Ioan Holender stellt unangenehme Fragen zu Helmut Wobisch: "Wie geht die Republik heute damit um, einen bekannt schweren Nationalsozialisten ausgezeichnet zu haben?"

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STANDARD: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation bei den Salzburger Festspielen?

Holender: Sie ist verfahren. Präsidentin Helga Rabl-Stadler und Intendant Alexander Pereira - das war keine Liebesheirat. Eigentlich ist der Festspielpräsident eine Repräsentationsfigur und sonst nichts. Dass Rabl-Stadler zuletzt eine derart wichtige Rolle bekommen hat, war keine gute Entwicklung. Und dass Pereira gewohnt ist, ein Unternehmen sowohl künstlerisch als auch wirtschaftlich selbstständig zu führen, hat man gewusst: von der Oper in Zürich, vom Wiener Konzerthaus und von Olivetti in Frankfurt.

STANDARD: Abgesehen von den internen Querelen gibt es aber auch den Kampf von Pereira gegen das Kuratorium. Es geht ums Budget.

Holender: Dass Pereira ein begeisterter Egomane ist: Das hat man auch gewusst. Wenn er sagt, dass er die fehlenden Gelder aufbringt: Dann lasst ihn machen! Er muss es verantworten. Aber er müsste meiner Meinung nach auch dafür haften. Sie kennen das Festspielfondsgesetz? Die öffentliche Hand muss jeden Verlust ausgleichen. Das ist die Angst von Bürgermeister Heinz Schaden. Bei den Bundestheatern wäre das nicht möglich. Kein Meyer, weder Dominique noch Robert, kann sagen: "Pardon, ich hab zu viel ausgegeben, ich brauch noch was." Man kann als Direktor ansetzen, was man will - solange man mit dem Geld auskommt. Was mich wirklich nervt, ist, dass Alexander Pereira nur über das Geld spricht. Über das Künstlerische, das Dramaturgische, über Visionen lese ich nichts, ich höre immer nur "Geld, Geld, Geld".

STANDARD: Gibt es überhaupt eine Dramaturgie?

Holender: Das weiß ich nicht, weil ich immer nur über das Geld lese. Ich will Pereira nicht kritisieren, aber es stimmt schon: Das Programm ist kommerziell, konservativ, auch populistisch. Er bringt alle, die einen Namen haben, selbst die Gruberová, die nie Lieder singen konnte, und den Carreras. Das wird nicht gut ausgehen.

STANDARD: Themenwechsel. Schon vor fünf Jahren wurde in der von Ihnen initiierten Ausstellung Opfer, Täter, Zuschauer über die Staatsoper und den "Anschluss" 1938 die NS-Vergangenheit Helmut Wobischs dargelegt, der seine Kollegen bespitzelte. Warum gehen die Philharmoniker erst heute auf Distanz zu ihrem Ex-Geschäftsführer?

Holender: Das müssen Sie die Philharmoniker fragen. Es fällt natürlich auf. Man wusste, dass er ein wichtiger SS-Mann war. Und später, beim Carinthischen Sommer, hat Wobisch die diskutablen Kompositionen von Leonard Bernstein aufführen lassen. Das hat ihm sehr geholfen, denn Bernstein war ein zu Recht weltweit anerkannter Mann. Um es mit den Worten von Göring auszudrücken: Bernstein war der "Hausjude" von Wobisch.

STANDARD: An der Ausstellung arbeiteten Oliver Rathkolb und Bernadette Mayrhofer mit. Beide kritisierten damals, dass sie keinen Zugang zum Archiv der Philharmoniker bekommen hätten. Jetzt waren die beiden für Orchestervorstand Clemens Hellsberg tätig. Ist nun die NS-Vergangenheit der Philharmoniker aufgearbeitet?

Holender: Es gibt immer Dinge, die man noch erfahren kann. Es ist aber erfreulich, dass etwas geschehen ist. Ob freiwillig oder unter Druck, das sei dahingestellt. Interessant ist auch, dass Wobisch mehrfach ausgezeichnet wurde. Er erhielt 1967 das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich - und damit quasi die Absolution. Wie geht die Republik heute damit um, einen bekannt schweren Nationalsozialisten ausgezeichnet zu haben?

STANDARD: Gibt es eine Erklärung, warum gerade unter den Wiener Philharmonikern jeder Zweite NSDAP-Mitglied war?

Holender: Ich habe keine. Sie wurden ja nicht Mitglied, weil es ihnen zum Vorteil gereichte. Denn sehr viele waren schon vor dem Anschluss bei der NSDAP, also illegale Mitglieder. Generell war in Österreich der Anteil der überzeug-ten Nationalsozialisten und der Judenhasser höher als in Deutschland. Und ganz besonders hoch war der Anteil in Wien. Das Putzen der Straße mit Zahnbürsten zum Beispiel wurde nicht von Berlin befohlen: Das war eine Wiener Erfindung.

STANDARD: Ist das Neujahrskonzert auch eine Wiener Erfindung - oder eine Erfindung der Nationalsozialisten? Der Prototyp fand 1939 statt.

Holender: Eine Erfindung der Wiener Nationalsozialisten. Das Konzert war sicher nicht, wie Clemens Hellsberg bis vor ein paar Monaten behauptete, "eine sublime Erinnerung an ein verschwundenes Österreich". Dieser Satz ist zum Glück mittlerweile von der Homepage der Philharmoniker verschwunden. Von mir aus sollen alle glücklich sein mit dem Neujahrskonzert. Aber ich frage mich, ob man nicht aufhören sollte, den musikalisch nicht wirklich wertvollen Radetzky-Marsch zu spielen. Diese Frage würde ich auch stellen, wenn der Mörder-Marsch musikalisch wertvoll wäre.

STANDARD: Strauß Vater komponierte ihn nach Radetzkys siegreicher Schlacht bei Custozza 1848.

Holender: Genau. Mit ihm wird traditionellerweise das Neujahrskonzert beendet. Und alle klatschen begeistert mit. Nur einmal hat man darauf verzichtet: 2005 wegen der Tsunami-Katastrophe in Südostasien. Aus Rücksicht auf die vielen Toten. Also: Man weiß bei den Philharmonikern ganz genau, dass das ein Mörder-Marsch ist. Das nächste Neujahrskonzert dirigiert Daniel Barenboim. Er ist ein großer Humanist. Vielleicht streicht er den Radetzky-Marsch.

STANDARD: Sie haben früher das Theater an der Wien kritisiert. Wie beurteilen Sie nun das Programm von Intendant Roland Geyer?

Holender: Als Konsument bin ich sehr zufrieden. Geyer macht interessante Produktionen. Ich anerkenne die Diversität des Spielplans, den Mut bei der Auswahl der Regisseure. Die Nachfrage ist hoch, um die Karten ist zu Recht ein Griss. Sehr leid tut mir allerdings, dass er aus der Koproduktion mit dem Teatro Real ausgestiegen ist, also aus der Così fan tutte von Michael Haneke.

STANDARD: Sie meinten einst, Sie könnten das Theater an der Wien um die Hälfte der Subventionen bespielen.

Holender: Ich wollte eben, dass das Theater an der Wien die zweite Spielstätte der Staatsoper wird. Das ist mir nicht gelungen. Mir kann ja nicht alles gelingen. Und: Nein, Geyer schmeißt das Geld nicht hinaus. Wenn Sie über fragwürdige Ausgaben reden wollen, dann müssen wir über das Musical sprechen. Dass es in Wien zwei Theater für eine Kunstgattung gibt, die keine Kunstgattung ist: Das verstehe ich nicht. Musical sollte, wie anderswo, nicht subventioniert werden. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 28.3.2013)