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Kroatien hat zu lange auf den Tourismus gesetzt, kritisieren Ökonomen. Hier ein Blick aus einem Hotel auf der Insel Korcula in der Adria. An Industriebetrieben fehlt es im Land. Auch der Staatssektor ist stark ausgeprägt.

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Jeden Tag gegen elf Uhr vormittags kommt der Mann in der dicken dunklen Jacke und gräbt mit einem metallenen Haken in dem Müllcontainer. Es gehört zum Alltag, dass Pensionisten in der Hauptstadt des künftig 28. Mitgliedsstaates der Europäischen Union die Abfälle ihrer Mitbürger durchsuchen. Denn ihre Pensionen reichen nicht zum Leben. Manche sammeln auch Plastikflaschen, um diese wieder zu verkaufen. Über 20 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Und obwohl das Land mit einem Durchschnittseinkommen von 750 Euro im Monat noch immer zu den wohlhabenderen Staaten Ex-Jugoslawiens gehört, ist die Krise jenseits der Touristenorte überall zu spüren.

Die Regierung hat kürzlich ihre Wachstumsprognose von 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 0,7 Prozent nach unten revidiert. Und auch das scheint unwahrscheinlich. Kroatien wird kaum vom EU-Beitritt am 1. Juli 2013 profitieren, wie dies noch Bulgarien und Rumänien taten, die während der Hochkonjunktur 2007 beitraten.

Abhängig

Das kleine Land mit 4,5 Millionen Einwohnern ist zu sehr vom ökonomischen Umfeld abhängig, und auch die wichtigen Handelspartner Italien und Slowenien stecken in der Krise. In Kroatien wurden außerdem tiefgreifende Strukturreformen verabsäumt.

Laut dem Wirtschaftsexperten Vladimir Cavrak hat die Regierung wirtschaftspolitisch "versagt". Nach der Ratingagentur Standard & Poors hat auch Moody's im Februar die Bewertung auf "Ba1", also Ramschniveau gesenkt.

Zu den zentralen Problemen zählt, dass die Wirtschaft zu sehr auf Tourismus basiert, außerdem gibt es zu wenig Industrie (die Industrieproduktion brach 2012 im Vorjahresvergleich um 5,5 Prozent ein), es wird zu wenig exportiert, und die Staatsbetriebe (wie die Werften oder die staatliche Forstverwaltung) sind ineffizient und korruptionsanfällig.

Privilegien jener, die in den Staatsbetrieben sitzen - es sind dies auch jene, die gewerkschaftlich vertreten sind - stellen eine offensichtliche Ungerechtigkeit gegenüber jenen dar, die nicht "im System" sind. Und die Arbeitslosigkeit steigt - im Jänner war sie im Vergleich zu 2012 um 11,3 Prozent höher. Insgesamt liegt sie bei etwa 19 Prozent. Die Staatsverschuldung hat im Vorjahr 66 Prozent des BIP überschritten. Mit Kroatien tritt also ein weiterer Staat, der mit einem Budgetdefizit kämpft, der EU bei.

Gehälter kürzen

Die Regierung wird deshalb mit April die Gehälter der Staatsbediensteten um drei Prozent kürzen - auch Premier Zoran Milanovic kappte seinen Sold. Er will damit das Staatsdefizit auf 1,3 Milliarden Euro drücken. Die Maßnahme betrifft etwa 231.000 Bedienstete, die nun bis zu 500 Kuna (65 Euro) weniger im Geldtascherl haben werden.

Doch laut Wirtschaftsexperten wird dies nicht helfen, Kroatien aus der Krise zu holen. "Die Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst können strukturelle Reformen nicht ersetzen", sagt etwa der Ökonom Cavrak von der Universität in Zagreb. "Das verzögert nur die Reformen und wird eher schaden als nützen." Auch die angedachte Einführung einer Immobiliensteuer hält er in Zeiten der Rezession für falsch. "Ohne eine deutliche Verringerung des Staatsanteils am BIP und eine tiefgreifende Umstrukturierung des öffentlichen Sektors ist es nicht möglich, Raum für mehr Investitionen und inländisches Unternehmertum zu schaffen", urteilt Cavrak.

Ökonomen kritisieren zudem zögerliche Reformen. Zu wenig passiert etwa bei den Pensionen: Der Anteil der erwerbsfähigen Menschen ist mit 52 Prozent einer der niedrigsten weltweit. Laut der Zeitung Jutarnji list müssen 1,2 Beschäftigte einen Pensionisten finanzieren. Bedenklich sind etwa die vielen Frühpensionisten und großzügige Pensionen für Kriegsveteranen. Auch die Invaliditätspensionen - derzeit 26 Prozent aller Pensionen - kommen den Staat teuer. In Kroatien kam es laut Experten vor, dass Schmiergelder für ärztliche Gutachten für eine Invaliditätspension flossen. Der Internationale Währungsfonds - es kann sein, dass Kroatien internationale Finanzhilfe braucht - hat die Regierung kürzlich aufgefordert, das Pensionsalter auf 67 Jahre zu erhöhen.

Kroatien leidet aber auch am rückläufigen Inlandskonsum. Viele kroatische Haushalte sind verschuldet - unter anderem in Frankenkrediten. Das Minus auf Privatkonten beträgt laut Nationalbank beinahe eine Milliarde Euro. Deshalb denkt das Finanzministerium über Beschränkungen nach. Der Überziehungsrahmen soll von bisher bis zu drei Monatsgehältern auf eines reduziert werden.

In den vergangenen Jahren haben sich zudem Auslandsinvestoren (etwa die OMV) aus Kroatien zurückgezogen. Bürokratischer Aufwand schreckt neue Investoren ab. Die Regierung hat nun ein Gesetz beschlossen, wonach öffentliches Gut unter Auflagen privatisiert werden kann. Doch im strukturkonservativen Kroatien, wo die Angst vor dem "Ausverkauf des Landes" stark ausgeprägt ist, hat dies zu Protesten der katholischen Kirche und anderer Nichtregierungsorganisationen geführt. Man fürchtet etwa den "Abverkauf" von Wald und Wasser.

Heikle Phase

Die sozialdemokratisch geführte Regierung spürt nicht nur den Druck dieser Interessengruppen und der Gewerkschafter. Am 14. April finden zudem Wahlen für das EU-Parlament und im Mai Lokalwahlen statt. Der Wahlkampf erschwert Reformen. Nach dem Wirtschaftsminister trat nun auch der Tourismusminister Veljko Ostojic - wegen Korruptionsvorwürfen - zurück. Das ist ein Zeichen dafür, wie angespannt die Lage innerhalb der Koalition ist.

Cavrak denkt, dass es an der Zeit ist, die Regierung überhaupt umzubilden. Die Wahlen seien ein guter Anlass dafür. Er sieht die fehlenden wirtschaftspolitischen Fähigkeiten der linksliberalen Regierung vor allem durch zwei Fakten bestätigt: Den stetigen Abwärtstrend bei den wichtigsten makroökonomischen Indikatoren und den stetigen Rückgang des Vertrauens der Öffentlichkeit. Wenn die Regierung nichts ändere, "wird Kroatien kaum in der Lage sein, von den möglichen positiven Auswirkungen des Beitritts zu profitieren", resümiert er. (Adelheid Wölfl , DER STANDARD, 23./24.3.2013)