Wien - 15 Jahre wäre Mirel D. heute. Wäre er nicht mit 13 Monaten am 14. April 1999 nach zwei Tagen im Koma in einem Wiener Krankenhaus gestorben. An einem wohl durch Schläge verursachten Schädel-Hirn-Trauma. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Stefanie Öner muss jetzt klären, wie es dazu gekommen ist.

Es ist nicht der erste Prozess. 1999 wurde Mirsada D. zu fünf Jahren Haft verurteilt, da sie durch Unterlassung zum "Quälen oder Vernachlässigen Unmündiger" beigetragen habe, wie das Gericht entschied. Der eigentlich Täter sei aber Ramiz K. gewesen, sagte die heute 53-Jährige damals.

Warum der 44 Jahre alte Buschauffeur erst jetzt auf der Anklagebank sitzt? Er verschwand einen Tag, nachdem das Kind ins Spital kam, nach Albanien, ehe er mit seiner Familie in den Kosovo fuhr, wo er festgenommen wurde. Ein Indiz, auf das Staatsanwältin Andrea Kain ihre Anklage baut. Sie wirft ihm aber kein Tötungsdelikt vor, sondern das Quälen von Mirel, das zu dessen Tod führte. Die Strafandrohung: ein bis zehn Jahre Haft.

K. bestreitet die Vorwürfe. Er sei im März 1999 zu D. gezogen und habe auf den Buben aufgepasst, während seine Freundin in einem Gasthaus arbeitete. Aber angetan habe er ihm nie etwas.

Seltsamerweise ist ihm auch nie besonders Außergewöhnliches aufgefallen, ebenso wenig der Mutter. "Beide müssen mit Blindheit geschlagen gewesen sein", sagt der Sachverständige Johann Missliwetz trocken.

Denn das Kind muss ein Martyrium durchlebt haben. 30 Knochenbrüche, zwischen einer Woche und mindestens drei Monaten alt, wurden festgestellt. Mit einer Nadel muss in die Fingerkuppe gestochen worden sein.

K. schiebt die Schuld auf die Mutter. Sie sei Alkoholikerin gewesen, habe ihm verboten, mit dem Kind zum Arzt zu gehen. Aus Angst, dass der Sohn so wie ihre vier anderen Kinder ins Heim komme. "Haben Sie nie daran gedacht, sie zu hintergehen und selbst in ein Spital zu gehen?", will Öner wissen. "Ohne ihre Genehmigung nicht, außerdem kann ich kein Deutsch", lässt er seine Antwort übersetzen.

Zunächst scheint es ein eindeutiger Fall zu sein. Doch dann tritt D. auf, und das Bild beginnt sich zu wandeln. Sie habe keine Beziehung mit dem Angeklagten gehabt, sagt sie - Zeugen widersprechen. Es habe mit ihm in den vier Wochen eigentlich keine Probleme gegeben, sagt sie. Öner hält ihr vor, dass sie 1999 noch von Faustschlägen ins Gesicht und Drohungen gegen sie und das Kind berichtet hat. Das Kind sei ihr nie aus dem Kinderwagen gefallen, sagt sie. Eine Zeugin widerspricht. Dass Brüche Wochen vor K.s Einzug entstanden sein müssen, kann sie sich nicht erklären. Auf kritische Fragen von Verteidigerin Christine Wolf will sie nicht antworten oder gibt vor, sich nicht erinnern zu können.

Die Wahrheitsliebe von Zeugen bezweifelt sie.

Nach stundenlanger Beratung kam das Gericht zum Schluss, dass die Mutter die unmittelbare Täterin gewesen sei, vor allem, da der Angeklagte kein Motiv hatte. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 14.3.2013)