Moussa Ag Assarid (36) vertritt die MNLA aus Nordmali in Europa.

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Wien - Der Tuareg und Europa-Repräsentant der säkularen Befreiungsbewegung MNLA von Nordmali, Moussa Ag Assarid, hat schwere Vorwürfe gegen die malische Armee erhoben. Übergriffe und Massaker an der Zivilbevölkerung seien an der Tagesordnung, sagte er am Mittwoch dem STANDARD in Wien. Verantwortlich seien malische Soldaten mit Milizen, die in die Armee integriert worden seien. "Das ist Völkermord. Es gibt kein anderes Wort dafür."

Opfer seien Angehörige ethnischer Gruppen in Nordmali, nicht nur Tuareg, auch Araber und Peul-Nomaden. "Sie werden entführt, hinter die Dünen gebracht, getötet, im Sand vergraben." Seit Beginn des französischen Militäreinsatzes im Jänner seien mehr als 300 Menschen von der malischen Armee getötet worden, mehr als 1000 seien verhaftet worden und verschwunden.

Die Franzosen, die mit Luftschlägen und einer Bodenoffensive den Vormarsch von Islamisten auf Bamako stoppten, sieht Ag Assarid als mitschuldig an. Paris habe die Rückkehr der malischen Armee in den Norden erst ermöglicht und wisse von den Massakern. Dennoch fürchtet er eine Verschärfung der Lage, wenn Paris seine Truppen abzieht und die Verantwortung an die Regionalorganisation Ecowas übergibt. Dann würden die Gräueltaten noch einfacher.

Ermittlungen vom Internationalen Strafgerichtshof

Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International haben von schweren Menschenrechtsverletzungen malischer Soldaten an lokalen Zivilisten und islamistischen Rebellen berichtet. Dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag im Jänner Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen in Mali aufgenommen hat, begrüßt Ag Assarid ausdrücklich. MNLA-Repräsentanten seien in Kontakt mit dem ICC. Vorwürfe, auch seine Organisation habe gefangene Soldaten der malischen Armee getötet, weist er zurück. "Wir haben niemals einen Gefangenen getötet." Die über 50 Islamisten in ihrer Hand würden entsprechend der Genfer Konventionen behandelt.

Die MNLA hatte im Jänner 2012 mit Waffen aus Libyen die malische Armee aus dem Norden des Landes vertrieben und drei Monate später den unabhängigen Staat Azawad ausgerufen. Kurz darauf hatten gut ausgestattete islamistische Gruppen - vor allem die Al-Kaida im Islamischen Maghreb (Aqmi), Mujao und Ansar Dine - die Kontrolle über das Gebiet übernommen.

Das, was Ag Assarid als Säuberungskampagne der malischen Armee beschreibt. sieht der 36-Jährige als Teil eines Versuchs von außen, Kontrolle über das Gebiet zu erlangen. Es gehe um ein "internationales Komplott, um an die Bodenschätze unseres Territoriums heranzukommen". Nur so lasse sich erklären, warum Bamako und Länder wie Frankreich und die USA nicht viel früher gegen die Islamisten vorgangen seien. Experten glauben, dass es in der Region beachtliche Bodenschätze gibt, vor allem Uran und noch nicht erforschte Erdölfelder.

Die Militäroffensive habe die Islamisten sehr geschwächt, sagt Ag Assarid - ungeachtet einzelner Aktionen wie die Tötung einer französischen Geisel, die Aqmi am Mittwoch verkündete. In der Region um Kidal kooperiere die MNLA mit den Soldaten aus Frankreich und dem Tschad und stelle ortskundige Führer zur Verfügung.

Die Forderung nach einer Unabhängigkeit Azawads will er derzeit nicht stellen. Es gehe um Autonomie, später solle die Bevölkerung in einem Referendum entscheiden. Doch zunächst müsse die Staatengemeinschaft die Gruppen des Nordens und Vertreter aus Bamako zu Verhandlungen zusammenbringen, um unter Führung der Uno eine politische Lösung zu finden. (Julia Raabe, DER STANDARD, 21.3.2013)