Die türkische Regierung hat das Münchener Oberlandesgericht wegen der Nichtzuteilung fester Sitzplätze für türkische Diplomaten und Medienvertreter beim bevorstehenden NSU-Prozess scharf kritisiert. Da acht der zehn Opfer der Neonazi-Gruppe türkische Wurzeln hatten, sei die Türkei direkt betroffen und Partei, sagte der für die Auslandstürken zuständige Vize-Ministerpräsident Bekir Bozdag dem Nachrichtensender A Haber. Wenn die Türkei in einem solchen Verfahren nicht vertreten sein könne, "wo denn sonst?", fragte Bozdag.

Bozdag äußerte Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts. Er frage sich, was die Richter im Falle einer objektiven Herangehensweise bei Anwesenheit türkischer Vertreter im Saal zu befürchten hätten, sagte er. "Das bedeutet doch, dass sie sich fürchten, weil es eine subjektive Haltung gibt." Die regierungsnahe Zeitung "Today's Zaman" kommentierte in einem Leitartikel, das Vorgehen des Gerichts zeuge von einer "schützenden Haltung gegenüber Rassisten und rechtsextremen Gruppen" in Deutschland.

"Moralisch und ethisch nicht zu vertreten"

Ahmet Külahci, der Chefkorrespondent der türkischen Zeitung "Hürriyet", meinte, er könne sich vorstellen, dass das Akkreditierungsverfahren juristisch und bürokratisch nicht zu beanstanden sei. "Moralisch und ethisch ist es aber nicht zu vertreten, dass keine Medienvertreter aus der Türkei dabei sein können", sagte er den "Ruhr Nachrichten".

Trotz fehlender Platzreservierungen für Vertreter der Türkei wollen Botschafter Karslioglu und auch führende Parlamentarier aus Ankara zur Prozesseröffnung nach München reisen. Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, Ayhan Sefer Üstün, sagte nach Medienberichten, er hoffe auf die Unterstützung durch die deutschen Behörden.

Reding: "Suboptimal gelaufen"

Kritik kam auch aus Brüssel. Justizkommissarin Viviane Reding sagte der "Süddeutschen Zeitung", die Vergabe der Medienplätze sei "suboptimal gelaufen". Es sei doch "das Normalste von der Welt, dass ausländische Medien, erst recht aus Ländern mit Betroffenen, dem Prozess beiwohnen wollen". Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, nannte die Entscheidung des Gerichts laut "SZ" "schwer verständlich".

Trotz massiver Kritik im In- und Ausland wird das Oberlandesgericht (OLG) München das Zulassungsverfahren für Journalisten zum NSU-Prozess nicht ändern. Es bleibe bei der Akkreditierungsliste, sagte OLG-Präsident Karl Huber am Donnerstag. Er lehnte auch eine Videoübertragung des Prozesse für Journalisten in einem anderen Saal ab.

Huber verwies darauf, dass türkische Journalisten sehr wohl aus dem Prozess berichten könnten. Dazu müssten allerdings akkreditierte Kollegen auf ihren Platz verzichten und die anderen Journalisten ihnen bei der Vergabe der unbesetzten Plätze den Vortritt lassen. "Damit besteht die Möglichkeit, dass auch türkische Journalisten bei einer Solidarität der deutschen Kollegen an dem Verfahren teilnehmen können", betonte der Gerichtspräsident. Diese Regelung ist aber nicht neu; das Gericht hatte darauf bereits hingewiesen.

Der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), verteidigte das Gericht. "Die Entscheidungen des Gerichts bewegen sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen und Möglichen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

"Vernünftig wäre die Übertragung der Verhandlung in einen anderen Raum, unter strengen Sicherheitsvorkehrungen", sagte dagegen der frühere Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer. Das sei keine öffentliche Vorführung, die gesetzlich nicht zulässig wäre, sondern eine Erweiterung des Gerichtssaales. Auch der Verfassungsrechtler Wolfgang Hoffmann-Riem und andere Juristen sehen das ähnlich.

Die Ombudsfrau der deutschen Regierung für die Opfer der NSU-Morde, Barbara John, weckte mit Aussagen in der "Passauer Neuen Presse" Hoffnung auf eine Lösung: "Das Oberlandesgericht hat mir zugesagt, die türkischen Medien einzubinden - was auch immer das heißt. Ich hoffe, dass das Problem gelöst werden kann." (APA, 29.3.2013)