"In Österreich liegt das Transfusionswesen im Argen", sagt Anästhesist Hans Gombotz.

Foto: AKH Linz

Die Zahl an Bluttransfusionen kann noch weiter eingedämmt werden, ist der Intensivmediziner Hans Gombotz überzeugt. Warum Österreich dennoch so viele Blutkonserven verwendet und wo er ein Systemproblem erkennt, erklärt er im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Mit dem "Patient Blood Management", das seit fünf Jahren am Linzer AKH umgesetzt wird, können bis zu 70 Prozent aller Bluttransfusionen eingespart werden. Wie sieht das Konzept aus?

Gombotz: Die Idee dahinter ist, Patienten so zu behandeln, dass gar keine Blutarmut entsteht und demnach keine Blutkonserven benötigt werden. Wenn ein Patient mit einer vorbestehenden Anämie zu uns kommt, wird diese vor der Operation behandelt. Außerdem versuchen wir, den Blutverlust durch chirurgische Techniken und Medikamente so gering wie möglich zu halten und die Toleranz gegenüber einer Blutarmut zu verbessern, etwa durch Sauerstoffzufuhr.

derStandard.at: Mit welchen Medikamenten kann man Patienten behandeln?

Gombotz: Hauptsächlich mit Eisen und Erythropoetin (EPO). Außerdem verwenden wir oft Vitamin B12 und Folsäure, und zwar prä- und auch postoperativ. Viele Patienten haben eine Blutarmut, die den Bedarf an Transfusionen erhöht. Bei Hüftoperationen betrifft das etwa jeden Fünften - bei über 90 Prozent wird Blutarmut vor der Operation derzeit aber nicht behandelt. Die häufigste Ursache ist Eisenmangel, daher arbeiten wir viel mit Eisen. Die Behandlung beginnt drei bis vier Wochen vor der Operation.

derStandard.at: Mehr Medikamente zu geben birgt aber auch ein höheres Risiko für Nebenwirkungen. EPO beispielsweise ist nicht ungefährlich.

Gombotz: EPO darf nicht zu hoch dosiert werden, weil sonst Embolien auftreten können oder ein Tumorwachstum gefördert werden kann. Krebspatienten bekommen es daher nur bei laufender Chemotherapie oder wenn der Tumor schon operativ entfernt wurde. Neue, moderne Eisenpräparate sind dagegen weitgehend unbedenklich.

Es gibt aber kein Medikament, das keine Nebenwirkungen hat. Nur: Wir behandeln in einem Bereich, in dem Komplikationen gering und tolerabel sind. Daher sind die Nebenwirkungen durch Arzneimittel zu vernachlässigen. Die Folgen einer Bluttransfusion dagegen, nämlich längere Krankenhausaufenthalte, erhöhtes Infektionsrisiko, erhöhtes Schlaganfallrisiko, sollten eher zu denken geben. Eine kürzlich veröffentlichte Beobachtungsstudie hat ergeben, dass in den ersten zwölf Monaten nach einer Transfusion das Risiko, an Krebs zu erkranken, doppelt so hoch ist.

derStandard.at: Was lernt die Transfusionsmedizin von Patienten, die Bluttransfusionen ablehnen?

Gombotz: Eigentlich sollten wir den Zeugen Jehovas dankbar sein, weil wir so gelernt haben, mit weniger Bluttransfusionen bei gleichem oder besserem Krankheitsverlauf auszukommen. Natürlich gibt es Notfälle, bei denen auch das beste Blutmanagement nichts hilft und man transfundieren muss. Bis das aber passiert, hat man viele Möglichkeiten. 

Der kritische Hämoglobinwert liegt bei 2 bis 3 Gramm pro Deziliter, der Normbereich bei etwa 13. Es geht ohne Bluttransfusionen also viel mehr, als geglaubt wird. In Österreich wird zu schnell transfundiert. In der elektiven, geplanten Chirurgie sind 60 Prozent der Transfusionen nicht notwendig. Auf 1.000 Einwohner werden 48 Bluttransfusionen verwendet, das ist zu viel. Zum Vergleich: In Australien sind es 23 Bluttransfusionen pro 1.000 Einwohner.

derStandard.at: Warum ist die Medizin in Österreich zu wenig offen für Alternativen?

Gombotz: Mediziner sind Primadonnen, jeder sagt: Ich bin der Beste. Und dann kommt jemand und sagt: Das geht auch besser. Da ist der eigene Stolz im Weg. Das Problem der Medizin ist nicht das Wissen, wie es geht, sondern die Umsetzung. Außerdem liegt das ganze Transfusionswesen im Argen: Es gibt keine wirkliche klinische Ausbildung, Anästhesisten haben nur wenige Stunden im Studium, in denen sie sich mit Blutmanagement auseinandersetzen. An der Med-Uni Graz war ein postgraduales Studium "Patient Blood Management" fertig geplant, musste aber aufgrund der mangelnden Unterstützung des Ministeriums und der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie abgesagt werden.

Die Transfusion stellt auch einen enormen Kostenfaktor dar. Sie macht etwa 20 Prozent der pharmazeutischen Kosten eines Krankenhauses aus. Das Einsparungspotenzial durch Blutmanagement liegt aber verglichen mit Australien, wo "Patient Blood Management" flächendeckend umgesetzt ist, bei etwa 20 Millionen Euro an direkten und etwa 100 Millionen Euro an indirekten Kosten.

derStandard.at: Trotz Einsparpotenzials ist aktives Blutmanagement auf wenige Zentren in Österreich beschränkt.

Gombotz: Das Blutmanagement-Konzept ist multizentrisch entstanden, auf Basis der österreichischen Benchmark-Studie (Vergleichsstudie zwischen Krankenhäusern zu Bluttransfusionen, Anm.) in Kooperation mit Australien und den USA, die gezeigt hat, dass zu schnell Blutkonserven verabreicht werden. Das Konzept wurde von der WHO übernommen und soll jetzt weltweit umgesetzt werden. Das machen auch schon viele Länder, etwa Westaustralien, Holland und England. Leider hat das Gesundheitsministerium in Österreich die Umsetzung gestoppt. Ohne Begründung.

derStandard.at: Woran liegt das?

Gombotz: Da spielen viele Emotionen mit. Die Sorge ist, dass man Blutspender verliert. Das beste Gegenargument ist aber, dass jeder Spender sichergehen will, dass sein Blut so verwendet wird, wie es sich gehört. Und wir verwenden viel zu schnell Blutkonserven. Zusätzlich gibt es ein Systemproblem: Das Rote Kreuz braucht Blutspender, damit es sich selbst finanzieren kann. Direkte Kosten für Blutkonserven machen etwa 200 Millionen Euro pro Jahr aus, das gehört geändert. Es sollte Geld von der öffentlichen Hand bekommen, aber nicht über Bluttransfusionen. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 31.3.2013)