Norbert Leser: "Zitate ganz und gar nicht repräsentativ."

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Als Historiker der österreichischen Sozialdemokratie und als jemand, der mit der Familie Renner, besonders mit der Tochter Renners, Leopoldine, eng verbunden war und von den drei Enkelkindern Renners mit der Sichtung und Aufarbeitung des allerdings spärlichen wissenschaftlichen Nachlasses betraut wurde, ferner als jemand, der wesentlich dazu beitrug, durch Einschaltung der politischen Verantwortungsträger, allen voran Bruno Kreisky, das Renner-Haus in Gloggnitz als Gedenkstätte zu erhalten, verwahre ich mich gegen den Versuch des Salzburger Kollegen Franz Schausberger (DER STANDARD, 14. März), Renner mithilfe einiger Zitate ins antisemitische Eck abzudrängen.

Wenn Renner im Zusammenhang mit der Genfer Sanierung 1922 und dem damit verbundenen Völkerbunddiktat von einer "jüdischen Finanzmacht" sprach, so bediente er damit keine antisemitischen Klischees, sondern stellte nur eine Tatsache fest. Im Übrigen hat Renner zeitlebens in Sachen Antisemitismus und Rassismus einen tadellosen "record".

Schon bei der Maturafeier am Nikolsburger Gymnasium setzte er dem Versuch, die jüdischen Mitschüler mit dem Ruf "Juden hinaus" von der Teilnahme an der Maturafeier auszuschließen, den Ruf "Die Juden bleiben" entgegen.

Auch in der Zwischenkriegszeit widerstand Karl Renner der Versuchung, gegen seine innerparteilichen Widersacher, allen voran Otto Bauer, antisemitische Töne anzuschlagen, was man nicht von allen Sozialdemokraten sagen kann. So zog der 1913 von einem geistig verwirrten Bruder Leopold Kunschaks erschossene populäre Arbeiterführer Franz Schumeier selbst auf Parteitagen gegen "Juden" und "Pfaffen" los.

Wie fern Renner jeder Antisemitismus lag, wird an der innigen Beziehung zu seinem jüdischen Schwiegersohn Hans Deutsch, der in Schwechat die Hammerbrot-Fabrik gründete, deutlich. Hans Deutsch war ein ausgebildeter Chemiker und publizierender Ernährungsfachmann. Nach seiner Entlassung 1934 lebte Deutsch mit seiner Frau und den Kindern gemeinsam mit der Familie Renner sen. in einem geräumigen Gesamtfamilienverband in der Taubstummengasse in Wien, bis es 1938 zur Emigration von Deutsch und seinen Kindern kam. Leopoldine Deutsch blieb den Krieg über beim Vater.

In einem Brief an Friedrich Adler hat Renner seine Enkel in Anspielung auf die Nürnberger Rassengesetze als "Fünfzigprozentige" bezeichnet, womit er mit Galgenhumor andeutete, was er von den Hitler'schen Rassengesetzen hielt.

Es geht also nicht an, Renner mithilfe einiger weniger Zitate, die ganz und gar nicht repräsentativ für sein Lebenswerk und seine Gesamteinstellung sind, einer Gesinnung zu zeihen, die ganz und gar nicht die seine war. (Norbert Leser, DER STANDARD, 21.3.2013)