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Der neue Android-Boss, Sundar Pichai, sieht sich zahlreichen Herausforderungen gegenüber.

Foto: STEPHEN LAM / REUTERS

Selbst für aufmerksame BeobachterInnen der Android-Welt kam die Nachricht eines Führungswechsels rund um Googles mobiles Betriebssystem einigermaßen überraschend. Immerhin galt Andy Rubin jahrelang als "Mr. Android", der das Open-Source-System vom kleinen Startup zum Google-Liebling und Smartphone-Marktführer aufgebaut hat. Kein Wunder also, dass seit Tagen eifrig über die Gründe für seinen Abgang spekuliert wird.

Abschied

Rubin selbst spricht in einem Mail an die Google-Partner davon, dass er sich mehr als Entrepreneur denn als Manager sieht - was allerdings zuletzt zunehmend seinen Alltag bestimmt habe. Entsprechend werde er sich künftig neuen - offenbar noch geheimgehaltenen - Projekten innerhalb von Google widmen. Klingt also zunächst einmal ganz simpel nach einer Person, die ihr Ziel erreicht sieht, und sich nun neuen Aufgaben zuwenden will.

Umbau

Und doch gibt es Hinweise darauf, dass der Wechsel nicht ganz so Rubins alleinige Idee war, wie man es nach außen darzustellen versucht. Immerhin deutet Google-Chef Larry Page in seinem Blog-Eintrag zum Manager-Wechsel strategische Änderungen an: Der Fokus auf Android solle noch weiter verstärkt werden, während man versuche dessen Ökosystem weiter voranzutreiben, heißt es da.

Spannungen

Dazu passend will das Wall Street Journal wissen, dass die Google-Führung nicht ganz so mit Rubins Führungsstil zufrieden war, wie es nach außen den Anschein hatte.  Dieser habe bis zuletzt Android wie ein unabhängiges Startup innerhalb von Google zu führen versucht, was immer wieder zu Konflikten mit anderen Abteilungen geführt habe. Dadurch seien Google auch einige Möglichkeiten entgangen, die Android-Entwicklung - von der derzeit vor allem Dritthersteller wie Samsung profitieren - zu monetarisieren.

Relativierung

Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass dies stimmt: Gar so schlimm dürfte diese Kontroverse innerhalb von Google dann doch wieder nicht gewesen sein, sonst wäre die Art des Abgangs eine andere. Immerhin bleibt Rubin nicht nur bei Google, sondern er übernimmt auch neue Agenden und hat ein unterstützendes Blog-Posting verfasst - im Falle eines nachhaltigen Konflikts wäre wohl nichts davon passiert.

Die Chrome-Connection

Viel spannender ist insofern eigentlich die Wahl seines Nachfolgers: Immerhin zeichnete Sundar Pichai bis zuletzt nicht nur für den Browser Chrome sondern auch für Googles zweites Betriebssystem, ChromeOS, verantwortlich. Die Entscheidung für Pichai befeuerte denn auch rasch wieder seit Jahren anhaltende Spekulationen über eine mögliche Zusammenlegung von Android und ChromeOS.

Vorgeschichte

Eine wirkliche Sensation wäre solch ein Schritt ohnehin nicht, immerhin hatte Google-Mitgründer Sergey Brin schon vor Jahren die Bemerkungen fallen lassen, dass es langfristig keinen Sinn machen würde, zwei Betriebssysteme parallel zu betreiben. Auch von Pichai war in der Vergangenheit ähnliches zu hören - während Rubin nach außen entsprechende Ambitionen immer wieder strikt verneinte.

Aufbruch

Mit dem Abgang von Rubin wäre der Weg also frei, die zuletzt zunehmend arbiträr anmutende, aber strikt eingehaltene Trennung "Android = Smartphone/Tablet", "ChromeOS = Laptop/Desktop" aufzubrechen. Zumindest theoretisch, denn auch wenn so manche KommentatorInnen schnell ihre Begeisterung über eine solche Perspektive kundtun, gar so einfach ist die Angelegenheit dann auch wieder nicht.

Unterschiede

Denn obwohl Android und ChromeOS beide auf Linux basieren, und sich weitere zentrale Komponenten - wie die Rendering Engine Webkit - teilen, so gibt es doch zentrale Unterschiede an der Betriebssystemarchitektur. Eine Neuaufstellung von Android auf Basis von ChromeOS wäre insofern ein relativ langwieriges Unterfangen mit zahlreichen Fallstricken bezüglich Wahrung der Kompatibilität. Insofern ist solch ein Umbau zwar eine durchaus denkbare Variante, aber auch eine, die eher in die Kategorie "langfristige Perspektive" fällt.

Android on ChromeOS?

Eine weitere Möglichkeit wäre es, ChromeOS eine Art Android-Kompatibilitäts-Layer zu verpassen, aber auch hier steckt der Teufel im Detail. Während es technisch vergleichsweise einfach wäre Android-Apps auch unter ChromeOS zu nutzen, beginnt das Problem bei der sehr unterschiedlichen "User Experience". Die Vielzahl der aktuellen Android-Apps würde auf einem Desktop-System mit Maus-Nutzung und wesentlich größerem Bildschirm reichlich verloren wirken, sich nur suboptimal nützen lassen.

Chrome on Android!

Auch stellt sich die Frage ob Google die App-Entwicklungszukunft nicht langfristig ohnehin ganz wo anders sieht. Immerhin investiert man - unter der Führung von Pichai - aktuell stark in die Kreierung einer neuen Entwicklungsplattform. Die "Chrome Packaged Apps" sollen die Einfachheit der Entwicklung mit bekannten Web-Technologien wie HTML5 und CSS mit klassischen Desktop-Vorteilen verbinden. So sind hier beispielsweise alle Apps von Haus aus so vorgesehen, dass sie einen Offline-Modus besitzen. Dessen Fehlen hatte in der Vergangenheit ChromeOS immer wieder Kritik eingebracht.

Packaged Apps

Insofern erscheint zumindest kurzfristig eine dritte Variante als die wahrscheinlichste: Dass Google die Chrome Packaged Apps nach und nach in Vordergrund stellt - und dies nicht nur unter ChromeOS sondern auch im mobilen Bereich. Immerhin hat man mit Chrome, der in aktuellen Android-Versionen den Default-Browser abgibt, die nötige Basis schon mal geschaffen. Zwar gibt es auch hier noch die eine oder andere technische Hürde zu nehmen, zumindest theoretisch würde aber nichts Google davon abhalten schon in absehbarer Zeit Chrome Packaged Apps mit dem Play Store zu verzahnen, und so eine einheitliche Plattform für Desktop, Smartphone und Tablet zu schaffen. Unter Android würde dies zunächst als eine Art zweite Entwicklungsschiene laufen, die mit der Zeit dann nach und nach mehr Gewicht erhalten könnte - falls der Plan aufgeht.

Kontrollverlust

Neben den technologischen Fragen, stellen sich Google derzeit aber auch noch ganz andere Herausforderungen. So erfolgreich Android derzeit auch sein mag, es bleibt eine gewisse Gefahr, dass Google nach und nach die Kontrolle über das mobile Betriebssystem verliert. Schon jetzt ist es so, dass nur ein Bruchteil der Android-NutzerInnen das mobile Betriebssystem so kennenlernen, wie es Google eigentlich entwickelt hat. Meist kommt eine Android-Variante von Samsung zum Einsatz, und diese unterscheidet sich in zunehmenden Maße von Googles eigenen Android-Vorstellungen, wie nicht zuletzt auch die Vorstellung des Galaxy S4 unterstreicht.

Services

Während dabei in der Öffentlichkeit gern über oberflächliche Dinge wie Modifikationen am User Interface diskutiert wird, dürfte Google eher anderes Sorgen bereiten: Ersetzt Samsung doch ein Service nach dem anderen mit eigenen Angeboten - und schneidet Google so von potentiellen Einnahmequellen ab. Auch besteht langfristig die Gefahr, dass sich Samsung soweit von Google emanzipiert, dass man irgendwann überhaupt eine ganz eigene Android-Abspaltung etabliert. Einen Weg, den beispielsweise Amazon für seine Kindle-Fire-Serie schon jetzt beschreitet.

Fokus

Googles Antwort darauf könnte ein stärkerer Fokus auf eigene Geräte sein, quasi die logische Fortsetzung der Nexus-Geräte. Dass die Entwicklung in diese Richtung gehen könnte, zeichnet sich ebenfalls bereits seit einiger Zeit ab, immerhin hat Google die Marke Nexus in den letzten Monaten erheblich gestärkt, und versucht zunehmend direkt bei den KonsumentInnen zu punkten.

Herausforderung

Wie auch immer sich die aktuellen Android-Machtverhältnisse weiterentwickeln werden, klar ist jedenfalls eines: Sundar Pichai hat eine ebenso spannende wie herausfordernde Aufgabe vor sich. (apo, derStandard.at, 18.03.13)