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Premier Orbán kontert: "Erst Gesetze lesen, dann kritisieren."

Foto: EPA/Roge

Nach der Kritik aus dem EU-Parlament an jüngsten Verfassungsänderungen in Ungarn, die die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes einschränken, hat die für Grundrechte und Justiz verantwortliche EU-Kommissarin Viviane Reding am Donnerstag eine scharfe Warnung an die Adresse der ungarischen Regierung unter Premier Viktor Orbán geschickt.

"Mit dem Grundgesetz spielt man nicht. Man kann nicht alle sechs Monate hingehen und das Grundgesetz ändern", sagte sie laut Reuters in Berlin. Sie habe den Eindruck, "dass in Ungarn die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr" sei, als Folge einer verfassungsgebenden Zweidrittelmehrheit der Orbán-Partei Fidesz im Parlament.

Reding kündigte an, dass sie die Folgen der Verfassungsgesetze vor dem Hintergrund von Artikel 7 des EU-Vertrags prüfen werde: "Wir schauen nicht zu, wenn die Grundsätze dieser Verträge mit Füßen getreten werden." Ein Bruch von Artikel 7 könnte Einschränkungen bei den Stimmrechten eines Landes haben oder Kürzungen der Zuwendungen aus dem EU-Budget.

Orbán verteidigt Vorgehen

Die Aussagen Redings, die wie Orbán den Europäischen Konservativen angehört, zeigten am ersten Tag des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs sofort Wirkung. Orbán gab noch vor Beginn der Verhandlungen mit seinen Kollegen im Ratsgebäude eine Pressekonferenz, bei der er sein Vorgehen vehement verteidigte, die Kritik zurückwies - aber ein Einlenken letztlich nicht ausschloss.

Offenbar hätten jene, die über die inkriminierten Verfassungsgesetze klagen, diese "nicht gelesen oder nicht verstanden".

Alle Gesetzesvorhaben seien in Ungarn wochenlang öffentlich debattiert worden. Niemand aus Europa habe Anstoß genommen, behauptete er. Es sei " absurd", wenn die Spitzen von EU-Kommission und Europarat einen Premierminister wenige Tage vor einer Abstimmung anriefen mit der Bitte, die Gesetzesbeschlüsse aufzuschieben.

Beim Gipfel kam es dazu nach Aussage von Parlamentspräsident Martin Schulz zu einem harten Wortgefecht zwischen Kommissionschef José Manuel Barroso und Orbán. Barroso habe ihm erklärt, dass es so nicht gehe, und " sehr strenge Prüfung" angekündigt. Das EU-Parlament wird den "Fall Ungarn" am 17. April im Plenum in Straßburg auf die Tagesordnung setzen. Wie berichtet, könnten die Verfassungsänderungen nach Auffassung von EU-Rechtsexperten die in Demokratien gebotene Gewaltenteilung infrage stellen. So sollen ungarische Höchstrichter Gesetze nur noch nach formalen Gesichtspunkten prüfen können, nicht aber inhaltlich. Erkenntnisse vor 1992 sollten annulliert und nicht mehr für Urteile herangezogen werden können.

Orbán zu Verhandlungen bereit

Orbán wies alle Einwände zurück, dass europäische Werte verletzt worden seien, zeigte sich aber bereit zu Verhandlungen mit der EU-Kommission: " Es gibt Verfahren dazu. Sie sollen die Fakten auf den Tisch legen, dann können wir darüber diskutieren."

Er widersprach nicht, dass die Aufregung ein Déjà-vu sei, an die Konfrontation vor zwei Jahren erinnere, als er mit Mediengesetzen und Eingriffen in die Justiz ein Prüfverfahren auslöste. Einige Regeln wurden vom Europäischen Gerichtshof beanstandet. Orbán versprach, dass sein Land sich an die EU-Regeln halten werde, er sei bereit zu Änderungen, auf sachlicher Basis. Bisher vernehme er nur Emotion und Hass gegen ihn. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 15.3.2013)