STANDARD: Unterstützen Sie die Proteste in Ihrem Land?

Plewneliew: Die Initiative der Bürger ist sehr wichtig, ich begrüße sie. Auch ich bin für Liberalisierung, auch ich bin für mehr Kontrolle und Transparenz. Daher habe ich versucht, auf die aktuelle Situation mit der Einsetzung von sogenannten Bürgerräten in allen Ministerien zu reagieren.

STANDARD: Bürgerbeteiligung, weil die Politik nicht mehr funktioniert?

Plewneliew: Das Parlament, so wie wir es heute haben, ist nicht mehr in der Lage, weiter zu arbeiten. Alle Parteien wollen Neuwahlen; daran ist nicht zu zweifeln, das haben viele Gespräche gezeigt. Ich sehe die Entwicklung aber positiv: Wir haben Proteste, wir haben Themen, mit denen sich die wahlkämpfenden Parteien auseinandersetzen müssen. Sie müssen jetzt echtes Engagement zeigen und Lösungen finden. Alle müssen etwas tun gegen Intransparenz, Korruption und die Mafia.

STANDARD: Wie verhalten sich die Medien in dieser Lage?

Plewneliew: Es gibt durchaus einige Probleme. Wir sehen Konzen-trationstendenzen im Land, und ein Großteil der Medien hat natürlich im Hintergrund gewisse wirtschaftliche Interessen. Daher ist es positiv, dass die Menschen nun selbst auf der Straße und im Internet aktiv geworden sind.

STANDARD: Sie wollen eine Übergangsregierung ohne Politiker und ohne Wirtschaftsexperten. Wer bleibt denn da noch übrig?

Plewneliew: Wir werden jetzt doch einige Wirtschaftsexperten haben müssen. Die neue Regierung wird am Dienstag um 16 Uhr vorgestellt, am Mittwoch wird sie dann operativ. Gleichzeitig wird gemäß unserer Verfassung auch das Parlament aufgelöst. Die Regierung wird aus Männern und Frauen bestehen, die sich ihre Kompetenz und Reputation selbst von Null weg aufgebaut haben. Ihr gemeinsames Motto: pro Europa, pro Demokratie, pro Wirtschaftsentwicklung. Sie alle werden den konstruktiven Dialog und pragmatische Lösungen forcieren.

STANDARD: Wer wird Ministerpräsident dieses Kabinetts?

Plewneliew: Tja, das wollte vorgestern auch schon EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso wissen. Diese Person wird aber erst am Dienstag bekannt gegeben werden.

STANDARD: War die Interimsregierung in Italien unter Mario Monti Vorbild für das bulgarische Übergangskabinett?

Plewneliew: Ja, ganz genau. Ich wünsche mir, dass es so arbeitet, wie dies Monti in Italien längere Zeit tun konnte. Wir müssen mehr Ambitionen haben als bloß die nächsten Wahlen zu organisieren und die Krise ein klein wenig einzudämmen. Wir müssen die positive Energie, die es momentan in Bulgarien auf den Straßen und im Internet gibt, nützen. (gian, DER STANDARD, 11.3.2013)