Seraphine Rastl und Dominik Warta als Paar im Disput: "Die versunkene Kathedrale".

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 Er nuanciert die Figuren, hat für sie aber kein Konzept.

Klagenfurt - Der Kärntner Dichter Gert Jonke beschrieb aufs Allerfreundlichste und Sanfteste unfassbare Auflösungszustände. Naturgesetzmäßigkeiten treten in seinen Texten außer Kraft, sodass Unmögliches möglich wird. In diesen Beschreibungsmanövern, die bestehende Verhältnisse aufbrechen, neue Perspektiven entdecken und Hierarchien verkehren, liegt das Politische von Jonkes Werk. Zunächst in der Prosa, mit Drängen der Dramaturgen (insbesondere: Karl Baratta und Joachim Lux), später auch in Theaterstücken.

In Die versunkene Kathedrale (uraufgeführt 2005 am Akademietheater) wird ein Ehepaar bei der Rückkehr von der Hochzeitsreise der Tatsache gewahr, dass inzwischen das Schlafzimmer durch das Schlüsselloch hindurch ausgeronnen ist. Nicht die einzige irritierende Neuigkeit: Eine dubiose Lähmung befällt das Paar (Dominik Warta, Seraphine Rastl), eine gravierende Verlangsamung aller Lebensfunktionen, die beide gesellschaftsunfähig macht. Das Umblättern einer Buchseite dauert Wochen! Woraufhin die ihrerseits frisch verliebten Eltern (Irene Kugler, Maximilian Achatz) die beiden ins Heim abschieben.

Schließlich fließt auch noch der Wörthersee ab und auf dem Grund offenbart sich eine Kathedrale - frei nach einem Kärntner Volksmärchen. Einen Ort der Einkehr, durch dessen Dachluke dem Allmächtigen Erlösungswünsche entgegenfliegen.

Regisseur Dominique Schnizer, 1980 in Graz geboren, hält sich aber zurück. Er lässt es in seiner achtbaren, aber insgesamt zu mutlosen Inszenierung am Stadttheater Klagenfurt vor allem bei Schauspieleransprachen bewenden. Auf einer mit Kathedralen-Giebelhaus und See-Planschbecken weit nach hinten reichenden Bühne legt er keine bestimmte Fährte und lässt den ohnehin nicht sehr interaktionsfreudigen Text langsam ausrinnen. Dabei wirft der (viereckige) Wörthersee seine verspielten Wasserbewegungen schön an den Kathedralen-Plafond, sodass ein Bild des Unterwasserseins ähnlich wie in Luc Bessons The Big Blue entsteht (Bühne und Kostüme: Christin Treunert).

In einer lapidaren, durchaus gekonnten Choreografie nuanciert Schnizer lediglich die einzelnen Figuren: die Klinikpatientin Waltraud etwa als aufbegehrende Prolo-Frisörin (Katharina Schmölzer), die Pflegerin Frau Kropfitsch (Agnes Hausmann) als Yoga-Braut mit Zukunftsangst.

Man sollte sich keineswegs dem Befehl des Verlegers Jochen Jung widersetzen: "Wehe, wenn Sie heute nicht noch wenigstens eine Seite Jonke lesen!" Ausgesprochen hat er es am Nachmittag bei der mit der Uraufführung von Musikstücken Wolfgang Seierls sowie Filmausschnitten sehr ansprechend gestalteten Verleihung des Gert-Jonke-Preises an Friederike Roth und Händl Klaus. Man muss sich aber ebenso nicht ganz der Inszenierung verwehren. Sie lehrt mindestens dutzendfach den Gebrauch von Schimpfwörtern für einen fantasievollen Ehestreit, den Dominik Warta für wenige Augenblicke gar abheben lässt.

Tief im Inneren dieses komödiantischen Schreckstücks liegt Gert Jonkes Liebeserklärung an den Wörthersee verborgen. Dass Die versunkene Kathedrale, das geografisch am deutlichsten verortete Stück des Dichters, nun erstmals in Klagenfurt zu sehen ist, mutet nach Bringschuld an. Intendant Florian Scholz hat sie nun erfreulicherweise eingelöst. Mit einem arrivierten Regisseur wäre er ausgerechnet bei diesem schwierigen Stück wohl besser gefahren. Andererseits: Ohne Risiko gibt es gar kein Theater.   (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 9./10.3.2013)