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Die Büste von Heinrich Srbik mit Zitaten aus seinen Reden - der Historiker war während der NS-Herrschaft der Präsident der Akademie der Wissenschaften.

Foto: Archiv der ÖAW

Spät, aber doch: 75 Jahre und drei Generationen nach dem "Anschluss" stellte sich die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) der eigenen Vergangenheit. Ein Symposium, das diesen Montag an der Akademie stattfand, begleitet von einer Ausstellung und einer Publikation, markieren den Beginn einer umfangreichen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit.

Der Umgang der Nationalsozialisten mit der Wissenschaft war nicht nur von der "Vertreibung der Vernunft" gekennzeichnet, sondern, worauf Mitchell Ash, Wissenschaftshistoriker an der Uni Wien, hinwies, auch von etlichen Projekten, bei denen es zu einer engen Verflechtung von Wissenschaft und Politik kam, die nicht nur damals auch Ressourcen füreinander waren. Rassistisch motivierte Entlassungen betrafen sowohl die österreichischen Unis wie die Akademie.

An der Akademie mussten 21 Mitglieder gehen, an der Uni Wien 2700 Personen - vorwiegend Studierende, aber auch Professoren. Um zu verstehen, warum die Akademie weniger betroffen war, müssen die Aufnahmepolitik vor 1938 und die Netzwerke, die im Hintergrund aktiv waren, beleuchtet werden, meinte Ash.

Dazu leistete Standard-Wissenschaftsredakteur Klaus Taschwer in seinem Vortrag einen Beitrag: Er deckte ein geheimes Kartell an der Uni Wien auf, die "Bärenhöhle", die lange vor 1938 gezielt Akademiemitgliedschaften, Habilitationen und Professuren von Juden verhinderte. Bis 1939 waren 17 der 18 Bärenhöhle-Teilnehmer auch Akademiemitglieder, darunter Othenio Abel, Heinrich Srbik, NS-Akademiepräsident 1933-1945, und Richard Meister, ÖAW-Präsident 1951-1963.

Bis 1939 verzichteten alle Mitglieder nichtarischer Herkunft auf ihre Mitgliedschaft. Die meisten von ihnen verließen das Land, unter ihnen auch die Nobelpreisträger Erwin Schrödinger und Victor Franz Hess, die nichtjüdischer Herkunft waren. Der Anschluss führte an der Akademie zu einer paradoxen Situation: Der langdienende Präsident und sein Vize traten 1938 zurück. Im Juli wurde der Akademie eine "vorläufige Satzung" verordnet, die ihr die 1919 gewonnene Autonomie wieder entzog. Dennoch wurde das Regime, das diesen Schritt zu verantworten hatte, vom neuen Präsidium gefeiert, das Hitler "Treue" und "Gehorsam" versprach.

Die neuen Statuten sollten der Hebel für viele der nachfolgenden Maßnahmen wie etwa die Entlassungen sein, sagte Herbert Matis. Der ehemalige ÖAW-Vizepräsident hat sich mit einer Publikation 1997 als Erster kritisch mit der NS-Vergangenheit der Gelehrtengesellschaft auseinandergesetzt.

Besonders hart traf die Repressionen durch das NS-Regime die damals beiden größten Forschungsinstitute der Akademie: die Biologische Versuchsanstalt Vivarium im Prater und das Radiuminstitut, wo lange am Gebiet der Strahlenphysik Pionierarbeit geleistet worden war. Anstelle des bisherigen Leiters Stefan Meyer wurde ein NSDAP-Mitglied dem Institut vorgestellt.

Während bei den entlassenen Mitgliedern der Akademie die meisten ins Exil oder in den Ruhestand flüchten konnten, kamen bei den entlassenen Mitarbeitern die meisten in der Folge ums Leben, sagte Matis. Von 29 mussten 15 jüdische Mitarbeiter des Vivariums gehen, sechs starben im KZ. "Es gibt wohl kein anderes Forschungsinstitut, das in Österreich oder Deutschland mehr Opfer zu beklagen hatte als das Vivarium im Holocaust", sagte Taschwer.

Glimpfliche Entnazifizierung

Warum wird die Vergangenheit nun erst so spät aufgearbeitet? An den Unis wurde die NS-Zeit seit den 1980igern mit umfangreichen Forschungsprojekten beleuchtet. "An den Unis haben die Studierenden dieses Thema gepusht", sagte Heidemarie Uhl - diese Gruppe fehlte in der Gelehrtengesellschaft, um "die Älteren unter Druck zu setzen". Die ÖAW-Historikerin ist an der Uni Wien tätig und war maßgeblich am jetzigen Aufarbeitungsprojekt beteiligt. Jüngstes Beispiel für den Einsatz der Studierenden in der Vergangenheitsaufarbeitung ist ein Projekt, das von der Österreichischen Hochschülerschaft organisiert wurde (siehe Artikel links).

Herbert Matis hält den bisherigen Umgang der ÖAW mit der Nazizeit für äußerst problematisch. Politikwissenschafter Roman Pfefferle sprach von einer "glimpflichen Entnazifizierung", denn, wie er zeigte, wurden zwar zwischen 1945 und 1947 strikte Schritte gesetzt, doch durch die Amnesien von 1948 und 1957 fanden viele wieder an ihre Lehrstühle und zur ÖAW zurück. Die entscheidende Rolle des bereits erwähnten Bärenhöhlen-Teilnehmers Richard Meister als ÖAW-Präsident und Uni-Wien-Rektor in der Nachkriegszeit wurde am Montag mehrfach beleuchtet.

"Ich habe die Akademie erst kennengelernt, als ich mich mit ihrer Geschichte beschäftigt habe", sagte Uhl. "Wir haben uns heute sehr gut kennengelernt", resümierte ÖAW-Präsident Helmut Denk, der das gesamte Symposium aus der ersten Reihe verfolgte. "Aber es muss weitergehen." (Tanja Traxler, DER STANDARD, 13.03.2013)