"Benedikt XVI. hat mich immer als 'seinen' Pfarrer bezeichnet. Das stimmt wohl, aber in meiner Kirche habe ich ihn nicht oft gesehen." Don Pietro Diletti verfügt über einen trockenen Humor. Durch die weißen Vorhänge seines Büros flutet das Sonnenlicht herein. Dem Fenster, durch das der Blick auf den benachbarten Palazzo Pontificio fällt, wendet er den Rücken zu.
Seit Joseph Ratzinger sich in die päpstliche Sommerresidenz in den Albaner Bergen südöstlich von Rom zurückgezogen hat, wird der Salesianerpater von Zweifeln geplagt. Don Diletti hat öfter mit dem Papst zu Mittag gegessen als viele Würdenträger des Vatikans. Und jetzt, wo er in nächster Nachbarschaft lebt, soll das plötzlich alles vorbei sein?
Der 66-Jährige leitet die einzige päpstliche Pfarre außerhalb des Vatikans, die Parrocchia Pontificia di San Tommaso di Villanova. Dass er den emeritierten Papst wieder treffen kann, schließt er nicht aus. " Während des Konklaves bleibt er der Öffentlichkeit sicher verborgen. Doch wenn sich das Scheinwerferlicht auf den Nachfolger richtet, könnte er sich ja hie und da zeigen."
Wein, Obst, Kühe und Hühner
Die Einwohner der 8500-Seelen-Gemeinde leben seit Jahrhunderten im Schatten der Päpste. Seit 1628, als Urban VIII. die ehemalige Barberini-Burg umbauen ließ, fliehen sie vor der römischen Sommerhitze in die nahen Berge. Der auf den Ruinen eines Palasts von Kaiser Domitian errichtete Bau und seine Grünanlagen sind mit 55 Hektar wesentlich größer als der Vatikan. Zum päpstlichen Anwesen gehören Weinberge und Obstwiesen, Gemüsegärten, Kühe und Hühner.
Dass ein Paparazzo kürzlich die emeritierte Heiligkeit beim Spaziergang mit Georg Gänswein ablichtete, findet Don Diletti "ärgerlich". Freilich nicht ganz so schlimm wie das Foto des polnischen Vorgängers im päpstlichen Schwimmbad - eine "grobe Geschmacklosigkeit".
"Rücktritt? War für mich unvorstellbar"
Beim bisher letzten Treffen habe Ratzinger einen müden Eindruck gemacht. "Er hat mir lange in die Augen geschaut und meine Hand festgehalten und mich eindrücklich ersucht, viel für ihn zu beten. Das hat mich stutzig gemacht. Man hat ihm angemerkt, dass er von Problemen belastet wird. Aber ein Rücktritt? Das war für mich unvorstellbar!"
Den deutschen Papst schildert der Pfarrer "als exaktes Gegenteil des Zerrbildes", das von ihm gezeichnet wurde: "Mild, respektvoll, bescheiden."
Vom päpstlichen Palast hoch am Rande eines ehemaligen Kraters fällt der Blick hinunter auf den blauen Spiegel des Albaner Sees, und bei klarem Wetter ragt die Kuppel des Petersdoms in kaum 25 Kilometern Entfernung aus der Silhouette der Hauptstadt.
"Die Kirche hat ihre Glaubwürdigkeit verloren"
Mit der intrigenbelasteten römischen Kurie geht Don Pietro hart ins Gericht. "Die Kirche hat ihre Glaubwürdigkeit verloren." Purificazione sei vonnöten, Reinigung. "Wir geben kein gutes Beispiel", klagt der Pfarrer. Daher fehle auch der Priesternachwuchs. Dass heute viele Pfarren in Italien von Ausländern betreut werden, nimmt Don Diletti mit Humor: "Früher sind wir in die Missionen gegangen, jetzt kommen sie zu uns. Ein fruchtbarer Austausch."
Er selbst kann sich über Arbeitsmangel nicht beklagen. Wer sonst verfügt über eine vom Barockbaumeister Gian Lorenzo Bernini errichtete Kirche in so bestechender Lage? "Ich merke bereits Hochzeiten für 2014 vor und akzeptiere nur gut vorbereitete Paare. 200 in vier Sommermonaten. Und ich zelebriere 150 Taufen pro Jahr."
Der neue Papst? Prognosen will der resolute Pater nicht riskieren. Doch ein Nichteuropäer würde ihm zusagen: "Die Kirche ist ja universell und weltumspannend." Und dass der umtriebige Pfarrer auch beim neuen Papst zu Gast sein wird, hält er aufgrund seiner Position für wünschenswert: " Ich bin schließlich auch der Pfarrer des nächsten Kirchenoberhaupts." (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 9./10.3.2013)