mutet recht willkürlich an. Sehr disparat. Das gibt Esther Schlicht, die die Schau Letzte Bilder. Von Manet bis Kippenberger erdacht hat und in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main kuratiert, auch zu. Wie kann man, wie will man so etwas zeigen: Bilder, die im teils sehr hohen Alter, im Anhauch des Todes gemalt wurden? Bilder, die das Allerletzte zeigen? Vor allem: Lässt sich dieser kleinste gemeinsame physische Nenner auf einen kunsthistorischen Nenner bringen? Was ist "Spätstil"?

Esther Schlicht versucht einen Parcours mit vierzehn Positionen und mit ein wenig Poesie. Die Chronologie lässt sie dabei unberücksichtigt. Die Überschriften der kombinierten Künstler blättern das gesamte Spektrum auf zwischen Variation und Reduktion einerseits und spielerischem Aufbruch und Wagemut zu Neuem andererseits. Édouard Manet und Claude Monet bilden den Auftakt, "Arbeiten bis zuletzt": Manet, der, bettlägerig, die ihm als Präsente dargebrachten Blumensträuße malt. Und dabei bei der Darstellung der Glasvasen virtuos ist und Grenzen des Realistischen ambitioniert auslotet.

Gleiches unternimmt Monet ab den 1910ern mit weit über 70, als er seine Seerosen-Bilder immer stärker, fast exerzitienhaft abstrahiert. " Neubeginn im Alter" wird vorgeführt anhand der mit der Schere ausgeschnittenen vegetabilen Formentanz-Suite Jazz von Henri Matisse (mit 80 im Rollstuhl sitzend) und des Spätwerks des an Alzheimer erkrankten Willem de Kooning, bunte stilisierte Formate aus den 1980ern, Linienwerke ohne Dekor.

"Zu neuen Horizonten" geht es mit den letzten Ölgemälden Georgia O' Keeffes, lichten Horizont-Darstellungen, entstanden zwischen 1962 und 1972, bevor sie mit 85 endgültig erblindete. Mit dabei auch die Polaroidkamera-Experimente des Fotokünstlers Walker Evans (1903-1975). Statt dokumentarisch schwarzweiß zu fotografieren, experimentiert er mit Farbe, Zeichen und ungewohnten Motiven.

Manieristisches Spätwerk

"Variation und Wiederholung": Darunter gefasst ist das manieristische Spätwerk Giorgio de Chiricos (1888-1978), das ein partielles Selbstgespräch mit seiner besten Phase, der sechzig Jahren zuvor entstandenen Pittura metafisica, ist, und Andy Warhols am 22. Jänner 1987 erstmals öffentlich gezeigtes Letztes Abendmahl, in dem er bekannte Motive durchdekliniert. Hier allerdings erhebt sich eine Frage, die das Konzept dieser Ausstellung zu unterminieren droht. Denn Warhol starb vier Wochen später, nach einer Gallenblasenoperation, völlig überraschend. Kann Last Supper so wirklich als Vermächtnis gelten? Oder ist das Ausflucht zu Arithmetik?

Es gibt auch einen ganz anderen Zugang zu jenem Moment, in dem ausgemalt ist. Das zeigt Esther Schlicht anhand von Francis Picabias letzter Serie. Diesen absichtlich schlecht gemalten Punktschlierenbildern, höhnische, noch lange später angefeindete Travestien des nach 1950 in Paris grassierenden Informels, stellt sie Martin Kippenberger entgegen. Der 1997 im Alter von 44 Jahren verstorbene Berliner malt 1996 Porträts von Jacqueline Roque, seit 1961 die Ehefrau Pablo Picassos. Und gibt dem Halbdutzend greller Bilder den herausfordernden Titel The Paintings Pablo Couldn't Paint Anymore.

Das Finale klingt dann aus mit unendlicher Stille. Ad Reinhardt (1913-1967) lotet in seinen tiefschwarzen Black Paintings die ultimative Grenze des nicht mehr Malbaren, nicht mehr Denkbaren aus; und der holländische Konzeptkünstler Bas Jan Ader verschwindet 1975 im Zuge eines Ein-Mann-Segeltörns spurlos auf dem Atlantik. In Search of the Miraculous ("Auf der Suche nach dem Wunderbaren") nennt er diese Kunstaktion. Das letzte Foto zeigt ihn auf See, vor dem Nichts des Himmels. (Alexander Kluy, DER STANDARD, 3.4.2013)