Der vom Aussterben bedrohte Feldhamster genießt den Auslauf in Wien. Mehr Fotos von wilden Tieren in Wien gibt es hier.

Foto: Karl Leitner/Vienna Wildlife

Eisvögel zu erblicken ist eine schwierige Aufgabe: Zehn bis zwölf Brutpaare gibt es in der Stadt.

Foto: Karl Leitner/Vienna Wildlife

Wien - Über die Mercer-Studie, die Wien derzeit die weltweit höchste Lebensqualität bescheinigt, wissen Wildtiere natürlich nicht Bescheid. Aber dass es sich in der einzigen österreichischen Millionenstadt sehr gut leben lässt, hat sich auch bis zu den umliegenden Wäldern, Baumwipfeln und Bergen durchgesprochen. "Die Stadt ist für Wildtiere attraktiver geworden", sagt Manuela Habe vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie an der Vetmed-Uni Wien. "Es gibt eine sehr hohe Artenvielfalt." Füchse, Dachse, Marder, Wildschweine, Feldhamster und Biber sind längst nicht die einzigen Tierarten, die es ins Wiener Stadtgebiet zieht.

Landflucht der Tiere

Die Landflucht der Tiere nennt sich "Synurbanisation" und lässt sich an einigen Faktoren festmachen: Erstens ist das von den Menschen geschaffene Nahrungsangebot überbordend, zweitens sind attraktive Grünadern mitten in der Stadt sowie Naturschutzgebiete und Wälder für den sicheren Unterschlupf nicht weit. Im Augarten oder im Prater im zweiten Gemeindebezirk wurden ebenso wie im Sternwartepark im 18. Bezirk Fuchshöhlen und Dachsbauten gesichtet, in den Pötzleinsdorfer Schlosspark haben sich auch schon Wildschweine verirrt. Und wer Rehe in freier Wildbahn sehen will, dem sei ein Spaziergang durch den Zentralfriedhof empfohlen.

Der Fuchs, ein Futteropportunist

Menschen, die in der Nähe von Parks oder ein paar Kilometer vom Stadtrand entfernt wohnen, brauchen sich nicht zu wundern, wenn plötzlich ein Dachs oder ein Fuchs vor ihnen steht. "Die Stadt ist kein unnatürlicher Lebensraum für Wildtiere", sagt Habe. Der Fuchs etwa ist ein Futteropportunist - und geht dahin, wo es mit minimalem Aufwand die maximale Beute für ihn gibt.

Genaue Zahlen bezüglich der Wildtiere in Wien gibt es nicht. "Absolute Zahlen zu erfassen ist auch nicht möglich", sagt Habe. Seit 2011 arbeitet die Wildtierforscherin aber an einem Projekt, bei dem mit Fotofallen und unter Mithilfe der Bevölkerung Tiere erfasst, dokumentiert und beobachtet werden. So kann etwa festgestellt werden, über welche Routen sich Wildtiere weiter in die Stadt fortbewegen. 

"Nicht anfüttern"

Sichtungen können via E-Mail (wildtierinfo@fiwi.at) an das Projektteam gemeldet werden. Laut Hochrechnungen könnten allein bis zu 4000 Füchse und 2000 Marder im Stadtgebiet leben. Das ist nicht wenig. Konflikte zwischen Mensch und Tier im direkten Umgang können auftreten, unter Beachtung einiger Verhaltensregeln lassen sie sich aber schnell minimieren. "Nicht anfüttern" lautet eine wichtige Regel - die gilt übrigens nicht exklusiv für Wildtiere, sondern auch für Menschen. Oder: Die Natur als Natur akzeptieren und sich daran erfreuen.

"Es reicht oft schon, wenn die eigene Hauskatze nicht mehr vor der Eingangstür gefüttert wird", sagt Habe. Die Aussicht auf einen vollen Magen zieht nämlich auch Auswärtsesser aus dem Wald an. Diese sollen aber keinesfalls als Haustiere gesehen werden, sondern als das, was sie eben sind: Wildtiere. Habe: "Wenn ein Fuchs vor der Tür steht, braucht er kein Futter und keine Hilfe." Verhält sich das Tier aber eigenartig, sollte die MA 60 (Veterinärdienst und Tierschutz) verständigt werden.

Wildschweine in der Stadt

Zu einem Problem haben sich Wildschweine entwickelt, die sich auf der Suche nach Futter immer weiter ins Stadtgebiet wagen. Die Jagd innerhalb Wiens ist aus Sicherheitsgründen keine einfache, und das ist nur ein Grund, wieso sich die Tiere wie die sprichwörtlichen Karnickel vermehren. "Wir müssen derzeit auf alle Wildschweine schießen, die wir nur erwischen können", sagt Forstdirektor Andreas Januskovecz.

Karl Leitner drückt auch ab, aber nur mit seiner Kamera. Mit beeindruckender Geduld hat es sich der Wiener Fotograf zur Aufgabe gemacht, die wilde Seite seiner Stadt festzuhalten. "Vienna Wildlife" nennt er seine Sammlung von tierischen Fotos, die innerhalb der Stadtgrenzen entstanden sind. Den vom Aussterben bedrohten Feldhamster erwischte er mit seiner Kamera auf Augenhöhe, als der gerade zu einem Sprint ansetzte. "Und für das Foto von einem Eisvogel beim Fischen habe ich vier Stunden investiert", sagt Leitner. Von dem nur bis zu 17 Zentimeter langen und streng geschützten Vogel gibt es gerade einmal zehn bis zwölf Brutpaare in Wien.

Naturerlebnis in der Stadt

Leitner streift auch gerne um den Wienerberg, wo es zum Beispiel seltene Haubentaucher zu finden gilt, oder durch den Floridsdorfer Wasserpark, wo seit ein paar Wochen wieder Graureiher brüten. "Einer fischt auch im Stadtpark", sagt Leitner. Nahe einem Nebenarm der Donau bei der Nordbrücke hat er Biber und Füchse abgelichtet. Für Interessierte bietet der Fotograf auch Workshops an. "Es geht mir nicht nur ums Fotografieren" , sagt Leitner, "sondern auch um das Naturerlebnis mitten in der Stadt. Das ist der Grund, wieso Wien für mich so lebenswert ist."

Dass es dabei bleibt, dafür können auch Hausbesitzer in Wien sorgen. Die Ankunft des streng geschützten Mauerseglers aus Afrika kündet ab Ende April vom nahenden Sommer. 5000 Paare brüten jedes Jahr - selbst in der Innenstadt. Sanierungen und Dachausbauten haben dem Mauersegler, der einer Schwalbe ähnlich sieht und etwas größer ist, aber viele Brutplätze genommen. 

Brutplätze für saubere Vögel

Die Lösung der Umweltschutzabteilung MA 22: Sogenannte Konsolen, also Verzierungen an den Fassaden alter Häuser, können bei Sanierungen für die Mauersegler geöffnet werden. "Eine nur wenige Zentimeter große Öffnung reicht dafür aus, die Fassade wird von den sauberen Vögeln nicht verschmutzt", sagt Manfred Pendl von der MA 22. Die Abteilung bietet sich bei der Bauumsetzung dieser einfachen und unsichtbaren Naturschutzmaßnahme gerne als Projektpartner an. Sie nennt das Programm übrigens "Wiener Modell". (David Krutzler, DER STANDARD, 23./24.3.2013)