Was ist, was kann Design? Vor sechzig Jahren, 1953, versuchte eine Reihe Künstler, Architekten und Autodidakten an der Ulmer Hochschule für Gestaltung einen neuen Beruf zu entwickeln, den des Designers. Sie grenzten ihn von der Kunst ab, vom Kunsthandwerk und von angewandter Bastelei. Die Verbindung zwischen Form und Nutzen, so die Vision der Ulmer, sollte unauflöslich sein. Eine romantische Vorstellung.
Wie wir wissen, blieb es nicht dabei. Knapp dreißig Jahre nach Gründung der Ulmer Hochschule, 1981, traten Opponenten aus Mailand auf den Plan, die sich "Memphis" nannten und die Ulmer Regeln für erledigt erklärten. Designer wollten nicht länger abhängig von den Entscheidungen weniger Industrieller sein, sondern organisierten die Herstellung ihrer Produkte selbst. Auch das Verhältnis von Form und Nützlichkeit stellten sie infrage und schlossen mit ihren Entwürfen an das romantische Prinzip der Ironie an. Dabei entstanden eher dreidimensionale bildhafte Objekte als Gebrauchsgegenstände.
Chic, stylish und oberflächlich
In Deutschland entwickelten Designer in den 1980er-Jahren ebenfalls eine veränderte Position gegenüber der Industrie. Das Neue Deutsche Design (einer der wichtigsten Protagonisten war RONDO-Autor Volker Albus) nutzte Halbzeug aus dem Baumarkt, um eine eigene Ästhetik zu begründen, die bei der Ulmer Einfachheit wie bei der Verspieltheit von Memphis Anleihen nahm.
Und heute? Weil Design eigene Regeln immer wieder über den Haufen warf, ist 30 Jahre später nur wenigen klar, was das Wort einmal meinte. Design bedeutet im ganz allgemeinen Sprachgebrauch alles, was chic, stylish und oberflächlich ist. Doch wie kann man zeitgenössisches Design heute auf den Begriff bringen?
Einen Versuch, ideengeschichtliche Ordnung ins Gegenwartschaos zu bringen, unternimmt die Ausstellung Isn't it romantic? - Zeitgenössisches Design zwischen Poesie und Provokation, die im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) gezeigt wird.
Kuratorin der Schau ist Tulga Beyerle aus Wien, die als Mitbegründerin der "Neigungsgruppe Design" und Mitorganisatorin der Vienna Design Week international bekannt wurde. Sie hat Objekte zusammengetragen, die für eine Veränderung im Design stehen, die "in ihren Motiven und Zielen mit denen der historischen oder immerwährenden Romantik als Bewegung zu vergleichen ist", schreibt Beyerle im Katalog.
Märchenstube Wohnzimmer
Im ersten Teil der Ausstellung setzt sie Wohn-Stillleben aus kommerziell erfolgreichen Produkten der letzten Jahre zusammen, ergänzt um bewusst irritierende Installationen und Objekte. Da hängt zum Beispiel die Installation "Growing Vases" von Nendo, die geradewegs einem Märchen entspringen könnte. Am anderen Ende des Raumes lockt ein "romantisches Boudoir", ausgestattet mit einer Leuchte von Inga Sempé und einem Schminktisch von Doshi Levien, kombiniert mit Teppichen und einer Badewanne von Urquiola: das Bad als munter dekorierter Rückzugsraum.
Das Wohnzimmer inszeniert Beyerle als "Märchen im privaten Raum", einen Ort gleichermaßen für Sehnsüchte wie für Ängste. Man denke nur an den "Canapé Cactus" von Maurizio Galante, ein Sofa, das aussieht wie aus stacheligen Kakteen zusammengesetzt, oder die schwarze "Chaise lounge" von Mats Theselius, die ein wenig SM-Ästhetik vermittelt. "Du machst die Tür zu, und dann ist alles heil", erläutert Beyerle die Haltung, mit der die Möbel daherkommen: "Da kannst du dich austoben in deinen Sehnsüchten, Nostalgien und auch in dramatischeren Gefühlen in Richtung Tod." All das sei Ausdruck einer romantischen Suche nach Rückzug und Privatheit, die aber schon auch per Facebook und Blog in alle Welt getragen wird.
Das "Mondäne Leben auf dem Land" ist Thema des Esszimmers, wo zum Beispiel ein Tisch-Unikat von Jo Meesters auf den "Vegetal Chair" der Bouroullecs und die dunkel glitzernde Leuchte "Sparkle Shady" von Jaime Hayon (für Swarovski) trifft.
Schlangenfutter als Vorbild
Ein zweiter Teil der Ausstellung ist freien konzeptionellen Arbeiten von Designern gewidmet, die es so nach Ulmer Auffassung niemals hätte geben sollen. Denn diese bewegen sich in einer Zwischenmenge aus Kunst, Kunsthandwerk und Design, jenem Grenzbereich, den es einst zu überwinden galt. Heute wird er in Lehre und Praxis propagiert und gilt zwischen London und Eindhoven, zwischen Hamburg, Barcelona und Prag als das blühende Betätigungsfeld für Designer. Diese beanspruchen, nicht länger Lösungen zu liefern, bestenfalls Analysen, die ähnlich wie in der Kunst geläufig gesellschaftliche Fragen thematisieren.
So macht zum Beispiel Julia Lohmann den Umgang mit Tieren für Ernährung und Forschung zum Thema ihrer Objekte. Nur auf den ersten Blick sind die "Snow-whites", niedlicher Tier-Nippes, wie es ihn in aller Welt auf Flughäfen zu kaufen gibt. Tatsächlich hat Lohmann gefrorene Tiere, die man als Schlangenfutter kaufen kann, zum Vorbild ihrer Porzellan-Mäusebabys mit sorgsam aufgetragenen golden Wimpern genommen. Das Ergebnis ist symbolisch-politisierter Kitsch.
"Glotzt doch nicht so romantisch!"
Die Ausstellung hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Sie befriedigt aktuelle Schaulust, ermöglicht Bildungserlebnisse mithilfe knapper Hintergrundtexte und eines informativen, vielschichtigen Katalogs, lädt ein zum Selbst-Denken und Infragestellen. Neben sogenannten Stars werden viele (noch) wenig bekannte Designer und ihre Arbeitsweise präsentiert.
Tulga Beyerle plädiert für die Verschmelzung der rationalen Moderne mit der expressiven Romantik und nennt dabei Gemälde von William Turner als Vorbild. Für diese Art der Synthese sei das Design besonders geeignet. Und doch möchte man, spätestens wenn man die Museumstore hinter sich lässt und gemächlich Richtung Kölner Dom schlendert, mit Bertolt Brecht rufen: "Glotzt doch nicht so romantisch!" Eine Reise nach Köln sei allemal empfohlen. (Thomas Edelmann, Rondo, DER STANDARD, 15.3.2013)