Bild nicht mehr verfügbar.

Jedes Bundesland kann selbst entscheiden, ob und in welcher Form Bettelverbote erlassen werden. In Tirol und Vorarlberg ist auch das stille Betteln verboten.

Foto: APA/Helmut Fohringer

Für Marion Thuswald ist die Polizei ein wichtiger Akteur bei der Verbreitung des Mythos "Bettelmafia", für die es aber keinen Nachweis gebe.

Foto: derStandard.at

Menschenrechtsexpertin Barbara Weichselbaum sieht vor allem in den fehlenden Begriffsdefinitionen der Gesetze eine Problematik.

Foto: derStandard.at

Friedrich Kovar von der Wiener Landespolizeidirektion glaubt nicht, dass es friedliches Miteinander geben wird, wünscht sich jedoch ein soziales Nebeneinander.

Foto: derStandard.at

Laut Rechtsanwalt Christian Schmaus habe die Verrechtlichung des Bettelbereichs eine Verschlechterung der Rechtsposition der Bettler mit sich gebracht.

Foto: derStandard.at

Gabriela Szeberenyi erkennt in den vielen Gesetzen eine Angst vor der Armut.

Foto: derStandard.at

Das Thema Betteln wird in Österreich wieder vermehrt diskutiert. Einmal mehr fordert die FPÖ für österreichische Ballungszentren eine Verschärfung der Bettelregelungen. So sollen in Wien Schutzzonen eingerichtet werden, in denen das Betteln gänzlich verboten ist. Aus dem Wiener Rathaus gibt es dafür heftige Kritik. Man müsse die Armut bekämpfen und nicht die Armen, so Sozialsprecherin Birgit Hebein von den Grünen.

Auch in Salzburg wurde erst unlängst ein Antrag für eine strengere Regelung im Gemeinderat eingebracht. Allerdings wurde ein Bettelverbot an stärker frequentierten Stellen der Stadt vor einer Woche abgelehnt.

Viele Gesetze, schwammige Definitionen

Bei einer Podiumsdiskussion der Universität Wien wurde versucht, sich dem Thema Betteln sowohl aus einer politischen als auch wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive zu nähern. Rechtsvertreter sowie Mitarbeiter sozialer Einrichtungen und der Exekutive trafen sich, um über die aktuelle Rechtslage und die allgemeine Situation der Bettler in Österreich zu sprechen. Am Podium saßen Rechtsanwalt Christian Schmaus, Gabriela Szeberenyi (Vinzenzgemeinschaft), Marion Thuswald (Bettellobby), Barbara Weichsebaum (Universität Wien, Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte) und Friedrich Kovar (Landespolizeidirektion Wien).

In einem Punkt waren sich die Diskutanten einig: Auf der einen Seite sind in den vergangenen Jahren die Gesetze zum Bettelthema "wie die Schwammerln aus dem Boden geschossen", wie ein Teilnehmer es auf den Punkt brachte. Auf der anderen Seite fehle es an klaren Begriffsdefinitionen, sodass die Handlungsverantwortung dafür, wann und wie eingegriffen werden soll, fast ausschließlich bei der Exekutive liege.

Fehlende Begriffsbestimmungen

"Es hat in diesem Bereich zahlreiche Verschärfungen gegeben", erklärte Barbara Weichselbaum, Expertin für Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und Europäischen Menschenrechtsschutz. "Und da die Gesetze auf Landesebene geregelt werden, existieren in Österreich mittlerweile viele verschiedene Gesetze." Manche davon seien deckungsgleich, andere wieder ganz unterschiedlich. In Tirol und Vorarlberg ist etwa auch das stille Betteln verboten (die genauen Regelungen in den einzelnen Bundesländern siehe Infobox unten).

Die meisten Gesetze richten sich gegen aggressives Betteln oder Betteln mit Kindern sowie gegen organisiertes bzw. erwerbsmäßiges Betteln. Das Grundproblem dabei sei aber, dass es keine eindeutigen Begriffsbestimmungen gebe, so Weichselbaum: "In Wien ist zum Beispiel gewerbsmäßiges Betteln verboten. Was das aber genau ist, wurde vom Gesetzgeber nicht klar definiert".

Somit obliege es der Polizei, in den einzelnen Fällen zu entscheiden, ob gewerbsmäßig gebettelt werde oder nicht. Ein Vergehen gegen die Gesetze kann zum Teil sehr teuer kommen. Der Strafrahmen reicht bis zu 14.500 Euro, berichtete Weichselbaum.

Vorwurf: Willkür der Polizei

Marion Thuswald von der Bettellobby Wien prangerte an, dass es in Österreich seit 2006 mehr als zehn Gesetzesänderungen gegeben habe. Thuswald, die für ihre Diplomarbeit viel Zeit mit betroffenen Bettlern verbracht hat, sprach auch von einer Willkür, mit der die österreichische Polizei Gesetze exekutiere. "Die Polizei sucht oft bewusst nach Gesetzen, um die Leute zu bestrafen", so Thuswald.

Dem fügte Weichselbaum hinzu, dass es sehr bedenklich sei, wenn Bettler anhand ganz unterschiedlicher Gesetze bestraft werden können. "Einen besonders skurrilen Fall gab es in Wien, wo das Betteln durch das Wiener Landessicherheitsgesetz geregelt ist", so Weichselbaum. "Der Mann wurde aber anhand der Straßenverkehrsordnung, Paragraph 78, bestraft, weil der Tatbestand der Verkehrsstörung als erwiesen angesehen wurde. Der Grund dafür war, dass er an der Mariahilfer Straße auf einem zehn Meter breiten Gehsteig mit gespreizten Beinen am Boden saß."

"Brauchen sozial verträgliches Nebeneinander"

Friedrich Kovar von der Landespolizei Wien betonte demgegenüber, dass sämtliche Gesetze zum Betteln anlassbezogen entstanden seien. "Man muss diese Diskussion wieder auf eine Metaebene bringen und auch berücksichtigen, dass sämtliche Gesetze unter politischem Druck entstanden sind", so Kovar. Als einen gesellschaftlichen Anachronismus bezeichnete er die Tatsache, dass man Bettler mit einer Geldstrafe belege, obwohl diese ja betteln, weil sie kein Geld haben. 

"Wir versuchen auch in Kooperation mit sozialen Einrichtungen in Wien eine gemeinsame Sprache zu sprechen", meinte Kovar in Bezug auf die fehlenden Begriffsgrundlagen und den Vorwurf der Willkür. "Wir brauchen ein sozial verträgliches Nebeneinander, denn ein Miteinander wird es wohl nie geben." Die große Herausforderung der Polizei sei es nun, diese Gesetze in respektvollem Umgang mit den betroffenen Menschen umzusetzen.

Der Mythos Bettelmafia

Gegenüber der Polizei kritisierte Marion Thuswald aber auch, dass Polizeivertreter die Diskussion rund um das organisierte Betteln forcieren würden. "Es gibt keinen einzigen Nachweis für die Existenz einer sogenannten Bettelmafia in Österreich", so Thuswald. "Und dennoch wird es immer wieder von der Exekutive in den Medien thematisiert." Demnach sei die Polizei ein wichtiger Akteur bei der Verbreitung des Mythos "Bettelmafia".

"Wir haben aber die Informationen, dass es sehrwohl Organisationen gibt, die das Betteln in Österreich organisieren", meinte Friedrich Kovar dazu. "Es ist nur auf der Straße schwer zu identifizieren, ob hier organisiert gebettelt wird. Denn die Strukturen sind nicht sichtbar und auch für den Beamten auf der Straße schwer wahrnehmbar."

Konkretere Informationen hätten bislang noch nicht recherchiert werden können, zudem fehle der Zugang, um das zu prüfen, erklärte Kovar weiter: "Jedenfalls kann man nicht von organisiertem Betteln sprechen, wenn sich drei bettelnde Personen gerade einen Blick zugeworfen haben."

Verschlechterung der Rechtsposition der Bettler

Rechtsanwalt Christian Schmaus thematisierte vor allem die Hilfslosigkeit betroffener Bettler. "Es hat eine starke Verrechtlichung dieses Bereichs stattgefunden, die eine Verschlechterung der Rechtsposition der Bettler mit sich brachte", erklärte Schmaus, der als Experte am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte tätig ist und zahlreiche Publikationen zu asyl- und fremdenrechtlichen Themenstellungen veröffentlicht hat.

Diese Personen würden oft nicht über ihre Rechte Bescheid wissen und dadurch nicht dieselben Möglichkeiten wie andere Menschen haben, so Schmaus. Dazu komme, dass Vorurteile gegenüber Bettlern auch in der Justiz vorhanden seien. "Wir alle leben in einer Welt, die wird nicht ausblenden können", so der Anwalt. Das gelte eben auch für manche Richter, die bei Urteilen ihre Vorerfahrungen miteinbringen würden. "Richter sind auch nur Menschen und sollten sich diese Tatsache vor Augen führen." 

Die Angst vor der Armut

Einen "völlig unjuristischen Aspekt" wollte Gabriela Szeberenyi von der Grazer Vinzenzgemeinschaft in die Diskussion einbringen: "Wir reden von Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Davon gibt es weltweit und in Österreich viele." Als ein bekanntermaßen spendenfreudiges Land habe Österreich normalerweise keine Probleme damit, Menschen Geld zu geben und zu helfen.

"Doch wenn jemand auf der Straße sitzt, müssen wir uns hinter Gesetze verbarrikadieren", so die gelernte Dolmetscherin, die als ehrenamtliche Mitarbeiterin viele Bettler in Graz betreut. "Ich glaube es ist die Angst davor, der Armut ins Gesicht zu schauen", meinte Szeberenyi. "Daher glauben wir uns mit Gesetzen schützen zu müssen." (Elisabeth Schmidbauer, derStandard.at, 27.3.2013)