Frage: Das Problem mit Zypern ist eskaliert, weil der Finanzplatz der Insel überdimensioniert ist. Warum sind die Banken so aufgebläht?

Antwort: Da Spareinlagen ihre einzig nennenswerte Finanzierungsquelle waren, haben zypriotische Banken lange Zeit aggressiv um ausländische Kunden geworben. Um genügend Sparer anzulocken, boten die Geldhäuser Zinsen weit über dem europäischen Schnitt an. Auf ein zypriotisches Sparbuch mit zweijähriger Bindung erhielt man im Jänner 2010 beispielsweise durchschnittlich 4,18 Prozent Zinsen, das war mehr als dreimal so viel wie in Österreich. Weiteres Beispiel: Jemand, der 100. 000 Euro im Jahr 2008 auf ein zypriotisches Konto legte, würde derzeit 124.000 Euro rausbekommen. In Österreich wären es nur 111.000. Hinzu kommt noch, dass Zinseinkünfte in Zypern keiner Kapitalertragsteuer unterlagen. Alles in allem stiegen Einlagen ausländischer Kunden in Zypern seit 2000 von neun auf rund 30 Milliarden Euro an, das Finanzsystem ist fast achtmal größer als die Wirtschaftsleistung des Landes.

Frage: Was haben die Russen mit all dem zu tun?

Antwort: Auf russische Kunden entfällt der größte Teil ausländischer Guthaben. Nach einem Bericht des deutschen Nachrichtendienstes BND belaufen sich die Bankeinlagen russischer Staatsbürger in Zypern auf 20 Milliarden Euro. Für viele Russen erschien Zypern nach seinem Beitritt zur EU (2004) und zur Eurozone (2008) als sicherer Hafen. Ein Teil dieses Geldes dürfte aber aus dubiosen Quellen stammen. Zypern hat auf dem Papier zwar alle internationalen Bestimmungen gegen Geldwäsche umgesetzt. Doch der Europarat hat in der Vergangenheit kritisiert, dass es kaum Kontrollen gibt - Verfahren gegen ausländische Geldwäscher gab es so gut wie gar nicht.

Frage: Warum braucht Zypern Hilfe - ist das Modell gescheitert?

Antwort: Zyperns Banken haben lange prächtig mit ihrem Modell verdient. Allerdings hat der Schuldenschnitt für Griechenland 2012 die Institute hart getroffen: Die Bank of Cyprus, das größte Geldinstitut des Landes, verlor wegen der Entschuldung Griechenlands 1,73 Milliarden Euro. Die zweitgrößte Bank, die Cyprus Popular, musste sogar 2,33 Milliarden Euro abschreiben. Hinzu kommt, dass die Banken viele Kredite in Griechenland vergeben haben, die wegen des Wirtschaftseinbruchs dort verloren sind. Ende September waren laut IWF 27 Prozent der von zypriotischen Banken vergebenen Kredite faul.

Als Folge dieser Verluste müssen die Banken rekapitalisiert werden, um die in der EU vorgeschriebene Eigenkapitalquote von neun Prozent zu erreichen. Die Eurozone hat vergangenen Freitag entschieden, Zypern einen Zehn-Milliarden-Euro-Kredit zu gewähren. Zusätzlich sollte Zypern 5,8 Milliarden selbst aufbringen, und zwar über die umstrittene Zwangsabgabe auf Sparguthaben. Das hat die Inselrepublik aber dann abgelehnt.

Frage: Wenn Zypern sich so dagegen wehrt, die Sparer zur Kasse zu bitten, warum hat die Regierung im ersten Anlauf überhaupt zugestimmt?

Antwort: Bei den Verhandlungen Freitagnacht in Brüssel hat Zyperns Präsident Nikos Anastasiades die Steuer auf Bankeinlagen (9,9 Prozent für Guthaben über 100.000 Euro, 6,75 Prozent darunter) tatsächlich akzeptiert. Darüber, wie die Vereinbarung zustande kam, kursieren unterschiedliche Versionen. Eines ist ihnen gemein: Der Direktor der Europäischen Zentralbank (EZB), Jörg Asmussen, soll Anastasiades gedroht haben, dass die EZB Zypern den Stecker zieht und das Land nicht weiter finanziert. Am Mittwoch erneuerte Asmussen seine Drohung.

Frage: Wieso kann die EZB den Zyprioten drohen?

Antwort: Die Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld im Euroraum ist Aufgabe der EZB. Sie legt fest, welche Sicherheiten (Anleihen, sonstige Wertpapiere) die Banken hinterlegen müssen. Allerdings gibt es einen Notfallmechanismus: In Krisensituationen dürfen nationale Notenbanken nach eigenen, laxeren Regeln und auf eigene Verantwortung Kredite vergeben. Diese Emergency-Liquidity-Assistance (ELA) setzten Zentralbanken bereits in Irland und Griechenland ein.

Im Frühjahr 2012 begann Zypern die Landesbanken auf eigene Faust mit Geld zu versorgen - die Notenbank zahlte seither neun Milliarden Euro aus. Der EZB-Rat kann mit zwei Dritteln der Stimmen den Notmechanismus stoppen, denn es widerspricht dem Sinn einer Währungsunion wenn einzelne Notenbanken selbst Geld schöpfen.

Frage: Was passiert, wenn die EZB den Stecker zieht?

Antwort: Sollten zypriotische Banken wieder öffnen, dürften Kunden nach den Erfahrungen der vergangenen Tage damit beginnen, ihr Geld abzuheben. Ohne Hilfe der EZB ginge den Banken rasch das Geld aus, das sie auszahlen können. Das Wirtschaftsleben auf der Insel käme zum Stillstand. Zypern bliebe damit nur mehr der Austritt aus der Eurozone übrig - die eigene Notenbank könnte dann beginnen, das zypriotische Pfund zu drucken, womit die Sparer wieder zu Geld kommen könnten. Dadurch würde freilich die Inflation explosionsartig ansteigen. Da die in Euro laufenden Schulden des Landes unbezahlbar wären, müsste Zypern außerdem sofort einen umfassenden Schuldenschnitt durchführen.

Frage: Zyperns Wirtschaftsleistung beträgt 0,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Eurozone. Wieso hilft man dem Land nicht einfach und schont die Nerven aller?

Antwort: Wie immer geht es um die Frage, wer für möglichen Kosten aufkommt: Wenn Zypern auf die Bankenabgabe verzichtet, würde das Land einen 17,5 Milliarden Euro schweren Notkredit aus dem Eurorettungsschirm brauchen. Damit würden Zyperns Schulden auf 150 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Der Inselstaat mit seiner schrumpfenden Wirtschaft könnte einen Großteil der Hilfsgelder nie zurückzahlen. Das würde die Eurozone zwar finanziell problemlos verkraften. Aber die deutsche Regierung hat in einem Wahljahr wenig Lust dazu, deutsches Steuergeld zu verbrennen, insbesondere wenn ein Teil der geretteten Bankguthaben in Zypern aus dubiosen Quellen stammt - Ähnliches gilt für Österreich und die anderen Euroländer.

Frage: Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Antwort: Da Zyperns Banken teilverstaatlicht sind und von den privaten Gläubigern der Institute wenig zu holen ist, gibt es wenig Alternativen zu der Steuer auf Bankeinlagen. Eine Möglichkeit wäre, Guthaben unter 100.000 Euro von der Steuer auszunehmen.

Der Vorteil: Die von der Einlagensicherung geschützten Guthaben würden damit nicht angetastet werden - ein Teil der Nervosität in Europa würde sich legen. Ökonomen schätzen, dass Zyperns Guthaben über 100.000 Euro mit 13 bis 15 Prozent besteuern müsste, um die verlangten 5,8 Milliarden einzunehmen. Die zypriotische Regierung fürchtet aber, mit einer Steuer über zehn Prozent den Finanzplatz auf Jahrzehnte hinaus zu demolieren.

Frage: Könnte Russland helfen?

Antwort: Russland hat Zypern bereits einen Kredit über 2,5 Milliarden Euro gegeben. Ein neuerliches Darlehen würde Zyperns Problem aber nicht lösen, weil dann die Staatsschulden der Insel explodieren würden. Dass Russland direkt in den zypriotischen Bankensektor mit Milliarden einsteigt, darf wegen des damit verbundenen Risikos bezweifelt werden.

Frage: Was passiert, solange keine politische Lösung gefunden wird? Geht Zypern bald pleite?

Antwort: Der Staat selbst ist nicht das Problem: Zypern muss die nächste Anleihe am 3. Juni zurückzahlen (1,2 Milliarden Euro), bis dahin käme das Land also durch. Doch die Zeit drängt wegen der Banken: Sogar wenn Zypern vorerst im Euro bleibt, dürften viele verunsicherte Sparer beginnen ihr Geld abzuheben, sofern die Banken wieder aufsperren. Zyperns Notenbankchef schätzt, dass in den ersten Tagen nach Öffnung der Kreditinstitute ein Zehntel der Guthaben (sieben Milliarden Euro) abfließen würde - viele rechnen aber mit weit mehr. Zyperns Bankensystem soll zwar schrumpfen - laut Vereinbarung mit den Euroländern sogar um die Hälfte, ein Vertrauensverlust ist also gewünscht. Doch ein zu rascher Abzug der Guthaben würde die Banken sogar mit Unterstützung der EZB überfordern.

Frage: Wie kann ein Massenansturm auf die Banken verhindert werden?

Antwort: Zunächst, indem die Kreditinstitute geschlossen bleiben - zunächst bis Dienstag (Montag ist ohnehin ein Feiertag). Dies teilte die zypriotische Zentralbank am

Mittwochabend in Nikosia mit. Sollte danach ein Ansturm auf die Banken beginnen, müsste das Land Kapitalverkehrskontrollen einführen, also die Geldmenge begrenzen, die aus dem Land geschafft werden darf. Laut Wall Street Journal arbeitet die Notenbank bereits an einem solchen Notfallplan. In der Eurozone wäre das ein Novum - in der Krise hat bisher nur Island die Ausfuhr isländischer Kronen untersagt. Das System funktionierte - die Währung wurde stabilisiert. Aber die Kontrollen sind teuer und wegen der bürokratischen Hürden vor allem für Unternehmen ärgerlich.

Frage: Nachdem in Zypern Bankguthaben besteuert werden könnten: Droht in anderen Ländern Ähnliches?

Antwort: Vergleichbare Maßnahmen in anderen Staaten erscheinen aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Spaniens Banken wurde bereits eine Rekapitalisierung über hundert Milliarden Euro zugesagt - der Staat dürfte diese Summe stemmen. Um künftige Bankenrettungen ruhiger durchziehen zu können müsste der Eurorettungsschirm das Recht bekommen, Finanzinstitute direkt zu rekapitalisieren. Diese Möglichkeit wurde dem Rettungsschirm 2012 zugesagt - bisher ist aber nichts umgesetzt. (András Szigetvari, Lukas Sustala, DER STANDARD, 21.3.2013)