Mario Faschang, 27 Jahre, forscht zu seiner Dissertation im Bereich Elektrotechnik an der TU Wien. Parallel dazu unterrichtet er an der Uni und arbeitet geringfügig bei Siemens.

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Clarissa Stracke, 22 Jahre, studiert Maschinenbau an der TU Wien.

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Nikola Ilo, 22 Jahre, schreibt gerade seine Masterarbeit in Informatik an der TU Wien. Er arbeitet bei einer Software Firma, derzeit befindet er sich in Bildungskarenz.

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Er trägt eine schwarzgerahmte Hornbrille, hat vom Stubenhocken eine blasse Haut, schmächtige Körperstatue und einen Kleidungsstil fernab jeglicher modischen Konventionen – die Rede ist vom Nerd, der sich zumeist in technischen Berufen finden lässt. Ihm wird ein immenses Fachwissen auf seinem Spezialgebiet nachgesagt, genau wie ein erhöhter Intelligenzquotient. Dafür mangelt es ihm an sozialer Kompetenz. Auch auf emotionaler Ebene hat er Nachholbedarf.

Der reichste unter ihnen ist sicherlich Bill Gates, der einst als pickeliger Computerfreak das weltweit größte Softwareunternehmen gründete. Und dass es auch in der Antike bereits Nerds gab, beweist Archimedes, der so "nerdige" Dinge tat wie die Zahl Pi zu berechnen, mathematische Gleichungen aufzustellen oder tagelang ausschließlich geometrische Formen in den Sand zu zeichnen.

Ob Elektrotechnik oder Blumenpflege

"Ich glaube, dass jeder von uns ein bisschen ein Nerd ist", meint Mario Faschang, der zurzeit an der TU seine Doktorarbeit im Fach Elektrotechnik schreibt. "Der Begriff bezeichnet ja vor allem, dass man auf einem bestimmten Themengebiet ein erhöhtes Interesse hat – ob das jetzt Elektrotechnik ist oder Blumenpflege spielt dabei keine Rolle", behauptet der 27-jährige. Überhaupt sei Nerd ein richtiges Modewort geworden – vor allem in gesellschaftlichen Milieus, in denen man es eher weniger vermuten würde. An der Wiener Wirtschaftsuni etwa würden viele Studenten mit "Nerd-Brille" rumlaufen, ohne dass sie überhaupt eine Sehhilfe bräuchten. Faschang meint: "Der echte Nerd geht ja schon in der Masse an Möchtegern-Nerds unter, einfach weil er weniger auffällt."

Verantwortlich für diesen Hype ist die amerikanische Serie "The Big Bang Theory" (auf Deutsch: Urknalltheorie), die die Bezeichnung "Nerd" vom Internetforum in den gesellschaftlichen Mainstream gehievt und ebenso dessen negative Konnotation genommen hat. Die in mehr als 50 Ländern ausgestrahlte Serie porträtiert zwei junge Physiker, die zusammen in einer WG leben, überdurchschnittlich intelligent sind, sich aber aus den einfachsten zwischenmenschlichen Interaktionen keinen Reim machen können.

Ursprung des Wortes

Woher der Begriff "Nerd" genau abstammt, lässt sich nicht exakt nachweisen. Möglicherweise entwickelte sich das Wort aus dem rückwärtsgewandten "drunk", also "knurd" (im Englischen wird das k am Wortanfang nicht ausgesprochen). Als "Knurds" wurden unter Collegestudenten diejenigen Kommilitonen bezeichnet, die ausschweifenden Partys fernblieben und sich lieber gezielt dem Studium widmeten.

"Meiner Meinung nach ist der Begriff nicht nur männlich besetzt, es gibt auch weibliche Nerds", meint Clarissa Stracke. Die 22-jährige hat sich mit Maschinenbau für ein typisches Nerd-Studium entschieden. Mittlerweile sind rund ein Viertel aller TU Studenten weiblich, bei den Professoren beträgt der Frauenanteil hingegen knapp zehn Prozent.

"Ich bin stark kurzsichtig"

Eigentlich wollte Stracke ursprünglich Physiotherapeutin werden, doch zum Überbrücken der Wartezeit auf die Zulassungsprüfung an der FH traute sie sich versuchsweise an ein Semester Maschinenbau – und das, obwohl sie zu Schulzeiten nie eine gute Matheschülerin war. Das änderte sich dann im Studium. Nach dem dritten Tag an der TU stand für sie fest, dass sie bleibt. Sich selber als Nerd bezeichnen würde sie jedoch nicht. "Ich bin stark kurzsichtig, das fällt wohl unter Nerd", sagt sie kokettierend.

Nikola Ilo hat hingegen mit der Eigenzeichnung Nerd überhaupt kein Problem, sondern findet sie im Gegenteil überaus passend. Sein Lebenslauf weist viele Eckdaten eines klassischen Nerds auf: Schulabschluss auf der HTL, den Informatik Master in rasanten acht Semestern und nebenbei noch eine Halbzeitanstellung bei einer Softwarefirma. Fast rechtfertigend sagt der 22-jährige: "Ich bin halt einer dieser Geeks, der sich schon alles als Kind selbst beigebracht hat."

Zehn Stunden Strategiespiele pro Tag

Als seine Eltern den ersten Computer nach Hause brachten, war Ilo gerade mal drei Jahre alt. Schon damals zeichnete er statt mit Wachsstiften lieber auf Paint. Als schließlich seine Computerspielphase losging, reichte ihm das Zocken schon bald nicht mehr, daher modifizierte er die Spiele und fing mit dem Programmieren an. Dass er mit dieser Passion seinen Lebensunterhalt bestreiten könne, war längst nicht immer absehbar. Die Eltern sorgten sich gar, als ihr dreizehnjähriger Sohn täglich zehn Stunden und mehr mit Strategiespielen vor dem PC verbrachte.

Mario Faschangs Technikaffinität entwickelte sich ebenfalls schon von Kindstagen an, nämlich seit ihm sein Onkel mit zehn Jahren einen alten, nahezu verschrotteten Computer geschenkt hätte. "So musste ich dann selber an dem PC herumschrauben, bis er funktioniert hat", sagt Faschang. Seither hat er eine starke Neugierde, stets genau wissen zu wollen, wie die Dinge funktionieren.

Können Nerds mit ihrem erhöhten Fachwissen, andererseits verminderten Soft-Skills leichter Karriere machen? Clarissa Stracke glaubt jedenfalls, dass es in Zukunft immer weniger Techniker geben wird, die es sich leisten können, soziale Kompetenzen komplett zu ignorieren. Mario Faschang meint: "Nerds machen eher eine Spezialistenkarriere, sind aber keine Generalisten." (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 7.4.2013)