Der Kampf ist zu Ende wenn Blut fließt.

Weitere Bilder von diesem außergewöhnlichen Fest gibt es in dieser Ansichtssache.

Foto: Wolfgang Pielmeier

Die Insel Lombok wird oft als ruhigere Alternative zu dem westlich gelegenen Bali angepriesen. Die meisten TouristInnen kommen wegen der kleinen Inseln Gili Trawangan, Gili Meno und Gili Air im Nordosten Lomboks, um dort zu surfen, zu tauchen oder die Strände zu genießen.

Etwa 70 Kilometer entfernt an der Südküste liegt der kleine Ort Kuta Lombok, der bisher vom Massentourismus verschont blieb. Unter SurferInnen und BackpackerInnen gelten die einsamen Strände und Surfspots als Geheimtipp. Die entspannte, ruhige Grundstimmung, die in Kuta das Jahr über herrscht, verwandelt sich Anfang März in ihr Gegenteil, wenn eines der größten traditionellen Feste der Region stattfindet. Das "Bau Nyale" zieht jährlich bis zu 40.000 Menschen aus allen Ecken der Insel an, die das Erscheinen einer besonderen Art bunter Meereswürmer feiern. Übersetzt bedeutet "Bau Nyale" in etwa "Fang den Wurm". Der Termin für die Feierlichkeiten variiert von Jahr zu Jahr um wenige Tage und wird erst wenige Wochen zuvor festgelegt.

Wurmkur für den Frieden

Die Tradition beruht auf der Legende der Prinzessin Mandalika, der Tochter des Königs von Lombok. Als Mandalika von ihrem Vater gebeten wurde, sich für einen Ehemann zu entscheiden, brach ein Streit zwischen allen Stämmen der Insel aus. Die Prinzessin was so schön, dass jeder Mann auf Lombok sie für sich gewinnen wollte. Mandalikas Entscheidung – wie auch immer sie ausfallen sollte – drohte einen Krieg auszulösen. Die Prinzessin beschloss daraufhin, sich zu opfern, um den Frieden auf der Insel zu sichern, und stürzte sich von einem Felsen ins Meer, wo sie sich in die Nyale-Würmer verwandelte. Sie hatte versprochen, ihrem Volk jährlich zu erscheinen und ihren Untertanen Glück zu bringen.

Deshalb sammeln die BewohnerInnen Lomboks die Meereswürmer und streuen sie in der Hoffnung auf gute Ernte über die Reisfelder. In Bananenblättern gegrillt oder als Suppe zubereitet stellen die Nyale eine Delikatesse dar, die nicht nur Glück und Gesundheit bringt, sondern durch deren Verzehr auch ein Teil der Schönheit Mandalikas aufgenommen wird.

Die Feierlichkeiten beginnen schon einige Tage bevor die Würmer an die Oberfläche kommen. Die jungen Männer des Ortes treten bei traditionellen Stockkämpfen gegeneinander an. Aus einer Menge Freiwilliger suchen Schiedsrichter ebenbürtige Gegner aus. Das Publikum feuert die beiden Kontrahenten an, wirft weißes Puder und schickt "Magie", um seine jeweiligen Favoriten zu stärken. Obwohl die Striemen und Prellungen auf den Körpern der Kämpfer von roher Gewalt zeugen, tanzen die Gegner in den Pausen zwischen den Runden, um Härte und Durchhaltevermögen zu beweisen. Der Kampf gilt als beendet, wenn einer der Kontrahenten blutig geschlagen ist.

Agus, ein älterer Mann, der in Kuta Zimmer vermietet, erzählt bei den Feiern in diesem Jahr von den heroischen Kämpfen seiner Jugend und erklärt, dass die Stockkämpfe ein altes Ritual dafür seien, um Regen zu bitten. Das Blut der Verlierer soll die Reisfelder fruchtbar machen und darf erst vom einsetzenden Regen abgewaschen werden.

Eine weitere Attraktion stellen die Pferderennen dar. Bei dem drei Tage andauernden Wettbewerb wird der beste Reiter des Ortes ermittelt. Die meisten Jockeys sind etwa zehn Jahre alt, wenn sie an dem Wettbewerb teilnehmen. Auf den Ausgang der Rennen werden hohe Summen gesetzt, was regelmäßig zu Streitereien am Start führt, weil Benachteiligungen und Fehlstarts vermutet werden.

Ein Freudenschrei für den Wurm

Die meisten BesucherInnen des "Bau Nyale" reisen erst zum Höhepunkt der Feierlichkeiten an. Eine nicht enden wollende Kolonne von Autos und Motorrollern schiebt sich dann hupend über die staubige Hauptstraße an den Strand von Kuta. Von den Ladeflächen vieler Lastwagen winken Frauen und Männer in farbenfrohen traditionellen Gewändern. Viele haben Opfergaben in Form von Hühnern und Obst mitgebracht, die später in einer Zeremonie dem Meer übergeben werden.

Der Festzug endet bei Seger Beach, einer Bucht bei Kuta Lombok. Dort wurden bereits unzählige kleine Stände errichtet, die eine große Auswahl örtlicher Spezialitäten anbieten. Auch Spielzeug, Taschenlampen und Netze zum Fangen der Würmer verkaufen sich gut. An einem Stand werfen Jugendliche Ringe in der Hoffnung, eine Packung Zigaretten zu gewinnen. Weitaus unbeliebter ist der alternative Gewinn – ein Stück Seife.

Wenn die Polizeistreifen zu späterer Stunde unregelmäßiger werden, treffen sich kleine Grüppchen von Männern auf den Wiesen zu sonst verbotenen Glücksspielen.

Auf einer großen Bühne werden Reden gehalten und Ehrengäste begrüßt, und eine Frau in einem goldenen Kleid singt traditionelle Lieder. Nach diesem offiziellen Teil ziehen sich die meisten BesucherInnen auf die Hänge der umliegenden Hügel zurück, um zu schlafen. Manche Familien haben Zelte mitgebracht, der Großteil schläft jedoch einfach auf Decken. Spätestens jetzt erinnert das Gelände an ein Musikfestival. Für alle wach gebliebenen tritt eine indonesische Rockband auf. Es gilt, die Zeit bis 4.30 Uhr zu überbrücken.

Um diese Zeit beginnt mit der einsetzenden Ebbe die Jagd auf die Nyale. Tausende Menschen, bewaffnet mit Netzen, Kübeln, Schaufeln und Taschenlampen, stürzen sich in das nächtliche Meer. Eine schier unendliche Zahl aus kleinen Lichtern erfüllt die Bucht, weiter draußen im Ozean fahren Fischerboote, aus denen ebenfalls Netze nach den Würmern ausgeworfen werden. Jede größere Welle die einen weiteren Schwung Nyale in die Bucht spült, wird mit lauten Freudenschreien begrüßt. Die Euphorie hält bis zum Sonnenaufgang an. Dann vergraben sich die Würmer wieder für ein Jahr im Schlick, und die BesucherInnen des Festes kehren mit ihrer Beute nach Hause zurück.

Agus hat zusammen mit seiner Familie genug Nyale gefangen, um sie an einer Straßenecke zu verkaufen. Vom Ekel der TouristInnen amüsiert, erklärt er die positive Wirkung der Würmer auf Glück und Schönheit. Von seinem Biologiestudium in Yogyakarta kennt er den wahren Grund für das jährliche Auftauchen der Nyale. Er ist sich jedoch mit allen Umstehenden einig, dass die Geschichte der Mandalika um einiges schöner und spannender ist als die Wahrheit über die Paarung von Meereswürmern. (Wolfgang Pielmeier, derStandard.at, 17.3.2013)