Miguel Herz-Kestranek und sein Wohnzimmer. Im Hintergrund ist sein Schreibtisch zu sehen, an dem der Autor und Schauspieler die meiste Zeit verbringt.

Foto: Lisi Specht

Der Schauspieler und Autor Miguel Herz-Kestranek wohnt bei der Piaristenkirche in der Wiener Josefstadt. Michael Hausenblas sprach mit ihm über verschandelte Stiegenhäuser und das Einssein in der Wohnung.

"Seit 1990 wohne ich hier im dritten Stock eines Jahrhundertwendehauses im achten Bezirk mit einem unwirklich malerischen Blick auf die Piaristenkirche. Angeblich haben Trotzki oder Lenin in diesem Haus gewohnt, nachrecherchiert habe ich das aber nie. Das Stiegenhaus verschandeln der zweithässlichste Lift Mitteleuropas, die dritthässlichsten Lampen des Universums und andere Zerstörungen, wo man hinschaut. Schlechter Geschmack, Wurschtigkeit und Geiz von Hausverwaltungen sind heutzutage halt oft Programm.

Die Mietwohnung mit ihren 104 Quadratmetern hat die klassische Wiener Aufteilung mit den drei sogenannten schönen Zimmern nach vorn raus, wobei ich eine Zwischenwand wegnehmen ließ. Aus dem Bad im Vorzimmer wurde die Küche, aus der Speis eine Gästedusche, und zwei ehemalige Kabinette sind jetzt Schlafzimmer, Bad und Garderobe. Ich arbeite ja kaum in Österreich und muss deshalb viel unterwegs sein. Darum lebe ich sehr zurückgezogen, und so sind meine Wohnung und mein Haus in meinem Heimatort St. Gilgen am Wolfgangsee meine beiden Lebensmittelpunkte. Beide verlasse ich möglichst nur zum Geldverdienen oder zum Einkaufen. Wenn ich selten genug Menschen treffe, dann am liebsten bei mir oder unterwegs.

Von den vielleicht 25 Lokalen in der nahen Umgebung war ich in den 36 Jahren, in denen ich im achten Bezirk bin, wahrscheinlich erst in drei oder vier. So ein Gewohnheitstier bin ich auch beim Wohnen. Zum Beispiel: Die Bilder und ihre Aufteilung über dem Schreibtisch waren schon in den letzten Wohnungen immer gleich. Obwohl: Mein Geschmack hat sich schon immer mit mir geändert. Vielleicht würde ich heute etliches puristischer gestalten.

Am wichtigsten sind mir meine Bücher und Bilder und in St. Gilgen die Natur, der See und seine Geräusche, die mir von Geburt an vertraut sind. Die Aufteilung zwischen Wien und dort ist ideal. Ich bräuchte nie mehr woandershin reisen. Ich hab einmal geschrieben: 'Wien ist die Geliebte, die einem nicht gut tut, von der man aber nicht loskommt, und St. Gilgen ist die Mutter, zu der man immer kommen kann, die nicht viel fragt und eine heiße Suppe kocht, wenn's einem schlecht geht.' Und so lebe ich  – Freud schau oba! – den alten Männertraum von Mutter und Geliebter, und dazu die nostalgische Lebensform von Stadt und ganzjähriger Sommerfrische, wann immer ich kann. Vor allem in der Wiener Wohnung finden sich Reste der von den Nazis nicht gestohlenen Bilder und Möbel aus früheren Familiensitzen. Aber auch Neues, wie etwa der Beistelltisch von Eileen Gray, Ikea, italienische Fauteuils und Maler: ein Pongratz oder eine Collage von Joe Berger. Ich trenne das Wohnen nicht vom Sein. Wohnen ist für mich das Gefühl, man ist eins mit der Wohnung, hängt sie sich um wie eine Decke.

Ich genieße jeden Tag in einer Umgebung nach meinem Geschmack, denn in Hotels ist es meistens hässlich, uncharmant und ungemütlich. Komischerweise wohne ich ja in amerikanischen Hotelketten lieber, gerade weil alle Zimmer gleich sind. Da muss ich mir nicht denken, das Zimmer im dritten Stock links hinten wäre vielleicht schöner gewesen.

Mir ist bewusst, dass ich privilegiert wohne, aber ich weiß nie, wie lange ich es mir leisten kann. Als Freiberufler lebe ich von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr und habe meistens keine Ahnung, ob und wie viel ich im Jahr darauf verdienen werde. Darum genieße ich es, solange es geht. Unverfälschte Persönlichkeit ist wohl das Wichtigste beim Wohnen. Die hässlichste Wohnung wird schön und gemütlich, wenn sie die Persönlichkeit ihrer Bewohner ausstrahlt." (DER STANDARD, 16./17.3.2013)