Bild nicht mehr verfügbar.

Eine Reinwaschung wäre für ihn und seine Bürger(innen) dringend nötig: der Stadthauptmann (Günter Franzmeier).

Foto: APA/ROBERT JAEGER

Wien - Die Kostümwerkstätten des Volkstheaters müssen die letzten Wochen damit verbracht haben, Männerunterhosen an entscheidenden Stellen gelblich-bräunlich einzuschmutzen und -hemden vollzusabbern. Versiffungskunst war gefragt: Mit schwer verfilzten Häuptern und bleichen Zombie-Gesichtern purzelten dann bei der Premiere von Nikolai Gogols Komödie Der Revisor am Freitag die Provinzbeamten aus ihren stinkigen Schreibstuben über eine große Showtreppe auf die Volkstheaterbühne.

Regisseur Thomas Schulte-Michels hat dieses Zombies-auf-Stiegen-Konzept bereits Anfang Februar am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken umgesetzt. Die Einfachheit, mit der er dort die korrupt-kaputte Regierung einer russischen Provinzstadt entblätterte, überzeugte auch in Wien. Schulte-Michels schnallt als Regisseur den Gürtel eng, kürzt und beschleunigt das Verwechslungsspiel (in der deutschen Übersetzung von August Scholz), das am Volkstheater nach 80 Minuten auch schon wieder vorbei ist.

Rechtzeitig bevor man sich an den vergrätzten Figuren, ausgestattet von Kostümbildnerin Tanja Liebermann, sattgesehen gehabt hätte: an den Atze-Schröder-Locken des Kreisrichters (Alfred Ebenbauer), an den struppigen Pelzkutten von Dobtschinskij und Bobtschinskij (Matthias Mamedof und Günther Wiederschwinger), am Stotter-Gollum des Postmeisters (Rainer Frieb), an den Fettsträhnen von Schulinspektor (Alexander Lhotzky) und Hospitalverwalter (Thomas Kamper).

Sie alle treten nun mit geröteten Augen ins Licht, aufgescheucht aus ihrem Langschläfer- und Nichtduscher-Alltag, weil sich ein Revisor angesagt hat, ein Kontrolleur aus St. Petersburg, der ihre jeweilige marode Amtsführung auffliegen zu lassen droht. Das muss verhindert werden. Pech nur, dass die ängstlichen Deppen unter der Anführung ihres rasenden Bürgermeisters (Günter Franzmeier) dem falschen Mann die Füße küssen, einem verschuldeten Vaganten, der die Zuwendungen dieser Fremden zunächst etwas verdutzt, später aber mit großer Bereitschaft annimmt.

Es gab und gibt keine Zeit, in der man sich mit Gogols Revisor nicht an Vorfälle der unmittelbaren Gegenwart erinnert sehen würde. An die vielen haarsträubenden Korruptions- und Lügengeschichten von Entscheidungsträgern, an deren Geldgier und Selbstübervorteilung auf Kosten des Staates - Bestechungsdialoge, deren Banalität Gogol schon 1835 festhielt.

Herauspoliertes Sittenbild

Schulte-Michels verzichtet auf aktuelle Verweise, kein österreichischer Korruptionsskandal wird dingfest gemacht. Es geht ums Generelle: Um eine prächtige Darstellung zeitloser Dummheit in Vaudeville-Manier. Das mag ein einfaches Ziel sein, ergibt nach 80 Minuten aber ein schön herauspoliertes Sittenbild, das rein bildlich recht überzeugend zum Himmel stinkt. Olfaktorisch aber unbedenklich bleibt.

Marcello de Nardos Chlestakow (der vermeintliche Revisor) erinnert mit seinen großen, traurig im Gesicht hängenden Augen und mit seinen an den Hosenträgern baumelnden Beinen (wieder einmal) an Charlie Chaplins Tramp-Figur. Auf der großen Kleinstadttreppe (Bühne: Schulte-Michels) wird er zum unverhofften Adressaten satter Bestechungsversuche. Stapelweise stecken ihm die grindigen Herren das Geld zu - und er nimmt es, auch zur Freude seines Dieners Ossip (Till Firit).

Allein die vom Ensemble des Volkstheaters mit Todesverachtung vollführten Manöver auf dieser steilen Treppe (unter Anleitung eines Stuntman) sorgen für Spannung. Da klappern die Knochen, da spreizen sich Beine - die Kleinstadtpromis (weiters: Susa Meyer als Bürgermeistergattin und Andrea Bröderbauer als deren Tochter) werden schnell gefügig. Damit hat das Volkstheater einen weiteren, schönen, kleinen, leichten Happen im Programm. Vielleicht aber sollte man diese Light-Rezeptur wieder einmal ändern. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 25.3.2013)