Die Bewertung des " Anschlusses" spaltet noch heute die österreichische Bevölkerung.

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Angenommen, es gäbe kein Verbotsgesetz, das Nationalsozialistische Wiederbetätigung unter Strafandrohung stellt: Hätten die Nazis in Österreich mit ihrer völkischen Ideologie überhaupt genügend Rückhalt, um in Österreich in freien Wahlen erfolgreich zu sein? 75 Jahre nach dem " Anschluss" an Hitler-Deutschland ließ der Standard diese Frage 502 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten stellen - und 54 Prozent antworteten, dass das sehr wohl möglich wäre. Es sind vor allem junge und höher gebildete Befragte, die den Nazis Wahlchancen einräumen. Die Meinung, dass Nazis bei Wahlen chancenlos wären, wird vor allem von VP- und Stronach-Anhängern vertreten. Zum Verbotsgesetz meinen 37 Prozent, es sei zu lasch, 50 Prozent halten es für gerade richtig und 13 Prozent meinen, es sei zu streng.

In derselben Umfrage, die das Linzer Market-Institut diese Woche durchgeführt hat, zeigt sich auch, dass sich 61 Prozent der Befragten einen "starken Mann" an der Spitze Österreichs wünschen. Es sind vor allem ältere Menschen, die das wollen - und einzig unter den erklärten Grün-Wählern gibt es eine entschiedene Ablehnung dieser Idee. Ähnliche Studien sind - allerdings auch mit anderen Fragestellungen - auf niedrigere Zahlen gekommen. So gab 2008 in der Werte-Studie ein Fünftel der Befragten an, sich sehr oder ziemlich gut vorstellen zu können, " einen starken Führer zu haben, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss".

Market fragte: "Es gibt ja in der Politik und der öffentlichen Diskussion immer wieder Aussagen wie zum Beispiel ,Leistungen vom Staat sollte es nur für das eigene Volk geben' und Ähnliches. Da gibt es ja grundsätzlich zwei gegenteilige Meinungen, die einen sagen, das ist absolut in Ordnung und richtig (Meinung A), die anderen sagen, das ist eine engstirnige, radikale und beschämende Ansicht (Meinung B). Welcher dieser Meinungen können Sie sich eher anschließen?" Daraufhin bekannten sich 57 Prozent (und beinahe alle bekennenden FP-Wähler) zur Meinung A.

Mehrheit glaubt an freiwilligen Anschluss

In der aktuellen Umfrage sagten 42 Prozent "Unter Hitler war nicht alles schlecht". 57 Prozent vertreten die Gegenthese: "Es gab an der Hitler-Zeit keine guten Aspekte" - die Anhänger eines "starken Mannes" sind tendenziell auch geneigt, Positives in der Nazizeit zu entdecken. Die Frage, ob Österreich 1938 "das erste Opfer Hitler-Deutschlands" gewesen ist oder ob Österreich sich freiwillig angeschlossen hat, bleibt umstritten: Eine knappe Mehrheit von 53 Prozent meint, der Anschluss sei freiwillig erfolgt, 46 Prozent sehen Österreich in der Opferrolle.

Der Standard ließ auch fragen: "Damals nach dem Anschluss gab es ja massive Ausschreitungen, vor allem gegen die jüdische Bevölkerung in Österreich. Wenn Sie jetzt an das heutige Europa denken, wären solche Ausschreitungen noch vorstellbar oder ist das nicht der Fall?" Nur zwölf Prozent halten solche Ausschreitungen für völlig unmöglich, 32 Prozent halten sie für eher nicht wahrscheinlich - doch eine Mehrheit hält sie für eher schon möglich (39 Prozent) oder gar sehr wahrscheinlich (17 Prozent).

"Ist die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs aus Ihrer Sicht heute ausreichend aufgearbeitet worden oder gibt es nach wie vor Bedarf einer Aufarbeitung von Österreichs Vergangenheit in der Nazizeit?" Da sagen 61 Prozent, die Nazizeit sei ausreichend aufgearbeitet, 39 Prozent sehen Nachholbedarf. Ähnlich gespalten ist die Meinung, wenn es um die Entschädigung von Nazi-Opfern geht. 57 Prozent meinen, dass "die Opfer dieses Unrechts beziehungsweise deren Nachkommen ausreichend entschädigt worden" sind, 42 Prozent sagen, das wäre nicht der Fall.

Hätte sich Österreich militärisch gegen den "Anschluss" wehren sollen? Nur 15 Prozent meinen, dass ein solcher Krieg sinnvoll gewesen wäre. 42 Prozent glauben, ein Krieg hätte Österreichs Lage verschlechtert, und 43 Prozent meinen, es hätte keinen Unterschied gemacht. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 9./10.3.2013)