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Nach und nach verdrängen wissenschaftliche Publikationen mit offenem Zugang die eingesessenen Zeitschriften. Damit öffnet sich die Wissenschaft insgesamt einem breiterem Publikum.

Foto: reuters/MARCHANTE

Wien/Bristol – Es ist eine sanfte Revolution in der Wissenschaftswelt: Sukzessive steigt der Anteil kostenlos zugänglicher Publikationen. Während es 2003 lediglich 552 solcher Open Access Journals gab, waren es 2012 bereits über 8519 – ungefähr ein Viertel aller wissenschaftlichen Zeitschriften.

Open Access ist das Symptom widersprüchlicher Bedingungen im Wissenschaftsbetrieb – wenn auch keine diesbezügliche Lösung. Nur selten werden Publikationen finanziell entlohnt, obwohl es die Grundformel für eine Wissenschaftskarriere ist, viel gelesen und zitiert zu werden. Die Konsequenz ist für viele eine weitere Verschärfung ihrer prekären Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb.

Seit vergangenem Jahr ist diese Krise in Österreich spürbarer geworden. Nachdem das Wissenschaftsministerium bereits 2011 das Budget für Druckkostenzuschüsse von 1,4 Millionen auf 700.000 Euro reduzierte, wurde dieses 2012 gänzlich gestrichen.

Die andere Facette der Problematik trifft diejenigen, die wissenschaftliche Publikationen beziehen und rezipieren wollen oder müssen. Sie, einzelne Wissenschafter, aber auch Institutionen, sehen immens hohe Preise auf sich zukommen. Diesbezüglich erregte ein Protest international besondere Aufmerksamkeit.

Der prominente Mathematiker Timothy Gowers rief 2012 zu einem offenen Boykott des weltweit größten Wissenschaftsverlags Elsevier auf, an dem sich mittlerweile über 13.000 Wissenschaftler aus aller Welt beteiligen.

Die erhobenen Kritikpunkte gelten für viele der großen Wissenschaftsverlage: hohe Anschaffungs- und Lizenzpreise wissenschaftlicher Zeitschriften und Bände, die Bibliotheken zudem verpflichten, ganze Pakete an Pu blikationen zu beziehen, selbst wenn viele davon für sie kaum relevant sind.

Eine Regierungsforderung

Es sind solche Probleme, wegen derer die Idee, einen kostenlosen Online-Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zu schaffen, in den letzten Jahren einen enormen Zulauf gefunden hat.

Die britische Regierung kündigte an, dass ab 2014 alle mit öffentlichen Geldern geförderten wissenschaftlichen Publikationen kostenlos zugänglich sein müssen. Sie sind damit auf einer Linie mit der EU-Kommission und folgen Prognosen, die davon ausgehen, dass Open Access in zehn bis 15 Jahren die dominante Publikationsart sein wird.

Ob sich der offene Zugang zu den Journals tatsächlich durchsetze, sei eine offene Frage, meint Falk Reckling, verantwortlich für Open Access beim FWF. Er ortet dennoch "schon jetzt eine Transformation des Rollenverständnisses" in der Wissenschaft.

Zwar wird sich durch Open Access nichts daran ändern, dass Wissenschafter für ihre Publikationen nicht bezahlt werden, aber der Zuwachs an kostenlosen und unmittelbar zugänglichen Forschungsergebnissen könnte eine Erleichterung bringen und die Kommunikation zwischen Wissenschaft und anderen Interessierten stärken.

Als hervorragendes Beispiel unter vielen gilt der Verlag Open Humanities Press. Seit 2008 sind seine Online-Pforten mit mittlerweile 14 Journals und fünf Open-Access-Buchserien geöffnet.

Dabei vereint der Verlag die Vorzüge klassischer Print-Verlage mit den Vorteilen des Open Access: Unter der Redaktionsleitung etablierter Wissenschafter wie des Soziologen Bruno Latour, des  Philosophen Alain Badiou und des Literaturwissenschafters Stephen Greenblatt findet ein konsequentes Peer-Review-Verfahren statt. Zudem gibt es die Möglichkeit, die meisten Monografien zu rund 20 Dollar (rund 15 Euro) gedruckt zu beziehen.

Die Verbreitung von Open Access variiert noch recht stark, je nach Disziplin. Am geläufigsten sind Online-Pu blikationen in den naturwissenschaftlichen Fächern, vor allem den Life-Sciences, geworden. Die "kürzere Halbwertszeit der Forschungen" in diesen Gebieten begründe dies, denn "wer nicht schnell publiziert, muss damit rechnen, dass ihm jemand zuvorkommt oder Ergebnisse wieder veraltet sind", weswegen die "Online-Publikation sehr erfolgreich, ja oft Voraussetzung" ist, erklärt Torsten Reimer. Er ist Programm-Manager bei Jisc, einer britischen Organisation, die sich mit digitaler Technologie in Forschung und Lehre befasst. Die Geisteswissenschaften liegen, was Online-Publikationen allgemein betrifft, zwar zurück, bei Open Access liegen sie mit den Sozialwissenschaften jedoch bei 40 Prozent.

Kritische Masse

Das große Potenzial von Open Access sieht Reimer vor allem darin, dass Ergebnisse schneller öffentlich gemacht werden können, ein viel größeres Publikum erreichen und die Auswertung von Forschungsergebnissen vereinfacht wird. Zum Beispiel können Forscher verschiedener Universitäten oft wegen fehlender Lizenzvereinbarung "nicht immer auf die gleichen Zeitschriften zugreifen, was die Zusammenarbeit erschwert". Mit Open Access sind solche Probleme obsolet, und die Wissenschaftswelt öffnet sich auch Interessierten außerhalb der akademischen Institutionen.

Darin liegt auch eine Möglichkeit, den Anspruch der Öffentlichkeit an die Wissenschaften zu rechtfertigen, wie Reckling meint. Denn aufgrund der mittlerweile erreichten technischen Möglichkeiten kann durch Open Access die klassische Forderung, dass wissenschaftliche Resultate und Erkenntnisse prinzipiell von "allen Interessierten nachgeprüft, kritisiert und weiterentwickelt werden", nun tatsächlich global umgesetzt werden. (Christian Gauß, DER STANDARD, 7.3.2013)