Damaskus/Istanbul - Nach monatelangem Gezerre hat sich die syrische Opposition nun doch versammelt, um eine Übergangsregierung zu bilden. Am Montag traf sich die Führung der Nationalen Syrischen Koalition in Istanbul, um einen von elf Kandidaten zum Regierungschef zu wählen. Nur neun davon sind namentlich bekannt. Zwei Kandidaten halten sich nach Angaben aus Delegationskreisen derzeit in Syrien auf und wollen aus Sicherheitsgründen nicht, dass ihre Namen veröffentlicht werden.
Einer der bekannten Kandidaten ist Jamal al-Karsli, ehemaliger Abgeordneter des Düsseldorfer Landtages und früheres Mitglied der Grünen. Wegen scharfer Kritik an Israel fiel der gebürtige Syrer bei der Partei in Ungnade. Als Favoriten werden jedoch derzeit der Wirtschaftsexperte Osama al-Kadi, der frühere Landwirtschaftsminister Asaad Mustafa und der IT-Fachmann Ghassan Hitto gehandelt, der sich in den vergangenen Monaten bei der Organisation von Hilfslieferungen Respekt erworben hatte.
Abstimmung wohl am Dienstag
Der Dissident Michel Kilo sagte, die Abstimmung werde wahrscheinlich an diesem Dienstag stattfinden. Wenn kein Kandidat im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der Stimmen erhalte, werde es eine Stichwahl zwischen den drei Bestplatzierten geben.
Die Gegner des Regimes von Präsident Bashar al-Assad hatten lange darüber gestritten, wann der richtige Zeitpunkt für die Bildung einer eigenen Regierung gekommen sei. Die Regierung wird ihren Angaben zufolge die Aufgabe haben, in den "befreiten Gebieten" Plünderungen und Selbstjustiz zu verhindern. Außerdem soll sie Anlaufstelle für die Staaten sein, die der Opposition Geld, Hilfsgüter oder Waffen zur Verfügung stellen wollen. Der Generalstabschef der von Deserteuren gegründeten Freien Syrischen Armee, General Salim Idriss, sagte vor der Presse in Istanbul: "Die Übergangsregierung wird die einzige legitime Vertretung des syrischen Volkes sein." Er hoffe, dass die EU-Staaten demnächst Waffenlieferungen an die Opposition beschließt.
Die Assad-freundliche syrische Zeitung "Al-Watan" kritisierte den Versuch der Wahl eines Rebellen-Regierungschefs als "verrückt und verwirrt". Damit zeige die Nationale Koalition, dass sie völlig realitätsfern sei und keine Ahnung von der Lage vor Ort in Syrien habe.
AI gegen Waffenlieferungen an Aufständische
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach sich indes gegen Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien aus. Es gebe in der Region schon genug Waffen, sagte Amnesty-Rüstungsexpertin Verena Haan im Deutschlandradio Kultur. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass neue Waffenlieferungen zu weiteren Menschenrechtsverletzungen beitragen würden. Frankreich und Großbritannien hatten sich vergangene Woche beim EU-Gipfel dafür stark gemacht, die syrischen Rebellen mit Waffen auszurüsten. Deutschland sieht diesen Vorschlag kritisch.
Der Montag war für die Regimegegner ein historisches Datum. Am 18. März 2011 hatte es in der Provinz Daraa die ersten Massenproteste gegen Assad gegeben. Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter erklärte, sie habe seither 59.584 Tote gezählt. Die Dunkelziffer und die Zahl der Verschwundenen sei jedoch hoch, so dass die Zahl insgesamt wohl bei über 72.000 liegen dürfte. Regimegegner zählten am Montag landesweit 45 Tote.
Mehrere Studenten wurden am Montag nach Angabe von Aktivisten in der Wohnanlage der Universität von Damaskus festgenommen, nachdem dort regimekritische Flugblätter verteilt worden waren. Am Vortag hatten Kritiker des Regimes von Präsident Bashar al-Assad mitgeteilt, die Studentin Rehab Mohammed al-Allawi sei in einem Gefängnis der Sicherheitskräfte zu Tode gefoltert worden. Wie die regimekritische Website "All4Syria" meldete, gab es auch in der Abderrahman-Al-Kawakibi-Oberschule im Stadtteil Al-Midan Festnahmen. (APA, 18.3.2013)