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Unbeirrte Arbeiterin im Weinberg der Begrifflichkeit: Elfriede Jelinek.

Foto: Rudi Blaha/AP/dapd

Wien - Der erste wirklich substanzielle Beitrag zum Richard-Wagner-Jahr 2013 nennt sich "Bühnenessay". Vor allem aber ist Elfriede Jelineks neues Buch Rein Gold eine tosende Sprachmusik. Ein entfesselter Redestrom, der nicht zum ersten Mal im Werk der Nobelpreisträgerin über alle Ufer tritt. Rein Gold besitzt die Überredungskraft von Wagners " unendlicher Melodie". Widerstand ist zwecklos. Erst einmal ins Musizieren und Buchstabieren gekommen, kennen beide, Wagner wie Jelinek, kein Innehalten.

In Jelineks Suada werden immer wieder dieselben Partikel an die Oberfläche gespült. Das erinnert deutlich an Wagners Leitmotivtechnik. Wie losgerissene Hinweistafeln treiben gewisse Reiz- und Signalwörter im nie versiegenden Fluss der Gedanken.

"Wüst" nennt man dergleichen gern. Jelinek wird seit langem ein Hang zur Polemik unterstellt. Damit ist das Kratzen einer Nervensäge gemeint. An der gebürtigen Mürzzuschlagerin stört nicht so sehr die begründete Vermutung, sie könnte mit ihrer Polemik gegen die Zerstörungskraft des Kapitalismus im Recht sein. Man stößt sich, gleichsam stellvertretend, an der Unbarmherzigkeit der Form.

Damit wäre aber der wesentlichste Unterschied zwischen Wagner und Jelinek auch schon bezeichnet. Der Künstler-Unternehmer setzte harmonische Uneindeutigkeiten gezielt ein. Er gebrauchte sie als Lock- und Reizmittel, um die Wünsche seiner zahlungskräftigen Kundschaft zu befriedigen.

Neues Einfamilienhaus

Jelinek ist das Gebot der Aussöhnung, der Auflösung von Widersprüchen, wesensfremd. Rein Gold hat sie aus Wagners monumentalem Ring des Nibelungen geschöpft. In verteilter Rede beklagen Tochter und Vater, Brünnhilde ("B.") und Wotan ("W."), den Untergang des eigenen Göttergeschlechts. Walhalla heißt ihr "neues Einfamilienhaus".

Bei den alten Göttern geht es auch nicht anders zu als bei den kleinen Kreditnehmern. "Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen", erklärt die Tochter. Wem sie das erklärt, uns allen, sich selbst oder ihrem einäugigen Vater, bleibt letztlich unklar.

Jelinek durcheilt Wertschöpfungstheorien. Indem das Geld zirkuliert, soll es immer mehr werden, wohingegen die gute, alte Lohnarbeit im Verschwinden begriffen ist.

Die Arbeiter in Wagners Mythos sind die Nibelungen, die "Niegelungenen" (Jelinek), die der Maschinenkraft weichen müssen. Die Aneignung fremder Arbeit, die Abschöpfung des von ihr geschaffenen Werts steht auch im Mittelpunkt des Rings. Die Riesen als Haus-Erbauer werden hinters Licht geführt. Zwerge wie Alberich ("die albernen Iche") müssen auf die Liebe verzichten. Seine Walküre versteckt Wotan, der durch Verträge Gebundene, hinter einer Feuerwand.

Die Mucken des Geldes sind es, die Jelineks vor Wut und Witz kochenden Strom mit immer neuen Einfällen speisen. Geld ist dasjenige, was der Anschaulichkeit enträt. "Zu wenig ist es sowieso immer" (Jelinek). Das Zahlungsmittel ist flüssig. Seine sagenhafte Anpassungsfähigkeit berührt aber auch das Wesen der Sprache. Denn dem Reihumgehen des Geldes entspricht das Zirkulieren der Begriffe im Text. Rein Gold bildet daher ein alchemistisches Meisterstück. Das Geld "entstofflicht" eine Welt, in der die neuesten Nazis, die NSU-Mörder im Zwickauer Spukhaus, so viel zählen wie ein Göttervater, der seine Burg den Flammen preisgeben muss.

Rein Gold handelt von der Gespenstwerdung unserer Kultur unter der Herrschaft des Euro-Zeichens. Der Text, vergangenes Jahr in der Bayerischen Staatsoper München zum ersten Mal vorgestellt, ist ein Meisterwerk. Nur Es-Dur-Tröstungen enthält er keine. Immerhin ist Jelinek für den Mülheimer Theaterpreis nominiert. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 13.3.2013)