1944 in Brissago: Die Urlaubsassoziation, die die Collage weckt, konterkariert Löwys Exilantenschicksal. Sie flüchtete zu Fuß aus Italien in die Schweiz.

Foto: Sammlung Frauennachlässe

Das Porträt Herzog-Hausers an der Wand ihres Wiener Uni-Institutes.

Foto: Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein, Uni Wien

"Ich bin hauptsächlich wegen der Mutter zurückgekommen. Das heißt, ich wäre ja auch so zurückgekommen, denn ich bin eine zu eingesessene Europäerin, ich will nicht sagen Wienerin, aber Europäerin. Obwohl ich in Wien geboren bin – aber ich habe zu viel gesehen; das war für mich erschütternd." Fritzi Löwy blickt mit diesen Worten in einem Interview mit der Historikerin Gabriele Anderl aus dem Jahr 1988 auf die Gründe ihrer Rückkehr nach Österreich im Jahr 1949 zurück. Vor dem Krieg war Löwy als herausragende Schwimmerin bekannt. Für den jüdischen Sportverein Hakoah gewann sie Meistertitel, brach Rekorde, errang eine Medaille bei einer Weltmeisterschaft.

Nach ihrer Zeit im Exil in Italien und der Schweiz und den Jahren in Australien erinnerte sich kaum jemand an die frühere Schwimmmeisterin, das "offizielle Österreich" schon gar nicht. Sie aber erinnerte sich an die Folgen des NS-Regimes auf ihr Leben und ihre Familie. Ein beschriebenes Stück Papier in ihrem Nachlass listet offenbar für ein unbekanntes Gegenüber fein säuberlich die Namen ihrer Verwandten auf, die in den Konzentrationslagern Auschwitz und Mauthausen und in den Vernichtungslagern der "Aktion Reinhardt" in Polen umkamen. Drei Schwestern, vier Nichten, zwei Schwager, Cousins. 14 Namen.

In ihrem Wiener Nachkriegsleben fertigte Löwy Collagen an und stellte Fotoalben über ihre Zeit im Exil und über ihre Familie zusammen. "Die Quellen offenbaren einen Hang zur Dokumentation und eine Affinität zu visuellen Formen", sagt Vida Bakondy. Die Zeithistorikerin bearbeitet Löwys Erinnerungsarbeit und Alben, die auf einem Flohmarkt entdeckt und der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Uni Wien übergeben wurden. Einen weiteren Teilnachlass fand Bakondy in Schweden.

Aus all den Quellen lässt sich eine persönliche Strategie der Vergangenheitsverarbeitung ablesen. Löwys Flucht aus Österreich im Jahr 1939 führte sie zuerst nach Mailand. Dort lebte sie mit falschen Papieren, teilweise im Untergrund. Von dort schickte sie auch Lebensmittelpakete zu einer Schwester und ihren drei Töchtern im Ghetto von Opole. Im Exil schloss sie Freundschaften, die sie auch nach 1945 mit den Exilorten verbanden. Löwys Schwester, Anna Ungar, wurde im März 1944 von der Gestapo in Mailand verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Fritzi Löwy floh daraufhin zu Fuß in die Schweiz, nur mit dem, was sie am Leib trug. Sie lebte in verschiedenen Flüchtlingslagern, etwa in Brissago am Lago Maggiore.

Die Bilder aus Brissago, die Urlaubserinnerungen gleichen, muten vor diesem Hintergrund gespenstisch und widersprüchlich an. Sie sind Teil des fragmentarischen Albums, das ihr Exil in der Schweiz dokumentiert. Landkarten, Broschüren, Postkarten finden sich darin. Die Härten ihrer Flucht verschweigen sie.

Anders in dem Album über ihre Familie, das auf der ersten Seite Fotografien von Grabsteinen zeigt. Dann, Blatt für Blatt, Eltern, Geschwister, deren Familien. Nüchterne Kommentare begleiten die Fotos: " Nach meiner Rückkehr aus Australien", "Anna, 9. III. 1944, von Milano nach Auschwitz deportiert". Die Lebenden sind auf der Welt verstreut: Australien, England, Kanada, USA. "Löwy hat die wenigen Familienfotos, die noch existierten, nicht nur gesammelt. Sie hat sie mit einer bestimmten Erzählung versehen", sagt Bakondy. Sie zeigen den Versuch, die Geschichte einer zerstörten Familie zu visualisieren und zu rekonstruieren. "Eine Verarbeitung von Exil und Verlust."

"Sollen Mädchen studieren?"

Bei der dreitägigen Exilforschungstagung (siehe Wissen), die diese Woche stattfindet, stellt Bakondy ihre Arbeit über die visuellen Zeugnisse Löwys vor. Es ist nur eines von unzähligen Schicksalen. Ein anderes arbeitet Sonja Schreiner vom Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein auf: jenes von Gertrud Herzog-Hauser. Wie Löwy war sie eine Vorreiterin: die erste Frau, die sich in Wien für Klassische Philologie habilitierte. "Dass sie das Gymnasium besuchen durfte, was nicht selbstverständlich war, dürfte prägend für sie gewesen sein", sagt Schreiner. "Zeit ihres Lebens hat sie sich für Mädchenbildung eingesetzt." 1935 beantwortete sie in einem Beitrag der Neuen Freien Presse die Frage "Sollen die Mädchen studieren?" eindeutig mit "Ja". 1937 wurde sie Direktorin des Mädchengymnasiums Wien Rahlgasse.

"Gertrud Herzog-Hauser ist das klassische Beispiel einer assimilierten wienerischen Jüdin, die in katholischen Kreisen bestens vernetzt war. Das war ein doppeltes Problem für die neuen Machthaber: Sie führten jeweils die religiöse Zugehörigkeit ins Treffen, die am besten gegen sie verwendet werden konnte", sagt Schreiner. Aufgrund ihrer Weltanschauung unterstellte man ihr, eine "Verführerin der Jugend" zu sein.

So gut es ging, stemmte sie sich gegen ihr Schicksal als Vertriebene des Nationalsozialismus. Im Exil in den Niederlanden, in einem Versteck, arbeitete sie unbeirrt weiter, konzipierte Bücher, schrieb Aufsätze. Ihr Buch über den Götterkult der Griechen, das 1952 veröffentlicht wurde, erschien als Dank an ihre Helfer zuerst auf Niederländisch. Ihr Mann, der Maler Carry Hauser, verbrachte die Kriegsjahre in der Schweiz.

Eine geplante Wiedervereinigung der Familie in Australien scheiterte am Kriegsausbruch. Erst 1946 gab es ein Wiedersehen. Der 1932 geborene Sohn Heinrich war bei der Mutter. "Dem Ehepaar war aber klar, dass Wien seine Heimat war", sagt Schreiner. Nach der Rückkehr konnte Gertrud Herzog-Hauser an der Universität Wien wieder ihre Lehrtätigkeit aufnehmen. Doch 1950 erlitt sie einen Schlaganfall. "Die schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme werden auch eine Spätfolge ihrer Exilerfahrung sein", meint Schreiner. Herzog-Hauser starb 1953. Posthum erschien ihr wegweisender Aufsatz über Die Frau in der griechisch-römischen Antike.

In einer Gedenkschrift beschreibt die Publizistin Renate Göllner, wie sich Herzog-Hauser für eine klassisch-philologische Lehrkanzel in Innsbruck bewarb. Dort schreibt ein "einflussreiches Mitglied" des Lehrkörpers an einen Kollegen in Wien (zitiert nach dem Historiker Gerhard Oberkofler): "Weil sich sonst niemand recht rühren wollte, wandte ich mich ziemlich scharf gegen die Nennung einer älteren Dame für einen solchen Lehrstuhl. Wichtiger war mir dabei aber, was ich begreiflicherweise nicht offen aussprach, dass wir keine Jüdin haben wollen, mag sie auch persönlich, wie behauptet wurde, sehr nett sein." Das war 1949. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 13.03.2013)

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Wissen: Exilforschung in Österreich

Die Österreichische Gesellschaft für Exilforschung, 2002 gegründet, hat es sich zum Anliegen gemacht, Forscher, Vertriebene und ihre Nachfahren, Künstler und Medien zu vernetzen und Exilforschung im Wissenschaftsbetrieb zu etablieren. Zudem will sie für "Ursachen, Verlauf und Wirkung von Vertreibung, Flucht und Exil bis zu Asyl und Migration der Gegenwart" sensibilisieren.

Ziel ist die Versöhnung zwischen Österreich und den Menschen im Exil sowie die universitäre und institutionelle Verankerung der Exilforschung. Mehrere tausend Kontakte weltweit gehören zum Netzwerk der Interessenvertretung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, sich um jene Menschen zu bemühen, die Österreich nie zur Rückkehr eingeladen hat.

75 Jahre nach dem "Anschluss" veranstaltet die Gesellschaft derzeit die mehrtägige Tagung "Exilforschung zu Österreich – Leistungen, Defizite & Perspektiven". Noch bis morgen, Donnerstag, wird in zahlreichen Beiträgen Bilanz gezogen über die Leistungen im Bereich der Exilforschung der letzten zehn Jahre.

Der Vortrag zu Fritzi Löwy findet am Mittwoch, 12 Uhr, statt, jener zu Gertrud Herzog-Hauser am Donnerstag, 9.20 Uhr. (pum)