Auf der im Stadtgebiet von Bielefeld geborgenen Platte türmen sich Gryphaen, Angehörige einer mit den Austern verwandten Muschelgattung.

--> Ansichtssache
Bergung und Präparation eines Meeresfossils
Schritt für Schritt werden 195 Millionen Jahren alte Gryphaen ans Licht gebracht

Foto: Sönke Simonsen

Die zwölfte Ausgabe des Magazins "Der Steinkern" ist kürzlich erschienen und kann über das Bestellformular der Webseite angefordert werden.

Die vorangegangene Ausgabe Nr. 11 enthielt unter anderem einen ausführlichen Artikel über die Hallstätter Kalke.

Foto: Steinkern.de

Versteinerte Austern sind in den Meeresablagerungen des Jura-Zeitalters weltweit verbreitet, aber auch aus jüngeren Erdschichten und der rezenten Umwelt ist diese Muschelgruppe bestens bekannt. Hier ein Bericht über eine außergewöhnlich schöne, 195 Millionen Jahre alte Grabgemeinschaft von Austern aus Bielefeld und deren Fundgeschichte.

Austern: Futterfiltrierer mit 250 Millionen Jahre währender Evolutionsgeschichte

Die zu den Bivalven zählenden Austern existieren seit etwa 250 Millionen Jahren und bewohnen zumeist küstennahe, flache Gewässer oder den Gezeitenbereich der Ozeane. Da sie nicht zu einer aktiven Fortbewegung in der Lage sind, sind sie als Futterfiltrierer an Standorte gebunden, die ihnen einen fortdauernden Zustrom an Plankton bieten. Sie haben in der Natur zahlreiche Fressfeinde, gegen die sich die meisten Arten mit einer massiven Schale zu schützen versuchen. Herrschen gute Lebensbedingungen vor, gedeihen Austern in großer Zahl hervorragend, was man sich heutzutage bei der Aufzucht in Aquakulturen zunutze macht. Auch der Fossiliensammler profitiert in manchen Schichten vom zahlreichen Auftreten der Austern.

Das reichliche Vorkommen von Austern in Naturaufschlüssen, wie Bachläufen und vegetationslosen Steilhängen, führte schon lange vor Aufkommen der Naturwissenschaften zur Konfrontation des Menschen mit diesen Versteinerungen. Über die Jahrhunderte kam es zu allerhand unterschiedlichen Deutungen. Im Volksglauben handelte es sich um "Zehennagel des Teufels", eine Bezeichnung die noch heute in manchen Regionen im Volksmund trotz inzwischen geläuterter Kenntnis über den Ursprung dieser bizarren Fundstücke fortlebt.

Austern, Ammoniten, Prädatoren

Vor 195 Millionen Jahren, zur Zeit des Sinemuriums (Unterer Jura), war das heutige Westfalen von einem flachen Randmeer des Tethys-Ozeans, des Urmittelmeers, bedeckt. Dieses nordwesteuropäische Meer stand im Laufe des Unteren Jura über Meerespforten in Kontakt mit dem Tethys-Ozean. In Abhängigkeit von Wassertiefe und Wassertemperatur prägten jedoch unterschiedliche Lebensformen das Bild. Die Fauna des betrachteten Abschnitts der Coroniceras lyra-Subzone im Sinemurium Ostwestfalens wurde geprägt durch das Vorkommen von Ammoniten. Sie erreichten stattliche Gehäusedurchmesser von weit über einem halben Meter. Auch Ichthyosaurier bewohnten das Meer, was wir in Bielefeld nur anhand zweier Schwanzwirbel nachweisen konnten. Aus Lyme Regis, einem Ort in der südenglischen Grafschaft Dorset, kennt man aus diesen Schichten dagegen auch vollständige Skelette.

Neben den Groß-Ammoniten ist das massenhafte Auftreten der Auster Gryphaea arcuata kennzeichnend für die Bielefelder Ablagerungen. Die gut entwickelten, dicken Schalen der Austern und ihr zahlreiches Vorkommen zeigen an, dass die Wassersäule im Bereich des Meeresbodens zu dieser Zeit gut durchlüftet und reich an Plankton gewesen sein muss und die Wassertemperatur den Austern entgegenkam.

Nach dem Tod der Austern wurden die Individuen durch Strömungen in Senken und Rinnen am Meeresbodenrelief oder aber an Störmungshindernissen zusammengeschwemmt. Durch Sedimentation von organischen Schlämmen wurden die Austern im Laufe der Zeit zugedeckt und liegen 195 Millionen Jahre später - kaum verändert - in Kalzit-Schalenerhaltung vor.

Regenwasserrückhaltebecken als Fundgrube

Im Sommer 2012 wurde in der Innenstadt des ostwestfälischen Oberzentrums Bielefeld ein Neubaugebiet erschlossen. Hierbei wurde auch ein Regenwasserrückhaltebecken angelegt, welches auf einer Länge von über 100 Metern und zirka 20 Metern Breite etwa drei Meter tief ausgeschachtet wurde. Im Laufe der Baumaßnahme wurden Tonschichten aus dem Unteren Jura ausgebaggert. Der Autor beobachtete zusammen mit seinem Vater und weiteren Fossiliensammlern den Fortgang der Baumaßnahme und entdeckte ein Massenvorkommen der für den Unteren Jura typischen Auster Gryphaea arcuata (SOWERBY). Die Zusammenschwemmung war ein örtlich quadratmetergroßer "Teppich" aus Austern. Es reihte sich Individuum an Individuum, um dann abrupt abzureißen. In einigen Metern Entfernung fanden sich weitere Massenansammlungen.

Bergung der Austernplatte

Aus dem bröseligen Tongestein konnten die Austern leider zunächst nur Stück für Stück einzeln gewonnen werden. Um den Fundkontext besser darstellen zu können und einen typischen Beleg für die Fundschicht zu gewinnen, entschieden wir uns für die nächste Geländebegehung zu einer Gipsbergung eines größeren Brockens. Dazu wurde zunächst ein Teil der Schicht mit den Austern flächig mit Spitzhacke und Geologenhammer freigelegt. Als die Austern von der Oberseite freilagen, wurde ein Stück von 34 x 24 Zentimetern freigeklopft, oberflächlich von losen Tonkrumen befreit und anschließend mit einem Gemisch aus Wasser und Gips ummantelt. 

 

Nach dem Aushärten des Gipses schoben wir einen Klappspaten unter die Platte und drehten sie sorgsam um. Die Platte wurde zur Stabilisierung auf ein Tablett gelegt und von der Unterseite anhaftendes überschüssiges Tongestein ohne Fossilien abgetragen. Als die Austern von der Unterseite sichtbar wurden, wurde mit einem Gemisch aus Wasser und Leim der Tonstein gehärtet und die Gesteinsplatte anschließend abtransportiert.

Präparation: Mühsam, aber lohnend

Nachdem die Platte abtransportiert war, musste sie zunächst einige Tage durchtrocknen, bevor die Präparation beginnen konnte. Diese erwies sich trotz zur Verfügung stehender Druckluftstichel und eines Sandstrahlgerätes als zähes und zeitintensives Unterfangen, was der Größe der Platte und der Zähigkeit der Gesteins durch das Aushärten mit dem Leim-Wasser-Gemisch geschuldet war. Im Laufe von etwa 20 Präparationsstunden kamen immer mehr Austern zum Vorschein, die die Freilegung zu einer lohnenden Angelegenheit werden ließen. Am Ende liegt ein museumsreifes Stück Meeresboden aus dem Unteren Jura vor uns. (Sönke Simonsen, derStandard.at, 16. 3. 2013)