Zu Lebzeiten wollte Maurice Pialat seine Malerei nicht der Öffentlichkeit präsentieren: Unverkennbares Vorbild für diese künstlerische Seite des Regisseurs waren die Impressionisten.

Foto: Cinémathèque française/Sylvie et Antoine Pialat

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Großer Regisseur mit gefürchtetem Temperament: der Franzose Maurice Pialat.

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Er muss großes Talent zur Versöhnung besessen haben. Seine Filme erzählen davon, wie man sich nach einem heftigen Streit zusammenraufen muss, als Paar oder als Familie, damit der Alltag weitergehen kann. Maurice Pialats Wutausbrüche bei Dreharbeiten waren gefürchtet. Er lieferte sich erbitterte Fehden mit Schauspielern und Produzenten, feuerte regelmäßig Kameraleute und Cutter.

Nicht immer kam es zum endgültigen Bruch. Eine der überraschenden Entdeckungen in der Ausstellung, die die Cinémathèque française dem Regisseur zehn Jahre nach seinem Tod widmet, ist ein Brief, den Pialat während der Dreharbeiten zu Police (Der Bulle von Paris) schrieb. Er ist an den Schauspieler Richard Aconina gerichtet, der sich von ihm respektlos behandelt fühlte. Die Zeilen sind ein reueloses Friedensangebot. Pialat entschuldigt sich glaubhaft; Absender und Adressat wissen jedoch, dass er nicht aus seiner Haut kann. Der unausstehliche Choleriker besaß große Anziehungskraft. Es war einfach zu verlockend, weiter mit ihm zu arbeiten, sich seinem Zorn auszusetzen und dann mit der Zärtlichkeit seines Blicks belohnt zu werden.

Pialats Wut war unbedingt. Die von Serge Toubiana liebevoll kuratierte Ausstellung Maurice Pialat, peintre et cinéaste hat den Vorzug, seinen Lebensroman materialreich aufzublättern, seine Lebenswut aber nicht durch biografische Rückschlüsse zu bannen. Zu seinen Lebzeiten hätte es sie nicht geben können, denn mit seinen Anfängen als Maler war Pialat stets unzufrieden. Im ersten von zwei Sälen sind 33 seiner Gemälde ausgestellt, die meist in den 1940er-Jahren entstanden, als er an der École des beaux arts in Paris studierte. Erst 1995, nach der Geburt seines Sohnes, wandte er sich wieder der Malerei zu. Es sind Arbeiten eines so gelehrigen wie aufsässigen Schülers. Die Impressionisten (über Van Gogh sollte er gleich zwei Filme drehen) und Expressionisten haben starken Eindruck bei ihm hinterlassen.

Aber er betrachtet das Vorgefundene mit eigenem Blick. Der Auftrag der Farben verrät ein hitziges Temperament. Die ungestüme Farbigkeit vieler Ölgemälde findet ihr Gegenstück in der drückenden Grisaille, die in anderen vorherrscht. Seine Gouachen hingegen sind von unaufgeregter, geordneter Flächigkeit.

Korrespondenzen zu seinen Filmen sind leicht hergestellt. Die Kollision von roten und grauen Akzenten in Landschaften und Porträts findet ein Echo in der Kleidung des kleinen Fürsorgezöglings in Nackte Kindheit (1968); die Skizze einer Totenmaske ähnelt dem Antlitz der Großmutter im Film. Ein Zyklus von Porträtstudien zeigt, wie früh er sich einfühlen konnte in Kinder, die die Erfahrung des Verlassenseins gemacht haben. Diese Werke werden als Grundierung seiner späteren Filme kenntlich; ihre verzweifelte Wucht erklärt er nicht.

Der zweite Saal gewährt Einblicke in Arbeitsweise und Themen seiner Filmarbeit. Es ist eine Chronik der Konflikte und gescheiterten Projekte. Zugleich manifestiert sich eine emphatische Freude am Gelingen. Die Leidenschaft wird spürbar, mit der sich Pialat Figuren und Landschaften hingibt, sich beim Drehen dem Genie des Augenblicks anvertraut.

Die Legende vom autobiografischen Filmemacher, der seine inneren Kämpfe ins Kino hineingetragen hat, wird sacht revidiert: Pialat betrügt seine Koautoren und Darsteller nicht um ihre Individualität, sondern fordert sie heraus. Die Schau ist ein Kabinettstück der Verdichtung. Auf engem Raum erweitert sie das Bild des Regisseurs um viele Facetten, ohne je der Versuchung zu erliegen, es zu besänftigen. (Gerhard Midding, DER STANDARD, 3.4.2013)