Die Séléka-Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik bekennen sich nach der Flucht von Präsident François Bozizé nach Kamerun zur Demokratie. Ganz so unwahrscheinlich, wie es angesichts des erneuten Putsches in dem rohstoffreichen, aber bitterarmen Land scheint, ist diese Ankündigung gar nicht. Fern der internationalen Aufmerksamkeit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so etwas wie eine demokratische Tradition entwickelt, erklärt Andreas Mehler vom Hamburger GIGA-Institut für Afrika-Studien.
derStandard.at: Aus welchen Personen besteht Séléka eigentlich?
Mehler: Die genaue Zusammensetzung der Rebellengruppe ist nicht klar. Fest steht, dass sich einzelne Rebellenbewegungen, die mit dem Regime ab 2008 Friedensarrangements geschlossen haben, und Abspaltungen, die das nie getan haben, nun zu Séléka formiert haben. Es gab große Unzufriedenheit unter den Rebellen, weil die versprochenen Eingliederung in die Armee und die entsprechenden Vergütungen nicht stattgefunden haben. Dabei sind aber auch eine ganze Reihe neuer Organisationen, von denen heute noch nicht viel bekannt ist. Es ist aber davon auszugehen, dass neben den einzelnen Rebellengruppen wie in der Vergangenheit auch diesmal politisch-militärische Unternehmer stehen, also Leute, die sich etwas davon versprechen, wenn sie Kampfkraft beweisen.
derStandard.at: Welche Unternehmer meinen Sie?
Mehler: Zunächst sind die Führer der Rebellenallianzen selbst oft nicht militärische Führer, sondern Leute, die in der Elite Banguis früher eine Rolle spielten, von der patrimonialen Kultur zunächst profitierten und dann vieles - gerade auch materiell - verloren haben, als sie ihr Amt nicht mehr hatten. Ausländische Interessen sind nicht auszuschließen, wenngleich sich in der Vergangenheit Hoffnungen auf stärkere Ausbeutung der vorhandenen Bodenschätze zerschlagen haben, gerade wenn es zu Unruhen kam - zum Beispiel im Hinblick auf Uran. Im Falle von Diamanten, die nicht in großen Bergbauprojekten gewonnen werden, verhält es sich anders als bei anderen Bodenschätzen, weil man sie leicht aus dem Land schmuggeln kann. Bei den meisten anderen Gütern sollten ausländische Player eigentlich kein Interesse an Unfrieden haben.
derStandard.at: Welche externen politischen Mächte stehen hinter Séléka? Manche vermuten gar das Islamistennetzwerk Al-Kaida im Hintegrund.
Mehler: Ganz auszuschließen ist das bei einer so heterogenen Allianz natürlich nicht, es scheint mir aber wenig wahrscheinlich. Für den jetzt zum Übergangspräsidenten ausgerufenen Michel Djotodia gilt das jedenfalls nicht, er gehört der Rebellenbewegung Union des Forces Démocratiques pour le Rassemblement an, die es schon länger gibt und die auch für ethnische Interessen der Gula im Osten des Landes steht. Zu den ganz spannenden Fragen dieses Konflikts gehört das Interesse des Nachbarlandes Tschad. Der gestürzte Präsident Bozizé war ursprünglich ein Mann des Tschad. Beim Vormarsch der Rebellen auf Bangui haben sich die im Rahmen der subregionalen Friedenstruppen im Land stationierten tschadischen und gabunischen Kontingente jedoch strikt neutral verhalten. Entweder, weil sie die militärische Hoffnungslosigkeit des Regimes erkannt haben, oder weil der Tschad Bozizé tatsächlich fallengelassen hat.
derStandard.at: Hat Bozizé noch viele Anhänger im Land?
Mehler: Über Bozizé muss man nicht allzu viele Tränen vergießen. Er ist 2003 ähnlich an die Macht gekommen wie heute die Séléka, nämlich durch einen militärischen Vormarsch auf Bangui. Ohne die Unterstützung des Tschad wäre er nie ins Amt gekommen. Auch er hat anfangs behauptet, nur übergangsweise Präsident sein zu wollen. Das hat sich aber schnell geändert, er hat aus den Reihen seiner Günstlinge eine Partei gegründet und die gesamte politische Kultur des Landes stark korrumpiert und zerstört. Er hat innenpolitische Dialogprozesse über sich ergehen lassen, hinterher die Ergebnisse aber nicht akzeptiert. Bozizé hat in einem hochkorrupten System einzig seine Familie und seine Günstlinge gefördert.
derStandard.at: Séléka-Übergangspräsident Djotodia hat freie und transparente Wahlen innerhalb der nächsten drei Jahre versprochen. Halten Sie das für realistisch?
Mehler: Ja, und zwar schon deutlich früher als in drei Jahren. Wenn es den politischen Willen gibt, bleibt nur das Problem der technischen Durchführung in den kaum erreichbaren Gebieten im Osten des Landes. Genau von dort und aus dem Norden kamen die großen Rebellenbewegungen in den vergangenen Jahren, weil diese Gebiete auch infrastrukturell sehr stark isoliert sind. Denkbar ist aber etwa die Verteilung der Stimmzetteln und -urnen per Helikopter, wie es die Franzosen 1993 und die UN-Mission 1998 und 1999 gemacht haben. Logistisch ist so eine Wahl ein ziemlicher Alptraum, aber wenn man es nicht hinbekommt, schafft sich die neue Führung wieder Unzufriedene, die sich von der Demokratie ausgeschlossen fühlen. Man muss wissen, dass die Zentralafrikanische Republik im Vergleich zu ihren Nachbarländern durchaus demokratische Traditionen hat, es gab etwa von 1978 bis 1981 ein Mehrparteiensystem. Keine Wahl seit Jahren war so offen und konsequent manipuliert wie jene von 2011, die Bozizé organisierte.
derStandard.at: Wie kam es zu diesem demokratischen Sonderweg der Zentralafrikanischen Republik?
Mehler: Diese Tradition ist ein Stück weit ein Zufall der Geschichte, weil die Franzosen nach dem Sturz von Kaiser Jean-Bédel Bokassa etwas ratlos waren. Darum wurde in einer Wahl der zuvor von Bokassa gestürzte David Dacko, also der erste zivile Präsident, ins Amt gewählt, er hat sich aber als zu schwach herausgestellt, um ein demokratisches System aufrechtzuerhalten und wurde selbst weggeputscht. Während Anfang der 90er Jahre aber ringsum sehr autoritär regiert wurde, hat sich in der Zentralafrikanischen Republik, getragen von Gewerkschaften und NGOs, doch ein Nährboden für demokratische Entwicklungen gebildet. Außerdem hatten die Präsidenten in dieser Zeit kaum Rückhalt im System, darum ist die demokratische Tradition auch eine Konsequenz der Schwäche der Machthaber.
derStandard.at: Nun rangiert das Land etwa im Demokratieindex der britischen Zeitschrift "Economist" auf Platz 162 von 167. Warum ist es so abgestürzt, auch was Demokratie betrifft?
Mehler: Mitte der 90er Jahre hatte die Zentralafrikanische Republik noch recht respektable Werte und lag im Mittelfeld. Bozizé hat das Land immer weiter nach unten gedrückt.
derStandard.at: 2006 und 2010 erlebte die Zentralafrikanische Republik massive Kämpfe. Droht ein neuer Bürgerkrieg?
Mehler: Dieser Bürgerkrieg droht schon seit langem immer wieder, zumindest latent. Es ist auch regelmäßig zu Ausbrüchen gekommen, die aber unterhalb unserer Wahrnehmungsgrenze in Europa lagen. Wenn sich Séléka jetzt politisch geschickt verhält und nicht ihrerseits Menschen oder Landesteile ausschließt, wird es auch für Anhänger des alten Bozizé-Regimes schwierig, Unruhe zu stiften. Zwei Faktoren könnten aber trotzdem zum Bürgerkrieg führen: wenn sich der Tschad davon Vorteile ausrechnet oder bedroht sieht, oder wenn die religiöse Komponente dieses Konflikts stärker wird, wie es sich jüngst abzeichnet. Zum Beispiel, wenn es zu Abrechnungen an Bozizé-Anhängern kommt, oder protestantische Kirchen zerstört werden, weil die Christen tendenziell hinter dem alten Regime standen. Umgekehrt kam es Ende 2012 in Bangui zu pogromartigen Unruhen, weil man die muslimischen Einheimischen für Rebellenangriffe verantwortlich gemacht hat. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 25.3.2013)