Bild nicht mehr verfügbar.

Kosovo - seit fünf Jahren unabhängig.

Grafik: APA

Valmir Lahu ist 15 Jahre alt, er möchte Fußballprofi werden. Jede freie Minute verbringt er mit seinen Freunden am Fußballplatz. Seine Lieblingsmannschaft ist Manchester United, sein großes Idol Luis Nani. Zumindest Valmirs Frisur ähnelt bereits jener des Mittelfeldstars Nani: an den Seiten hat er die Haare abrasiert.

Valmir träumt davon, einmal aus dem Kosovo auszuwandern. Wie viele andere auch, möchte er nach England, Österreich, in die Schweiz oder nach Deutschland, um eine bessere Zukunft zu haben. Wenn es mit den Fußball nicht klappt, dann als Büroangestellter? Eigentlich hat Valmir keinen Plan B. Aber er besucht eine Schule. Mit einer soliden Ausbildung - so hofft er - ist die Zukunft nicht ganz so aussichtslos wie für viele andere im Kosovo. Wie dramatisch die wirtschaftliche Lage ist, zeigen die Arbeitslosenzahlen. Die Quote jener, die keinem Job nachgehen, lag im Jahr 2012 bei 40 Prozent.

Ein Blick ins Klassenzimmer. Valmir sitzt in der zweiten Reihe ganz links.
Foto: Winkler-Hermaden

Der Kosovo - einst eine serbische Provinz - hat die jüngste Bevölkerung in Europa, mehr als die Hälfte der Bewohner sind jünger als 25. Das Land hat knapp zwei Millionen Einwohner und ist von der Fläche her etwas kleiner als das Bundesland Oberösterreich.

Valmir lebt in Podujeva. Die Stadt im Norden des Kosovo, eine Autostunde von Pristina entfernt, zählt 88.000 Einwohner. Trotz Schnee und Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt sind an diesem Donnerstagvormittag viele Menschen auf der Straße unterwegs. Die Kaffees sind gut besucht, Jugendliche stehen in Gruppen zusammen und unterhalten sich. An der Hauptstraße befindet sich auch die Schule Isa Bolentini, die Valmir besucht. Es ist eine große Schule, rund 1.900 Schüler werden hier unterrichtet.

Die Schule Isa Bolentini hat einen kaufmännischen Schwerpunkt.
Foto: Winkler-Hermaden

Die Gänge sind nicht geheizt, in den Klassenzimmern ist es aber schön warm. Das liegt möglicherweise auch daran, dass die Räume stark überbelegt sind. Im Unterschied zu österreichischen Schulen teilen sich nicht zwei Jugendliche eine Schulbank, sondern drei. Die Räume sind nicht viel größer als in Österreich, durchschnittlich sitzen aber 40 Schülerinnen und Schülern in einem Zimmer.

Das Schulsystem im Kosovo ist ähnlich wie jenes in Österreich aufgebaut. Im Kosovo gibt es für alle Kinder ab dem 6. Lebensjahr eine neunjährige Schulpflicht. Anders als in Österreich wird diese aber an Gesamtschulen absolviert, das heißt alle Kinder einer bestimmten Region besuchen eine Schule. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Hauptschule und Gymnasium. Der Schulbesuch ist kostenlos.

Die Gänge der Schule werden nicht beheizt.
Foto: Winkler-Hermaden

Nach der neunjährigen Schulpflicht findet die weitere Ausbildung meistens in berufsbildenden Schulen statt. Valmirs Schule hat einen kaufmännischen Schwerpunkt und ist mit einer Handelsakademie zu vergleichen. Trotz schlechter Wirtschaftsdaten sollen die Jugendlichen auf das Arbeitsleben vorbereitet werden, um später als Bankangestellte, bei Versicherungen oder als juristische Mitarbeiter tätig zu sein. Die Lehrer der Schule bemühen sich, denn den Jungen soll es einmal besser gehen. Ein Lehrer verdient 300 pro Monat.

Für den Kosovo ist das ein durchschnittliches Gehalt. Lag es 2009 noch bei 270 Euro netto, ist das Durchschnittsgehalt bis 2011 auf circa 300 Euro netto pro Monat angestiegen.

Unter den Decken verstecken sich Computer, gesponsert aus Österreich.
Foto: Winkler-Hermaden

Der Computerraum an Valmirs Schule ist versperrt. Der Direktor der Isa Bolentini, Fehmi Zeqiri, zückt einen Schlüssel und öffnet die Türe, als wäre dahinter ein Schatz verborgen. Die Computer sind verhüllt, man merkt, dass die technische Ausstattung etwas Besonderes für die Schule ist. Den Schülern sollen mit ihrer Hilfe moderne Arbeitstechniken vermittelt werden. Wie auch in Österreichs Handelsakademien lernen die Schüler den Praxisbezug in sogenannten Übungsfirmen kennen. Darunter kann man sich ein Modell eines Unternehmens vorstellen, in dem die Abläufe eines realen Wirtschaftsbetriebs für den Lernprozess transparent gemacht werden.

Auf den Computern haften Aufkleber, "BMUKK" ist darauf zu lesen. Die Schule wird vom österreichischen Unterrichtsministerium unterstützt. Auch die Lehrer werden von österreichischen Kollegen gecoacht. Organisiert wird der Austausch von Kulturkontakt Austria. Ziel ist es, die soziale Inklusion in Schulen voranzutreiben. Alle Schülerinnen und Schüler sollen gleich behandelt werden, unabhängig ihrer ethnischen, kulturellen oder sprachlichen Zugehörigkeit.

Unter den Decken verstecken sich Computer, gesponsert aus Österreich.
Foto: Winkler-Hermaden

Direktor Zeqiri war erst kürzlich in Österreich zu Gast. Er hat eine Handelsakademie in Wien-Favoriten besucht. Umgekehrt waren Lehrer der "BHAK Wien 10" auch schon öfter bei ihm zu Besuch. Mit seinen Stellvertretern sitzt Zeqiri nun in seinem Büro im Erdgeschoß der Schule in Podujeva und berichtet über seine Erfahrungen in Wien. Ihn beeindruckte vor allem die technische Ausstattung der Schule. Was ihm ein besonderes Anliegen ist? Gerade bei der Gruppe der Roma und der Ashkali, eine Untergruppe der Roma, sei die Drop-out-Quote eine sehr hohe, die möchte er senken.

Roma-Kinder versuchen sehr früh eine Arbeit zu finden, um ihre Familien zu unterstützen, erklärt der Direktor. "Wir müssen die Roma und Ashkali noch überzeugen, wie wichtig eine Ausbildung für ihre Kinder ist", sagt Zeqiri. "Wir versuchen ihnen zu vermitteln, dass eine Schulausbildung gut für die weitere Zukunft ist."

Auch Schüler Valmir zählt zur Gruppe der Roma. "Die Lehrer sind sehr nett zu mir, sie bemühen sich sehr", sagt der Bursche, der auch im Lehrerzimmer Platz genommen hat. Er bekommt rote Backen, wenn er spricht. Er werde von seinen Mitschülern nicht diskriminiert, sagt er, als wäre das schon ein großer Fortschritt. Valmir weiß um das Privileg, eine Schule besuchen zu können. Von acht Geschwistern sind er und seine Zwillingsschwester Valmire die einzigen, die lernen dürfen anstatt schon in jungen Jahren arbeiten zu gehen. Von 1.900 Schülern in der Isa Bolentini gehören nur sieben der Gruppe der Roma an.

Die Jugendlichen sitzen im Klassenzimmer zu dritt an einem Tisch.
Foto: Winkler-Hermaden

Geht es nach der kosovarischen Regierung, sollen es mehr werden. Bildungsminister Rame Buja sagt dazu: "Für uns ist die Integration der größeren Minderheiten sehr wichtig. Das ist vielleicht noch eine Schwäche von uns. Deshalb bemühen wir uns, in diesem Bereich etwas Positives zu machen." Auch der Minister weiß die Unterstützung Österreichs zu schätzen. "Dank der Hilfe unserer guten Freunde sind wie schon viele Schritte vorangekommen", sagt er.

Dennoch sind die Perspektiven auch abseits der Bemühung von Inklusion nach wie vor alles andere als rosig. "500 Schüler schließen unsere Schule jährlich ab, nur sehr wenige haben eine Chance einen Arbeitsplatz zu finden oder an die Universität zu gehen", sagt Direktor Zeqiri.

Fußball-Fan Valmir ist dennoch zuversichtlich. Er soll zu jenen Schülern gehören, denen die Zukunft offen steht. Sein Englisch-Lehrer übersetzt das Gespräch, doch Valmir kann auch so folgen und antwortet oft schon, bevor der Lehrer mit der Übersetzung fertig ist. An den Sprachkenntnissen würde eine Zukunft im Ausland also nicht scheitern. Ob als Fußballer oder Bürofachkraft. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 14.3.2013)