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Anhänger der Opposition gehen immer wieder für die Freilassung Julia Timoschenkos auf die Straße, wie hier im Zentrum Kiews Ende Februar, und fordern eine schnellere europäische Integration der Ukraine.

Foto: EPA/Dolzhenko

Wien - Zwischen Brüssel und Kiew findet seit Monaten ein Nervenkrieg statt. Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen der EU mit der Ukraine ist seit längerem unterschriftsreif. Es ist das weitestreichende, das die Europäische Union jemals mit einem Nichtmitglied ausverhandelt hat, und könnte beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft im November in Litauen besiegelt werden.

Die EU hat zuletzt auf dem Brüsseler Gipfel Ende Februar den Druck auf den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch erhöht und vor einer Unterzeichnung des Abkommens konkrete Fortschritte bis Frühsommer eingefordert, vor allem in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Verlangt wird in erster Linie ein Ende der " selektiven Justiz", womit die Inhaftierung von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko und ihres früheren Innenministers Juri Luzenko gemeint ist. Die Prozesse gegen die beiden - und inzwischen ein weiteres Verfahren gegen Timoschenko wegen angeblichen Auftragsmordes - sind nach EU-Ansicht rein politisch motiviert. Neben der Freilassung der beiden fordert Brüssel grundlegende Justizreformen und ein Wahlgesetz nach echt demokratischen Standards.

Russland drängt Ukraine auf Zollunion

Janukowitsch bekundet rhetorisch Kooperationsbereitschaft, seine praktische Politik sieht jedoch anders aus. "Die Regierung will alle Bereiche des öffentlichen Lebens kontrollieren", sagte Jurij Jakymenko, Vizedirektor des Kiewer Rasumkow-Zentrums für politische und ökonomische Studien, jüngst bei einer Konferenz im Wiener Haus der Europäischen Union, bei der es um die "Wahl" der Ukraine zwischen der EU und Russland ging. Veranstalter waren das Renner-Institut und das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM).

Mit Blick auf das EU-Assoziierungsabkommen bedrängt Moskau seinerseits die Ukraine immer stärker, der Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan - offiziell Eurasische Union - beizutreten. Trotz der Ankündigung Janukowitschs, die Ukraine werde sich "schrittweise der Zollunion anpassen", sei ein Beitritt aber keine ernsthafte Option, meint der deutsche Ukraine-Experte und Buchautor Winfried Schneider-Deters. Angesichts des enormen Übergewichts Russlands in der Eurasischen Union wäre der ukrainische Präsident dann nur noch "Gouverneur von Kleinrussland". Es handle sich daher um einen Bluff, um die EU zu Konzessionen zu bewegen.

"Eigene Zeitfalle"

Was die Forderungen Brüssels im Zusammenhang mit dem Assoziierungsabkommen betrifft, scheine Kiew darauf zu spekulieren, " dass die EU in ihre eigene Zeitfalle rennt". Gemeint: Wenn die Ukraine nicht einlenkt und das Abkommen im November nicht unterzeichnet wird, verliert die EU auf absehbare Zeit ein Instrument der Einflussnahme.

Dass Timoschenko zumindest bis zur Präsidentschaftswahl 2015 nicht freikommt, steht für Schneider-Deters fest. Und da die Einordnung der Ukraine in den europäischen Werteraum durch Konfrontation ohnehin nicht möglich sei, plädiert er ( wie unter den EU-Ländern vor allem Polen) für die Unterzeichnung des Abkommens, auch wenn Kiew die Bedingungen nicht erfüllt. Dies wäre für Janukowitsch "ein Pyrrhussieg", denn: Die EU bekäme mit dem Abkommen eine völkerrechtliche Handhabe wie seinerzeit der Westen mit der KSZE-Schlussakte von Helsinki gegenüber der UdSSR. Nicht nur Brüssel, auch die ukrainische Opposition könnte dann darauf pochen.

Wolodymyr Ogrysko, ehemaliger ukrainischer Botschafter in Wien und danach zwei Jahre Außenminister unter Präsident Wiktor Juschtschenko, wies darauf hin, dass laut Umfragen 60 Prozent der Ukrainer für die europäische Integration seien. Eines der wirksamsten Mittel, diese zu beschleunigen, sei Visafreiheit: "Die EU mit eigenen Augen zu sehen, wirkt am überzeugendsten." (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 26.3.2013)