Sitzen die kenntnisreichsten Vatikanisten in Italien, so sind die besten Nordkoreanisten zweifellos in Peking zu finden. Sie können die Signale jenes kryptischen Systems in Pjöngjang lesen, gegen das die Altherrenrunde um den Heiligen Stuhl quasi wie ein offenes Buch daliegt. Und was Zhang Liangui, Chinas bester Kenner von Kim und Konsorten, dem Standard zu erzählen hat, das klingt nicht unbedingt beruhigend. Im Gegenteil: Zhang hält einen militärischen Konflikt auf der koreanischen Halbinsel für möglich, wenn nicht sogar für wahrscheinlich.

Dafür spricht auch das Eskalations-Crescendo der vergangenen Monate: Im Dezember testete Pjöngjang erfolgreich eine dreistufige ballistische Interkontinentalrakete. Einen Monat drauf gab es eine erste Kriegsdrohung aus Nordkorea. Im Februar ließ das Regime seine dritte Atombombe seit 2006 hochgehen. Und nun lautet die Ansage, dass sich Kim einen nuklearen Präventivschlag gegen die USA und deren Verbündete vorbehalte.

Letzteres ist mit ziemlich großer Sicherheit geblufft, weil noch immer nicht klar ist, ob die Nordkoreaner beim jüngsten Atomtest Plutonium oder Uran verwendet haben und ob sie vor allem in der Lage sind, ihre Sprengköpfe so zu miniaturisieren, dass sie in eine Interkontinentalrakete passen. Ist das nicht der Fall, dann müssten sie ihre Atombomben wohl aus dem Flugzeug abwerfen oder in den Süden tragen. Beides ist eher unwahrscheinlich. Auch deswegen, weil ein Nuklearangriff unweigerlich den Sturz des Regimes in Pjöngjang nach sich ziehen würde.

Konflikt mit konventionellen Mitteln

Viel gefährlicher dagegen wäre ein Konflikt, der mit konventionellen Mitteln ausgetragen wird. Die Nordkoreaner haben 2010 eine Korvette des Südens versenkt, damals kamen 46 Matrosen ums Leben. Ebenfalls 2010 starben beim nordkoreanischen Artilleriebeschuss einer südkoreanischen Insel mehrere Menschen. Ein solcher Vorfall ist in der derzeit so instabilen Lage jederzeit denkbar. Anlass könnten die geplanten Manöver der Südkoreaner und der USA sein, die am kommenden Montag beginnen sollen. 3500 GIs und 10.000 südkoreanische Soldaten sollen an der Übung teilnehmen, die bei den Paranoikern im Norden als Beginn einer Invasion interpretiert wird.

Sollte es erneut zu einer bewaffneten Provokation des Nordens kommen, werden Washington, Seoul und die neue südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye viel Beherrschung brauchen, um die Situation nicht vollends aus dem Ruder geraten zu lassen. Treffen die weiteren Einschätzungen der chinesischen Nordkorea-Kenner zu, wird sich auch Peking alle Mühe geben müssen, noch irgendeinen Einfluss auf den ehemaligen Bruderstaat geltend zu machen. Das Einzige, was Kims Kamarilla neben militärischer Gewalt versteht, wären harte ökonomische Sanktionen, die über die jüngst von der Uno beschlossenen hinausgehen: also das Schließen des Grenzen, das Unterbrechen von Energielieferungen und Handelsströmen. Aber auch da würde die Prognose lauten: Alarmstufe Rot. (Christoph Prantner, DERSTANDARD, 9.3.2013)