Während Alexandra Föderl-Schmid einerseits zuzustimmen ist, was die vergebene Chance durch die Auszeichnung der EU mit dem Friedensnobelpreis anbelangt, so ist der Kommentar am Schluss des Artikels, wonach auch die Zuerkennung des Literaturnobelpreises an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan von fragwürdiger Signalwirkung sei, für mich als unzureichend und schlicht inadäquat zu bewerten.

An erster Stelle sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Mo Yan der erste in China lebende Chinese ist, dem diese Ehre zu Teil wird. Es sollte gewürdigt werden, dass Mo Yan, der nicht ins Ausland geflohen ist, diesen verdienten literarischen Preis endlich bekommen hat.

Mo Yan ist alles andere als regimetreu

An zweiter Stelle  ist festzustellen, was wahrscheinlich am allerwichtigsten ist, dass Mo Yans Werk äußerst systemkritisch und alles andere als regimegetreu ist. Natürlich muss, wer zu solch einer Interpretation kommt, die Werke Mo Yans gelesen haben und bereit sein zwischen den Zeilen zu lesen. Kritik an den vorherrschenden Strukturen in der Volksrepublik China (VRCh) ist doch eher mit gewisser Vorsicht zu äußern. Deshalb: ein Narr wer offen, unverhohlen direkt, um nicht zu sagen einfach unvorsichtig Artikuliertes erwartet. An dieser Stelle seien vor allem Ai Weiwei, aber auch dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, der eine elfjährige Haftstrafe verbüßt, stellvertretend für alle todesmutigen LiteratInnen bewundernde Worte ausgesprochen.

Verschiedene Arten des Widerstands

Mo Yan, Ai Weiwei und Liu Xiaobo sind Künstler, die verschiedene Arten des Widerstandes gewählt haben. Das Ziel aller mag eine Verbesserung der soziopolitischen Situation am Festland sein. Das Mittel der Wahl variiert. Ai Weiwei und Liu Xiaobo können als radikale urbane Aktivisten bezeichnet werden, was mich, wie erwähnt, tief beeindruckt. Mo Yan wählt einen subtileren, feineren, diplomatischeren Weg. Er fügt der Führung keinen offenen Schlag ins Gesicht zu, worauf sie nur empfindlich reagieren könnte, um weder Gesicht noch Legitimität zu verlieren, sondern unterminiert verschleiert das Konstrukt der Macht, was womöglich effektiver ist.

Westliche Ignoranz und Arroganz

Drittens soll an dieser Stelle die „westliche Arroganz" kritisiert werden. Gemeint ist die Überheblichkeit der westlichen Hemisphäre, die zur Folge hat, dass der „Westen" bzw. „westliche" Intellektuelle und Medien zu wissen meinen, wie sich z. B. China zu verhalten habe, was zu tun und zu unterlassen sei. Dahinter mag nicht nur ein gewisses Überlegenheitsgefühl stecken sondern auch fehlende Toleranz bzw. pure Ignoranz. Wie könnte man sonst auf die Idee kommen, dass "unser" System eins zu eins auf ein anderes Land auf einem anderen Kontinent mit anderen Kulturen umzulegen sei.

Diese kolonialistischen Anwandlungen sind abzulehnen. Auch wenn chinesische Strukturen nicht ideal sind, ist dies nicht genügend Vorwand sie von außen "zurechtzubiegen" i. e. an "westliche Werte" anzupassen und „herumzuadaptieren"; gerade dann nicht, wenn man bedenkt, dass "wir" in einer tiefen Krise stecken, was Beweis genug dafür sein sollte, dass das „westlich kapitalistische" System alles andere als perfekt ist.

Eine Abhandlung über Kapitalismus, Kommunismus und Kommunismus chinesischer Prägung mag hier zu weit greifen; nicht zuletzt deshalb, weil das Thema dieses Beitrags schließlich der Literaturnobelpreis ist und dieser nicht allzu sehr politisiert werden sollte, was nicht heißt, dass über politische Implikationen nicht gemutmaßt werden kann.

Der Autor selbst gibt schon allein durch die Wahl seines Künstlernamens (bürgerlicher Name: Guan Moye) ein eindeutiges Statement ab. Mo Yan spricht also nicht, denn er schreibt viel, viel lieber. Dies tut er wie erwähnt auf provokative Art und Weise. Wie ließe es sich sonst erklären, dass manche seiner Bücher ihre Erstveröffentlichung nicht am Festland erlebten und auch in weitere Folge in der VRCh nicht oder nur sehr schwer zu bekommen waren/sind.

Mo Yan kein Opportunist

Mo Yan kann also gar nicht ausschließlich Opportunist sein, wie ihm oft mehr oder weniger implizit von Kritikern (vielleicht die größten auf chinesischer Seite: Liao Yiwu Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels und Ai Weiwei) vorgeworfen wird. Kritiker werfen ihm Anbiederung an die chinesische Führung vor, ihnen könnte im Gegenzug vorgeworfen werden, sich der westlichen Seite beziehungsweise den westlichen Medien „zu Füßen zu werfen". Ein Dilemma. Man kann es nicht allen recht machen. (Leserkommentar, Franziska Feuerstein, derStandard.at, 5.3.2013)