Über den neuen Papst haben wir erfahren, dass er sehr bescheiden ist. Die in einer Kammer neben der Sixtinischen Kapelle (Eingang direkt unter Michelangelos Weltgericht) traditionell für unmittelbar nach der Wahl bereitliegenden Papstgewänder (drei Größen) hat er abgelehnt, die Maß-Slipper auch, seine Gemächer sind ihm zu weitläufig.

Sehr nett. Aber das reicht nicht. Notwendig sind eher deutliche Klarstellungen zu zwei Großthemen (die nichts mit Dogmen zu tun haben):

Ist geklärt, wie der Papst zu grausamen, diktatorischen, aber gleichwohl katholischen Regimen steht und künftig stehen wird? Und: Ist geklärt, wie der Papst den immer noch schwelenden, massenhaften Kindesmissbrauch innerhalb der Kirche zu bewältigen gedenkt? Die Kirche hat sich hier in beiden Fällen aufs Schwerste schuldig gemacht. Es fehlt a) ein überzeugendes Schuldeingeständnis und b) fehlen klare Verhaltensregeln für die Zukunft.

Papst Franziskus war Jesuitenprovinzial (regionaler Vorsteher des Ordens) während der furchtbaren Jahre der argentinischen Militärdiktatur. In dieser Zeit wurden tausende Regimegegner, aber auch nur verdächtige Liberale grässlich gefoltert, umgebracht und ihre Waisenkinder an Militärpersonal verschachert. Die katholische Kirche Argentiniens hat (wie in anderen Militärdiktaturen Lateinamerikas) kollaboriert. Sie hat spät und nicht besonders überzeugend offizielle Reue dafür gezeigt. Papst Franziskus wird vorgeworfen, persönlich schuldig geworden zu sein. Die Evidenz ist nicht eindeutig.

Kollaboration ist Sünde

Für katholische Würdenträger war (ist?) es schwer, mit rechten Diktaturen umzugehen, die sich aufs Christentum berufen. Totaler Widerstand kann kontraproduktiv sein, Kollaboration mit einer uniformierten Mörderbande ist aber trotzdem ein Verbrechen. Und eine Sünde. Der Jesuitenprovinzial von damals sagt, er habe sich intensiv für die verhafteten Priester eingesetzt. Gleichzeitig erhielt der Foltergeneral Videla (jetzt erst verurteilt!) die Kommunion aus der Hand anderer hoher Kleriker. Er wird wohl vorher nicht gebeichtet haben.

Selbst wenn sich der heutige Papst nicht persönlich schuldig gemacht hat, so ist er der Weltöffentlichkeit, den Gläubigen und sich selbst eine feierliche Erklärung schuldig, wie er sicherstellen wird, dass die Kirche nie wieder blutige Diktatoren unterstützt.

Ein zweites Riesenthema ist der flächendeckende Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen. Dazu ist zunächst zu sagen, dass es in allen geschlossenen Institutionen, auch weltlichen Internaten, solchen Missbrauch gibt. Auch hat der vorige Papst Maßnahmen gesetzt; die österreichische Kirche unter Kardinal Schönborn war Vorreiter. Gleichzeitig herrschen aber Vertuschung und Verhöhnung der Opfer in hohen Kirchenkreisen.

Ausständig sind aber eine klare Benennung des Faktums und ein detaillierter Plan, wie man mit dem Problem künftig umgeht. In beiden Fällen hat die Kirche enorm an moralischer Sub-stanz eingebüßt. Ein Befreiungsschlag wäre notwendig. Ist sich der neue Papst darüber wirklich im Klaren? (Hans Rauscher, DER STANDARD, 22./23.3.2013)